Innovationen finden im Web 2.0 statt

21.12.2007
Von Herrmann Gfaller 
MySQL-Chef Marten Mickos setzt auf Enterprise-2.0-Unternehmen als weitere Zielgruppe für seine Datenbank. Mit Mickos sprach Hermann Gfaller*.

CW: Wie wichtig ist Ihr Web-2.0-Engagement im Vergleich zu den anderen Geschäftsfeldern?

Wir konzentrieren uns auf fünf Märkte: Traditionell beliefern wir OEM-Kunden wie Fujitsu-Siemens sowie die Telekommunikations-Branche. Hinzu kommt das Geschäft mit Software on Demand, das heute auch gern als Software as a Service bezeichnet wird. Wichtig sind uns moderne Enterprise-2.0-Unternehmen. Web 2.0 gehört zu unseren absolut strategischen Märkten.

CW: Warum?

Die Kunden aus diesem Umfeld helfen uns mit ihrem Input enorm bei der Weiterentwicklung unseres Produkts. Hier findet Innovation statt, und jeder, der erfolgreich bleiben will, sollte daran teilnehmen. Alles, was wir hier lernen, wird uns nützen, wenn die Unternehmen sich auf Basis von Web-Techniken erneuern.

CW: Anwenderumfragen klingen eher ernüchternd. Große Unternehmen halten sich beim Thema Web 2.0 zurück, weil sie befürchten, die Kontrolle über ihre Kommunikation zu verlieren. Kleinere Betriebe sehen kaum Nutzen für sich, einzige Ausnahme sind vielleicht die Marketing-Leiter. Wer neben der IT-Industrie interessiert sich überhaupt für Web 2.0?

Sie haben die falsche Zielgruppe im Blick. Web 2.0 richtet sich weitgehend an Konsumenten. Sites wie Facebook, Craigslist, Second Life, Hyperhotel, Mixies und andere wachsen mit immenser Geschwindigkeit. Mit Web 2.0 ist ohne Zweifel viel Geld zu verdienen, auch wenn die Funktionen nicht immer zu klassischen Unternehmen passen.

CW: Wenn das so ist, warum sprechen Sie dann von einem Übergang von Web 2.0 auf Enterprise 2.0?

MICKOS: Es gibt eine Reihe von Unternehmen, für die das Consumer- und Business-Geschäft nicht zu trennen ist. Unsere Kunden Google oder T-Mobile bieten ihre Web-Dienste beiden Zielgruppen an. Für den Unternehmensbereich im engeren Sinn hat eine Goldman-Sachs-Studie schon 2006 ermittelt, dass die Umstellung auf immer mehr Web-gestützte Techniken nicht mehr aufzuhalten ist.

CW: Das muss nichts mit Web-2.0-Anwendungen wie Weblogs oder Social Networks zu tun haben

MICKOS: Richtig. Die Studie bezieht sich in der Tat nicht auf die Anwendungsebene, sondern auf deren Architektur.

CW: Es können also SOA oder schlicht die Verwendung von IP-Netzen gemeint sein?

MICKOS: Ja, es geht um Applikationen, die das Internet intern oder extern als Transportmechanismus und Web-Browser als Zugang zu den Anwendungen einsetzen. Hinzu kommt, dass der Anwendungs-Stack nicht im Client-Server-Konzept aufgebaut ist, sondern in mehreren Schichten, sprich mit Datenbank, Application- und Web-Servern.

CW: Ist es das, was Sie unter Enterprise 2.0 verstehen?

MICKOS: Genau, nämlich die Verwendung Web-basierender Architekturen. Das ist tatsächlich der allgemeine Trend, ebenso wie die Abwendung von proprietärer Software zugunsten von Open Source.

CW: Gibt es hier einen kausalen Zusammenhang?

MICKOS: Ja, das hat mit dem mehrschichtigen Aufbau der Architektur zu tun, wie er auch mit dem LAMP-Stack unter genuiner Einbeziehung von Web-Techniken angeboten wird (LAMP: Linux, Apache, MySQL, PHP; Anm. d. Red.). Hinzu kommt, dass hinter Open Source ebenso wie hinter Web-Techniken das Konzept steht, statt eines großen und besonders leistungsfähigen Servers mehrere kleinere Server zu verwenden. Hier wird das Scale-out- gegenüber dem Scale-up-Konzept bevorzugt, weil man von ganz klein bis ganz groß wachsen kann.

CW: Sie haben Software as a Service (SaaS) als natürlichen Weg für Open-Source-Software bezeichnet. Warum?

MICKOS: Natürlich kann man SaaS mit jedem System realisieren. Das Schöne an Open Source ist, dass man klein anfangen kann. Das heißt, dass SaaS-Dienstleister keine großen Einstandsinvestitionen brauchen. Wenn man mit einem Mainframe beginnt, muss man vom Start weg tausend Kunden haben, damit es sich rechnet. Mit dem LAMP-Stack können Saas-Anbieter Server für Server wachsen, ohne die Architektur völlig umstellen zu müssen. Der Stack kommt vor allem Unternehmensgründern entgegen.

CW: Liegt also der Grund für Ihr Web-2.0-Engagement in der gro-ßen Zahl der dort tätigen Entrepreneure?

MICKOS: Ja. Bei Web-2.0-Anwendungen weiß man nie, wie populär sie einmal werden. YouTube hat auch ganz klein mit MySQL angefangen und fügt nun ständig neue Server an. Preisgünstig einzusteigen, das ist es, was die jetzige Gründergeneration aus den Erfolgsgeschichten von YouTube, Facebook und Co. lernt.

CW: MySQL hat in den vergangenen Jahren viel getan, um die Datenbank mit Stored Procedures, Triggern und Views für klassische Unternehmensanwendungen fit zu machen. Gibt es jetzt einen Kurswechsel in Richtung Web-Anwendungen?

MICKOS: Das waren sehr wichtige Funktionen. Inzwischen geht es aber mehr darum, Leistung und Durchsatz zu steigern sowie Wartezeiten zu verkürzen. Außerdem suchen wir nach zusätzlichen Möglichkeiten für Replikation und Scale-out kurz: nach allem, was beim Skalieren hilft.

CW: Das verstärkt den Eindruck, dass sich Ihr Fokus verschiebt, der bislang auf den vielen kleinen Open-Source-Anwendern einerseits und den großen, lukrativen Firmenkunden andererseits lag.

MICKOS: Nun, wir gehen mit der Industrie. Anfang des Jahrtausends gab es generell wenig Wachstum, deshalb konzentrierten wir uns seinerzeit auf Features für Firmenanwender. Aber inzwischen wachsen nicht nur die Web-2.0-Firmen, sondern auch unsere bisherigen Kunden.

CW: Dennoch umwerben Sie derzeit eher die Web-2.0-Firmen

MICKOS: Na ja, Facebook wächst schneller als fast jedes andere Unternehmen. Warum sollten wir uns eine solche Chance entgehen lassen?

(ue)