Innovation durch ITK - was ist das eigentlich?

16.09.2011
Kaum ein Begriff wird so häufig strapaziert wie "Innovation" - gerade im IT-Bereich.

Viele IT-Mitarbeiter verstehen unter Innovation durch ITK den Ersteinsatz neuer Produkte und Dienstleistungen. Die Fachbereiche denken dabei eher an das "Herumprobieren" mit neuen Gadgets. Auch wenn die Meinungen auseinandergehen, dürfte eines klar sein: In den kommenden Jahren wird Innovation durch ITK zu einem existenzentscheidenden Thema für Firmen und Behörden werden.

Zwei Stoßrichtungen, vier Objekte

Aber was ist eigentich ITK-Innovation? In einer ersten Dimension lassen sich vier Objekte von Innovation durch Informations- und Kommunikationstechnik unterscheiden:

• Das Geschäftsmodell, vor allem das Ertragsmodell, beschreibt, wie ein Unternehmen sein Geld verdient.

• Die Produkte und Dienstleistungen definieren den "Output", den ein Unternehmen erzeugt.

• Die Prozesse bezeichnen die Abläufe in Unternehmen, die von Menschen, Maschinen, ITK oder im Wechselspiel dieser drei Komponenten bestritten werden.

• Die Infrastruktur schafft die Voraussetzungen dafür, dass unternehmerisches Handeln stattfinden kann.

In der zweiten Dimension gliedert sich Innovation durch ITK in zwei Stoßrichtungen:

• "Innovate the Business" umfasst alle Innovationen, die im Fachbereich wirksam werden, zum Beispiel eine Prozessveränderung im Einkauf durch den Einsatz von Standardsoftware oder den Bau einer neuen Webseite für den Verkauf von Produkten oder Dienstleistungen.

• "Innovate the IT" zielt auf Verbesserungen, die in der IT-Abteilung wirksam werden, beispielsweise die Einführung einer neuen Hardwaregeneration mit wesentlich geringerer Ausfallwahrscheinlichkeit, den Bau eines neuen Rechenzentrums oder den Einsatz neuer Software, um den IT-Betrieb zu beschleunigen.

Kombiniert man die beiden Dimensionen, ergibt sich eine Matrix. Sie verdeutlicht, dass in beiden Stoßrichtungen - Innovate the Business und Innovate the IT - alle vier Objekte Gegenstand der Innovation sein können.

Innovate the Business - Infrastruktur

Innovationen durch ITK haben in den vergangenen 30 Jahren zu großen Veränderungen der Infrastruktur von Unternehmen geführt. Heute dominieren Laptops und mobile Telefone, wo früher Bleistift und Papier oder eine mechanische Schreibmaschine verwendet wurden. Die Schalterhallen der meisten Banken wurden in den vergangenen Jahren umgebaut, Automatenzonen eingerichtet, die Anzahl der klassischen Schalter reduziert etc. Manche Banken haben sogar einen Teil der Fläche an Einzelhandelsgeschäfte vermietet.

Innovate the Business - Prozesse

Die ITK hat fast alle Prozesse in den Unternehmen und öffentlichen Verwaltungen erfasst. Ende der 80er Jahre hat sich - ausgehend vom Forschungsprojekt "Management in the 1990s" an der Sloan School des Massachusetts Institute of Technology - die Ansicht durchgesetzt, dass die Potenziale der IT nur ausschöpfbar sind, wenn sich auch die Geschäftsprozesse ändern. In diesem Umfeld entstand der Bestseller "Business Process Reengineering" von Michael Hammer und James Champy.

Dieser Gedanke wurde auf die Einführung von (ERP-)Standardsoftware übertragen, die viele Unternehmen in den 90er Jahren forciert haben. Prozessinnovation bedeutet aber nicht nur die Veränderung bestehender, sondern auch die Schaffung neuer Geschäftsprozesse. Online-Versender wie Amazon haben in den vergangenen 15 Jahren den Prozess der Bestellung von Waren über das Internet etabliert. Und die Entwicklung geht weiter. Derzeit verändert Web 2.0 beispielsweise die Art und Weise, wie Unternehmen mit Mitarbeiterwissen umgehen: Angestellte und Manager speichern Informationen in Wikis, auf die ihre Kollegen zugreifen und die sie auch bearbeiten dürfen. Zudem wandelt sich in vielen Unternehmen die Zusammenarbeit: Kommunikationsprozesse wie Online- oder Web-Meetings wären ohne Web-2.0-Werkzeuge wie Präsenzanzeigen oder den Internet-Telefondienst Skype kaum denkbar.

Innovate the Business - Produkte und Dienstleistungen

Ende des vorigen Jahrtausends konnte eine Waschmaschine nichts als waschen und schleudern. Heute lässt sie sich fernwarten und über das Internet steuern. Die Verbindung der Produktinformations- und Kommunikationstechnik mit den Prozessen eines Unternehmens gewinnt an Bedeutung. Immer mehr Produkte werden um Dienstleistungen aus dem Internet ergänzt. Beispiele sind die Musik- und Video-Management-Software iTunes von Apple oder die Web-Erweiterungen von Microsoft Office. Eine möglichst nahtlose Vernetzung der Produktwelt mit den Internet-basierten Dienstleistungen ist Voraussetzung für die Umsetzung dieser "Serviceorientierung".

Innovate the Business - Geschäftsmodell

Dank ITK entstanden in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten zahlreiche Geschäftsmodelle, und ständig entwickeln sich neue. Die Musikindustrie bietet dafür ein viel diskutiertes Beispiel. Viele frühere Größen des Musikgeschäfts geben heute wieder Konzerte. Die Gründe für die große Anzahl an Tourneen und die hohen Ticket-Preise liegen in einer Umkehr des Geschäftsmodells: In den 70er Jahren dienten Tourneen als Marketing-Tool, um den Verkauf von Tonträgern anzukurbeln. Die Preise für Konzert-Tickets und Tonträger lagen nicht weit auseinander. Inzwischen sind die Umsätze mit CDs durch die Verbreitung der MP3-Technik und die Internet-Downloads zurückgegangen. Um mehr Geld zu verdienen, gehen die Künstler auf Tournee.

Die intensive Nutzung der Datenbestände hat besonders im Umfeld des Electronic Business neue Geschäftsmodelle geschaffen und bestehende verändert. So ist beispielsweise Google in der Lage, überdurchschnittliche Werbeerlöse zu erzielen, weil die Analyse des Benutzerverhaltens Aussagen mit hohem Wahrscheinlichkeitswert darüber zulässt, was der Nutzer sucht und unter Umständen kaufen möchte.

Innovate the IT - IT-Infrastruktur

Zu Beginn der ITK-Industrie stand vor allem die Steigerung der Leistungsfähigkeit im Vordergrund. Später war es das primäre Ziel, immer kleinere Geräte zu bauen. Eine Zeit lang spielte die Benutzerfreundlichkeit die wichtigste Rolle. Heute fokussiert sich ein Teil der Industrie darauf, den Energieverbrauch zu reduzieren und die Umweltverträglichkeit zu erhöhen.

Ein anderer Bereich der Infrastrukturinnovation lässt sich als "Rechenzentrum der Zukunft" bezeichnen. Einige Unternehmen haben in den vergangenen Jahren neue Rechenzentren gebaut, die - wesentlich größer als die bisherigen - auf kleinen, billigen Servern in großer Zahl basieren. Zu den Innovationen der IT-Infrastruktur gehören auch neue Middleware-Produkte, Datenbanken und Netze sowie Backend-Software, beispielsweise ERP-Systeme.

Innovate the IT - Prozesse

Bis vor wenigen Jahren hatte jede IT-Abteilung ihre eigenen Abläufe und Strukturen. Zwar publizieren seit etwa 20 Jahren Berater und Hersteller übergreifende Prozessmodelle für die IT-Abteilung, so beispielsweise IBM mit seinem Information Systems Management (ISM), doch auf die Praxis hatten sie anfangs wenig Einfluss.

Erst mit der Verbreitung von Itil begann das systematische Reengineering der IT in Verbindung mit der Standardisierung von Prozessen. Sarbanes-Oxley und der Druck von den Revisionsfirmen forcierten den Einsatz des CoBIT-Modells als Grundlage der Prozesslandschaft von IT-Abteilungen.

Innovate the IT - Produkte und Dienstleistungen

CIOs und Verantwortliche aus den IT-Abteilungen gliedern die Produkte ihrer Abteilung meist in "Beratung", "Projekte" und "Betrieb". Auf dieser Grundlage fußen auch viele Produktkataloge von IT-Abteilungen. SaaS-Anbieter wie Salesforce.com zeigen jedoch auf, was künftig unter den Produkten einer IT-Abteilung verstanden wird. Sie offerieren verschiedene Dienstleistungsprodukte im Prozessbaukastensystem. Dieses Angebot lässt sich als "ein Stück Prozessunterstützung" interpretieren.

Innovate the IT - Geschäftsmodelle

Vor 30 Jahren gab es nur die klassischen IT-Abteilungen, die von Lieferanten Hardware, Betriebssysteme und Programmiersprachen bezogen; aus diesen Rohstoffen entstanden in Eigenentwicklung Informationssysteme. Im Laufe der Zeit ist die Wertschöpfungstiefe ständig gesunken. Outsourcing verändert das Geschäftsmodell der IT-Bereiche. Es gibt schon IT-Abteilungen, die nur noch als Einkaufsdrehscheibe agieren. Sie kennen die Beschaffungsmärkte für ITK-Dienstleistungen und haben Know-how für Vertragsverhandlungen aufgebaut.

Noch vor wenigen Jahren waren die IT-Abteilungen internationaler Unternehmen in der Regel im Mutterland der Unternehmen angesiedelt. Heute verteilen sie sich oft über die ganze Welt: Die Softwareentwicklung befindet sich in Indien, die Rechenzentren in den USA und in Deutschland, der CIO und sein Team sind in Frankreich ansässig.

Eine wohl nur vorübergehende Innovation des Geschäftsmodells besteht in den Drittmarktakivitäten der IT-Abteilungen. Es gibt erfolgreiche IT-Service-Provider, die aus einstigen IT-Abteilungen erwachsen sind - wie in Deutschland T-Systems und in der Schweiz Swisscom IT Services. Sie müssen aber als Ausnahmen von der Regel angesehen werden. (qua)

Walter Brenner ist Direktor des Instituts für Wirtschaftsinformatik an der Universität St. Gallen. Christoph Witte ist Publizist und Berater in München.

Mehr zum Thema

• Dieser Artikel basiert auf einem Buch, das die Autoren, Walter Brenner und Christoph Witte kürzlich veröffentlicht haben.

• Es heißt "Business Innovation - CIOs im Wettbewerb der Ideen".

• Erschienen ist es beim F.A.Z.-Institut für Management-, Markt- und Medieninformationen in Frankfurt am Main.

• Auf 224 Seiten enthält es unter anderem Interviews mit CIOs wie Klaus Hardy Mühleck (VW), Steffen Roehn (Deutsche Telekom), Wolfgang Gaertner (Deutsche Bank) und Jürgen Sturm (BSH).

• Gedruckt und gebunden kostet es im Fachhandel etwa 50 Euro .