Auf allen Ebenen unterschiedliche "europäische" Standards:

Inkompatibilität der Systeme die Folge nationaler Eigenbröteleien

18.09.1987

Die Internationale Situation im Videotex-Bereich hat sich heute, im Jahre 1987, gegenüber dem Beginn der 80er Jahre im Hinblick auf die internationale Kompatibilität eher verschlechtert als verbessert. Der Grund hierfür liegt in der heterogenen Struktur der internationalen Videotex-Netze Jedes Land hat im Prinzip seinen eigenen Standard installiert. Selbst bei Ländern. die den gleichen Terminalstandard verwenden, wie zum Beispiel Deutschland und die Schweiz, wo der CEPT-Standard (Profile 1) verwendet wird, ergibt sich ein Unterschied in der Realisierung des Anschlusses von externen Rechnern beziehungsweise von externen Datenbanken.

* Jürgen Doering ist Mitarbeiter der Danet GmbH, Darmstadt. Der vorliegende Beitrag ist die leicht gekürzte Fassung eines Vortrags, der mit freundlicher Genehmigung des Verlags Reinhard Fischer, München, entnommen wurde aus: Neue Mediengesellschaft Ulm mbH und AMK Berlin (Hrsg.): Medien-Form Berlin 1987 Kongreß für wirtschaftliche und wissenschaftliche Nutzung der Kommunikationselektronik - in Verbindung mit der Internationalen Funkausstellung Berlin 1987, München 1987, Seite 484 bis 492, 68 Mark.

In Deutschland werden die Kommunikationsprotokolle EHKP verwendet, die in etwa dem ISO-7-Schichten-Modell entsprechen, während in der Schweiz das weiterentwickelte Prestel-Gateway-Protokoll verwendet wird, das dem ursprünglichen deutschen Feldversuchsprotokoll entspricht. In Frankreich wird das CCITT-X.29-Protokoll verwendet, das keine spezifischen Videotex-Funktionen enthält und die Abwicklung des Benutzerdialogs vollständig in die Hände des sogenannten Service-Providers legt. Weiterhin ist in Frankreich der Terminalstandard unterschiedlich zu allen anderen in Europa verwendeten Standards. Auch hier zeigt sich wieder die grundsätzliche Abstimmungsproblematik der Länder in einem internationalen Gremium wie der CEPT.

CEPT als Vereinigung aller europäischen Postverwaltungen, die hier mit Zustimmung von 26 Ländern den CEPT-Standard verabschiedet hat, ließ in ihren Vorschriften zur Implementierung der Standards für Terminals mit der Unterscheidung in verschiedene Profile so viel Spielraum, daß im Prinzip alle bis zu dem damaligen Zeitpunkt existierenden Standards wie Prestel, Antiope und der neu entwickelten CEPT-Standard, so wie er heute in Deutschland verwendet wird, in diesem übergeordneten Standard Platz haben.

Genauso gravierend sind die Unterschiede bei der Anbindung von Externen Rechnern beziehungsweise Dienstleistungssystemen (Hosts) an das schnelle Datenübertragungsnetz. Zu dem Zeitpunkt, als die ersten Entwicklungen in dem Bereich Anfang der 80er Jahre begannen, lagen von der ISO und CCITT noch keine Standardisierungsvorschläge für die Ebenen 4 bis 7 des ISO-Modells vor. Demzufolge verwendeten die einzelnen Postverwaltungen und Systembetreiber unterschiedliche Vorschläge und unterschiedliche Realisierungen dieser Protokolle.

Weiterhin macht sich sehr stark die unterschiedliche Philosophie in der Einrichtung eines Dienstes, wie ihn Videotex-Netz im interaktiven Bereich darstellen, bemerkbar: Während in Großbritannien eine Systemkonfiguration vorherrschte - die einer zentralen Datenbank, die vom Systembetreiber bereitgestellt wurde - , wurde in Frankreich sehr bald nach den Versuchen in Velizy eine andere Philosophie entwickelt. Diese französische Philosophie beinhaltete das Terminal, das Minitel, als zentrale Systemkomponente. Die komplexeren Funktionen im Netz wurden drastisch reduziert. Das Netz bestand lediglich noch aus dem Telefonnetz, einen Übergabepunkt (Point Access Videotex) und dem dahinterliegenden Transpac-Netz. dem französischem Pendant zu Datex-P.

Die vorgeschriebenen Protokolle für die Kommunikation zwischen den Zugangspunkten und den Service-Providern, die bei uns den Externen Rechnern entsprechen, wurde durch eine sehr einfache Protokollphilosophie gelöst: Es wurde das CCITTX.29-Protokoll eingesetzt, das lediglich den Zugang von asynchronen Terminals über das Paketvermittlungsnetz zu einem Rechnersystem regelt. Videotex-spezifische Funktionen sind hier in keiner Weise betroffen.

Inzwischen hatte Großbritannien aus dem deutschen Feldversuch die Gateway-Philosophie übernommen und sein System ebenfalls um den External-Computerbereich erweitert.

Das deutsche System beinhaltet Leistungsmerkmale aller vorher genannten Systeme. Auch sind die in Deutschland verwendeten Standards (CEPT und EHKP) die komplexesten Videotex-Standards, die heute verwendet werden. Dies hat Vor- und Nachteile. Ein großer Vorteil leigt sicherlich darin, daß bei vernünftiger Anwendung das CEPT-Profile-1-Standards eine ganze Reihe unterschiedlicher interessanter Dialoganwendungen realisiert werden können. Auch dürfte die Ausfallsicherheit, insbesondere im Datenübertragungsnetz, durch die Verwendung komplexer Übertragungsprotokolle im deutschen System am sichersten sein.

Eindeutige Nachteile ergeben sich allerdings aus der komplexen Geräte- und Systemstruktur, die durch die hochentwickelten Standards bedingt sind. Diese Komplexität bedingt naturgemäß einen höheren Preis der Geräte und Systeme. Nachteilig dürfte sich bei unsachgemäßer Anwendung des CEPT-Standards (Profile 1) auch die Verlangsamung der Übertragung auswirken.

Ein weiteres Charakeristikum der internationalen Videotex-Szene ist in Großbritannien zu erkennen, wo sich durch die Ausklammerung des Rechnerverbundes (Gateway) eine hohe Anzahl von privaten Videotex-Systemen etabliert hat. Der Nachteil hierbei ist die Wahlfreiheit in bezug auf den Standard, so daß sich dort auch unterschiedliche Standards nebeneinander behaupten können.

Der grenzüberschreitende Verkehr in Videotex wird nicht nur durch die Sprachbarrieren behindert, sondern, wie aus den vorherigen Ausführungen zu erkennen ist, durch die unterschiedlichen Standards und die Inkompatibilität der einzelnen Systeme untereinander. Die Sprachbarriere selbst sollte nicht als großes Hindernis gesehen werden. Beispiele für die Lösung dieses Problems zeigen die Systeme in der Schweiz und in Luxemburg. Vielmehr sind es technische Probleme die zum Teil zu fast unüberwindlichen Hindernissen werden.

In der heutigen Situation stellt sich zum Beispiel einem Benutzer aus Deutschland, der eine Datenbank in Frankreich direkt anwählen will nicht nur das Problem der wesentlich teureren internationalen Telefongebühr, sondern auch das der unterschiedlichen Funktionalität der Endgeräte, abgesehen vom Darstellungsstandard des deutschen und des französischen Terminals. Es gibt Versuche der Konvertierung der einzelnen Funktionen von einem Standard in den anderen durch vorgeschaltete automatische Konverterboxen; allerdings sind diese Versuche und Lösungen mit einigen Schwierigkeiten verbunden. Ein französischer Teilnehmer kann etwa Informationen, die auf CEPT-Seiten abgebildet sind, schwer und bisweilen überhaupt nicht auf einem Minitel darstellen.

Internationale Gateways bewirken Info-Verluste

Eine weitere Behinderung stellt die in den meisten deutschen Terminals oder Modems integrierte automatische Wahl dar, die verhindert, daß der Teilnehmer einen anderen Videotex-Zugangspunkt, als den nächsten Bildschirmtext-Vermittlungsrechner anwählt. Es gibt sicherlich bei Terminals, deren Modus von CEPT nach Prestel oder anderen Standards umschaltbar ist, die Möglichkeit, einen grenzüberschreitenden Verkehr über das internationale Telefonwählnetz durchzuführen. Dieser Weg ist aber für den einzelnen eher unattraktiv, da hier sehr hohe Telefongebühren anfallen. Besser wären internationale Gateways so wie sie technisch zwischen Deutschland und den Niederlanden und auch zwischen Deutschland und Frankreich versuchsweise eingerichtet worden sind. Man muß allerdings hierbei feststellen, daß die internationalen Gateway-Systeme, wenn sie auch nur ungefähr den Anforderungen einer 1:1-Abbildung der Information entsprechen wollen, hochkomplexe Systeme werden, die dann letztendlich, wie das Beispiel der Übertragung von Informationen aus einem deutschen Externen Rechner mit CEPT-Standard auf ein französisches Minitel beweist, die Informationsübertragung mit Informationsverlusten durchführen.

Unterschiedlicher Terminalstandard behindert Zugriff

Solche Gateway-Systeme können im Prinzip nur in der Form eines Externen Rechners, der die Umwandlung vornimmt und im Dialog mit dem Teilnehmer des anderen Landes kommuniziert, realisiert werden. Dies bedeutet im allgemeinen für ein System. daß eine direkte Dialogverbindung zwischen einem Endgerät (Teilnehmerterminal) und einem DV-System beziehungsweise einem Service-Rechner darstellt, nur mit hohen Komfortverlusten realisiert werden kann. Bei manchen Anwendungen ist aufgrund des Bildschirmformates und der Ausnutzung verschiedener Funktionen der Funktionsebene 7 (nach ISO-Modell) ein direkter Zugriff von einem Terminal mit einem Standard fast ausgeschlossen. Als Beispiel sei hier auf die unterschiedlichen Funktionstasten des französischen Minitels hingewiesen deren Funktionen zum Teil überhaupt nicht auf andere Systeme übertragen werden können. Am ehesten ist noch eine Verbindung zwischen Prestel oder Prestel-ähnlichen Systemen und CEPT-orientierten denkbar.

Interworking-Protocols als neuer CEPT-Vorschlag

Eine andere Möglichkeit des grenzüberschreitenden Verkehrs ist die Installation eines Externen Rechners mit dem jeweiligen Standard des Ziel landes. Als Beispiel sei hier auf ein Flugbuchungssystem hingewiesen bei dem in Frankreich ein Externer Rechner mit EHKP4, EHKP6 und CEPT-Statndard installiert ist, der zwar nicht den vollen CEPT-Umfang nutzt, aber somit den Teilnehmern aus Deutschland die Möglichkeit des Zugriffs zu einem in Frankreich lokalisierten Auskunfts- und Buchungssystem ermöglicht. Diese Art der Lösung des grenzüberschreitenden Verkehrs ist jedoch in der Realisierung sehr teuer, da ein Informationsanbieter für jedes Zielland eine getrennte Systeminstallation im Externen Rechner durchführen muß.

Ein neuer, in der CEPT abgestimmter Lösungsvorschlag ist die Verwendung des sogenannten Videotex-Interworking-Protocols (VI-Protocol). Die Logik dieses Protokolls basiert auf der Idee, in jedem Land einen Gateway für den internationalen Verkehr einzurichten. Dieser Gateway besteht aus einem Rechnersystem, das die Umwandlung des nationalen Videotex-Protokolls der Ebenen 4 bis 7 in ein international anerkanntes Videotex-Interworking-Protocol umsetzt. Die Kommunikation zwischen den einzelnen Ländern erfolgt dann auf der Basis von Standleitungen oder internationalen Verbindungen zwischen den Datenpaket-Vermittlungssystemen. Der technische Nachteil dieser Lösung besteht allerdings darin, daß der Benutzerdialog zwischen den Teilnehmern in dem einen Land und dem Externen-Rechner-System in einem anderen Land über zwei weitere Rechnersysteme (Vl-Konverter) geleitet werden muß. Dies hat mit Sicherheit Auswirkungen auf das Antwortzeitverhalten der Externen-Rechner-Anwendung.

Gebühren- und technologiepolitische Schwierigkeiten

Auch im Gebührenbereich existieren zwischen den einzelnen Systemen in den verschiedenen Ländern enorme Unterschiede. Die Gebührenpolitik, insbesondere in Frankreich, führt den Einzug der Teilnehmergebühren und Vergütung für den Informationsanbieter über den Zeittakt der Fernsprechverbindung durch. Hierbei hat man in Frankreich die Systeme Teletel 1 bis 3 eingerichtet, die jeweils einen anderen Gebührentakt haben. Dies verhindert aber den Gebühreneinzug pro Informationsseite, so wie dies im deutschen System möglich ist.

Außerdem kann zur Zeit die Gebührenhohe noch nicht durch eine gezielte Veränderung des Zeittaktes vom Informationsanbieter festgelegt werden, so wie im deutschen System die Höhe der Gebühr für eine Seite zwischen DM 0,00 und DM 9,99 vom Informationsanbieter möglich ist. Diese unterschiedliche Gebührenpolitik bringt nicht nur ein unterschiedliches Benutzerverhalten in den einzelnen Ländern hervor, sondern erzeugt wiederum technische und gebührenrechtliche Schwierigkeiten bei der Verbindung der unterschiedlichen VTX-Systeme. Das Resultat ist, daß trotz eines technisch Möglichen Verbundes, so wie er zwischen Frankreich und Deutschland versuchsweise schon installiert ist, der Zugang zu den Diensten oft gebührenrechtlich nicht möglich ist.

Deutsch-französische Btx-Friktionen

Neben dieser gebührenpolitischen Betrachtungsweise gibt es außerdem noch die technologiepolitischen Aspekte bei der Verbindung verschiedener Systeme in verschiedenen Ländern. Dies wird insbesondere am Beispiel Deutschland/Frankreich wiederum deutlich. Schon seit geraumer Zeit funktioniert ein Versuchssystem, das den Zugang vom deutschen in das französische System über einen Konvertierungsrechner ermöglicht. Rein technisch wurde dieses Problem zwar mit einigen Kunstgriffen, aber annähernd gelöst. Als sich dann aber die Frage stellte, den umgekehrten Weg ebenfalls einzurichten, um dieses Gateway-System zu öffnen, wurde die Entscheidung auf die technologiepolitische Ebene verlagert.

Was heißt dies? Frankreich versuchte, insbesondere durch Mithilfe seiner zur DGT gehörenden Organisation Intelmatique, Minitel-Terminals in Deutschland zu vermarkten.

Da diese Terminals mit einem enorm niedrigen Preis sicherlich eine Gefahr für die Entwicklung von CEPT-Terminals in Deutschland dargestellt hätten und auch der technische Sicherheitsaspekt beim Anschluß von solchen Geräten mit integriertem Modem an das deutsche Telefonnetz zu berücksichtigen ist, hat sich die Deutsche Bundespost noch nicht bereit erklärt, diese Endgeräte im Bildschirmtext-Bereich zuzulassen. Allerdings ist der Kostenaspekt ein wesentliches Argument für die Verbreitung von Bildschirmtext und sollte durchaus bei den Terminals im deutschen System berücksichtigt werden. Daraufhin hat Frankreich offensichtlich die Öffnung des beidseitigen Gateways zwischen beiden Ländern auf politischer Ebene bisher verhindert. Etwas hoffnungsvoller erscheint der geplante Versuch der Verbindung zwischen Deutschland und den Niederlanden über einen internationalen Gateway, der das oben beschriebene VI-Protokoll benutzt.

Sicherlich ist auch die Technik der Endgeräte, insbesondere was die Funktionstasten und Zeichenfolgen als Ersatz betrifft, sowie die Realisierung der Anwendungen unter Berücksichtigung der verschiedenen Protokolle und der Anwendungsstruktur ein Hinderungsgrund für die Probleme im grenzüberschreitenden Zugriff auf Anwendungen. Das bedeutet, daß bei der Realisierung der spezifischen Anwendungen auf die jeweilige Endgerätestruktur Rücksicht genommen wurde und eine Umsetzung zur Benutzung von einem anderen Endgerät damit erschwert st.

International anerkannter Standard als Ausweg?

Wie schon erwähnt, ist bei der Verabschiedung des CEPT-Standards für Videotex versäumt worden, die technologische Realisierbarkeit so weit einzugrenzen, daß Kompatibilität gewahrt ist. Bei den Kommunikationsprotokollen zwischen den Externe-Rechner-Systemen und Service-Rechnern und dem Netz liegen leider bis heute noch keine endgültigen internationalen Standards in allen Ebenen vor. Es bleibt jedoch zu hoffen daß auf der Basis der Vl-Protokolle ein international anerkannter Standard entsteht, auf dessen Basis eine Verbindung aller Systeme international möglich sein sollte.

Hier stellt sich automatisch die Frage, ob die Europäische Gemeinschaft mit ihren internationalen Aktivitäten im Bereich der Telekommunikation Lösungen schaffen könnte. Es gibt eine Reihe von Projekten, die sich mit der internationalen Verwendung von Videotex-Systemen beschäftigen. Hierzu gehört des Projekt Ovide für das Europäische Parlament, das einen multinationalen Standard beinhalten soll, und das Projekt Odin, das sich ebenfalls mit den unterschiedlichen Standards beschäftigt.