Kolumne

"Initialzündung für neue Marktordnung"

26.06.1998

Fusionen gehören heute zum Alltag wie das Amen zur Kirche. Große Aufmerksamkeit erregen sie in der breiten Öffentlichkeit höchstens, wenn es um so elementare Dinge wie der Männer liebstes Kind, das Automobil, geht. VWs Hochzeit mit der noblen Emily von Rolls Royce läßt grüßen.

Doch das VW-Management mag es uns verzeihen, die rund zwei Milliarden Mark Kaufsumme für die Briten sind "Peanuts". Seit gut zwei Jahren jagt in der DV- und TK-Branche eine Akquisition die andere und wechseln Unternehmen zu horrenden Beträgen die Besitzer. Mergers vom Kaliber Worldcom/ MCI (37 Milliarden Dollar), Compaq/Digital (neun Milliarden Dollar), 3Com/U.S. Robotics (6,6 Milliarden Dollar) etc. sprechen für die knallharte Dynamik zweier brutal umkämpfter Märkte.

Von besonderer Signalwirkung ist jedoch der jüngste Deal, der Kauf von IP-Spezialist Bay Networks durch den kanadischen TK-Konzern Nortel für neun Milliarden Dollar. Warum? Diese Übernahme scheint die Initialzündung für die Verschmelzung der TK- und DV-Märkte und damit einer künftig komplett neuen Wettbewerbsordnung zu sein. Sie zeigt, daß die TK-Hersteller nicht mehr ausschließlich in ihren gewohnten Sprachsphären schweben, sondern auch den Datenverkehr in ihr Kalkül einbezogen haben. Dabei geht es ihnen weniger um eine saubere, protokollarische Sprach-Daten-Integration - Stichwort Voice over IP oder ATM. Ihr Interesse richtet sich vielmehr auf das lukrative Backbone-Geschäft mit Großkunden und Carriern, einer Zielgruppe, der bei dieser Gelegenheit gleich End-to-end-Lösungen geboten werden sollen. Dazu benötigen die TK-Hersteller Know-how und Produkte der klassischen Networker.

Der Nortel-Bay-Deal spricht aber auch in anderer Hinsicht eine deutliche Sprache. Er beweist, wer von beiden Lagern am längeren Hebel sitzt - die TK-Produzenten. Sie sind aufgewacht, nachdem sich Cisco und Ascend durch die Übernahmen der ATM-Spezialisten Stratacom und Cascade anschickten, im TK-Revier Fuß zu fassen. Jetzt drehen sie den Spieß um. Auch Ericsson sowie Lucent sind auf Einkaufstour, und Siemens, das bereits mit Newbridge und 3Com kooperiert, wird Kaufinteresse an beiden Unternehmen nachgesagt. Als Übernahmekandidaten bleiben noch Ascend, Cabletron und selbst das im Networking so mächtige Cisco.