Inhouse-Netze - die neue Kommunikationstechnologie

21.05.1982

Dr Klaus Neugebauer Softlag GmbH, München*

Verschiedene große Hersteller bieten inzwischen Inhouse-Netzlösungen für Bürokommunikations-Anwendungen und ähnliche Aufgaben an, die den Verbund intelligenter Terminals und von Arbeitsplatzrechnern mit der verschiedensten Peripherie wie Qualitäts- und Laserdruckern, zentralen Datenbankrechnern für die Archivhaltung oder auch mit der "großen" EDV erfordern.

Die meisten derartigen Systeme beruhen auf Koaxialkabel-Technik. An das Kabel werden die zu verbindenden Endgeräte über Transceiver mit einer einfachen Sonde angekoppelt und senden jeweils die zu vermittelnden Nachrichten über das Kabel als "Äther" an alle anderen angeschlossenen Stationen - daher die Bezeichung "Ethernet" für das von Xerox entwickelte und von einer Reihe anderer bedeutender Anbieter in Lizenz übernommene System. Zahlreiche andere Unternehmen bieten - leider - inkompatible Lösungen mit ähnlicher Technologie an. Aber auch andere Ansätze sind in der Entwicklung: Die derzeit aussichtsreichsten dürften der Ausbau der ohnehin nach Einführung des digitalen Telefons in praktisch allen großen Unternehmen vorhandenen 64-KBaud-Nebenstellenanlagen zu lokalen Netzknoten sowie die derzeit wegen der benötigten Laser noch recht teure Lichtleitertechnik sein.

Erstaunlich vom Standpunkt eines Beratungs- und Entwicklungsunternehmens, das diese neuen Netztechnologien primär nicht aus der Sicht des Anbieters, sondern seiner Kunden, der sie anwendenden Unternehmen und Organisationen betrachtet, sind hier vor allem zwei zentrale Punkte, die merkwürdigerweise bis jetzt sowohl in der Hersteller als auch in der allgemeinen Literatur kaum Beachtung gefunden haben:

- daß vor allem die Koaxialkabel-Technik eine völlig neue Netztechnologie mit bisher unbekannten Leistungsmerkmalen ist und

- daß auf Grund dieser neuen Merkmale sich die Architektur der Daten- und Textverarbeitungssysteme einer typischen Anwendungsorganisation von Grund auf wandeln wird.

Der erste Punkt ist technisch begründet - er beruht auf der extrem hohen Bandbreite von Koaxialkabeln (typisch sind derzeit ein bis zehn MBit pro Sekunde) im Verein mit ihrer geringen Länge (etwa ein Kilometer in einem typischen Bürogebäude). Da in einem derart kurzen Kabel die Ausbreitungszeiten eines Signals um die fünf Mikrosekunden liegen, sind zum einen die Übertragungszeiten praktisch momentan. Zum anderen ist deshalb die hohe Datenrate auch von ausnutzbar: Da jede Station sofort hört, wenn eine andere sendet, kommt es in Koaxialkabelnetzen nicht zu den gefürchteten Zusammenstößen von nahezu gleichzeitig abgesandten Nachrichten, welche bei Broadcast-Netzen im freien Raum schon bei geringer Auslastung wegen der nötigen Sendewiederholungen zum lawinenartigen Zusammenbruch des Gesamtnetzes führen.

Was aber eine ausnutzbare Kanalkapaziztät von einigen Megabit pro Sekunde als Transportleistung bedeutet - das machen sich auch erfahrene Datenübertragungs-Spezialisten noch kaum klar. Es ist rund das Tausendfache einer üblichen öffentlichen DUE-Leitung: Ein Megabit sind etwa 30 DIN-A4-Seiten, die pro Sekunde transportiert werden.

Und damit sind wir bei Punkt zwei - den abzusehenden Änderungen der Systemarchitektur. Bei dieser Transportleistung braucht zum Beispiel ein schneller Laserdrucker nicht mehr einen Großrechner, um ihn zu versorgen, sondern er kann als gemeinsames Ausgabegerät für alle im Netz verbundenen Rechner direkt an das Kabel angeschlossen werden.

Auch für die Datenhaltung innerhalb der Organisation ergeben sich völlig neue Möglichkeiten. Der gemeinsame dedizierte Datenbankrechner, der die Rolle des Archivs oder der zentralen Ablage übernimmt, wird erstmals praktisch realisierbar: Das Übertragungsmedium ist leistungsfähig genug, auch größere Informationsmengen praktisch sofort vom Datenbankrechner zum persönlichen Arbeitsplatzrechner jedes Mitarbeiters zu liefern. Vor allem mit den neuen Massenspeichern extrem hoher Kapazität wie der optischen Speicherplatte läßt sich damit die übliche Struktur der Datenverwaltung jeder normalen Organisation unmittelbar im Bürokommunikationssystem "nachspielen": Die zentrale Ablage - natürlich mit einer automatisierten, Archivverwaltung" - und die eigene Datenhaltung im "Schreibtisch", das heißt dem persönlichen Arbeitsplatzrechner jedes Bearbeiters, etwa auf einer Winchesterplatte von einigen Millionen Zeichen Kapazität.

Die Archivierung auf einer optischen Speicherplatte ist praktisch unzerstörbar, die aufwendige Datensicherung entfällt, und der Datenbankrechner ist dem menschlichen Archivieren nicht nur bei der Informationssuche, sondern auch in der gewissenhaften Berechtigungsprüfung bei Zugriffswunschen mindestens gleichwertig. Die Daten jedes einzelnen Benutzers werden in seinem persönlichen Arbeitsplatzrechner auf die gleiche effektive Weise geschützt wie seit jeher üblich: Durch "Abschließen" oder einen entsprechenden , der leicht zu implementieren ist, da ja der Rechner und dessen integrierter Massenspeicher jedem Mitarbeiter ebenso ausschließlich "gehört" wie sein Schreibtisch. Die neuen lokalen Netztechnologien ermöglichen also erstmals verteilte Bürokommunikationssysteme, die weitgehend traditionellen Organisationsformen nachgebildet und damit einfach und sicher realisierbar sind, und die wesentlich besser an geänderte Anforderungen angepaßt werden können als zentrale Großrechnersysteme.

Eine "Aufrüstung" besteht nurmehr in der Anschaffung eines neuen Arbeitsplatzrechners zu vielleicht 20 000 bis 30 000 Mark für ein sehr komfortables, wenige tausend Mark für ein einfaches System. Die Einbindung dieses Rechners in das Bürokommunikationsnetz ist mit dem "Einstecken" der Sonde des Transceivers in das Kabel erledigt - ein wichtiger Gesichtspunkt vor allein auch für kleine und kleinste Anwender, die, beginnend mit dem Einzelplatzsystem, ihre Büroautomationslösung nun problemlos und kontinuierlich wachsen lassen können.

Allerdings - so bestechend die Koaxialkabel-Idec auch ist sie hat auch einen großen Nachteil. Ein Koaxialkabel ist ein "passives" Netz, das für die angeschlossenen Stationen keine Geschwindigkeitswandlung, keine Pufferung und keine Protokollanpassungen vornehmen kann. Das wäre nicht weiter schlimm, wenn sich alle wesentlichen Anbieter von Daten- und Textverarbeitungssystemen auf einen Standard geeinigt hätten. Das aber ist leider nicht der Fall, und damit steht vor allem der große Anwender, der sich nicht auf einen - oder einige kompatible - Hersteller beschränken kann, vor einem ernsten Problem: Wie integriert er seine Arbeitsplatz- und Großrechner?

Eine Lösungsmöglichkeit wurde inzwischen in einigen Organisationen erfolgreich erprobt: "aktive" Netzknoten wie "Mikronet", deren Kosten etwa im 10 000- bis 20 000 Mark-Bereich liegen. Sie können die in inhomogenen Netzen notwendigen Umsetzfunktionen übernehmen und sind deshalb eine wichtige Ergänzung für Netze wie "Ethernet."

-ermöglichen sie es doch dem Anwender, seine optimale, lokale Netzlösung zu planen.

Lokale Netze und die mit ihnen realisierbaren verteilten Systeme sind damit die eigentliche Grundlage der nächsten Generation der Datenverarbeitung. Erstmals nach der "dritten" bringen sie eine neue, für den Anwender relevante Systemarchitektur: das entsprechend seinen Aufgaben und Bedürfnissen verteilte, aber integrierte System. Zu vertretbaren Kosten, weil vor allem der Basissoftware-Aufwand viel geringer ist als bei zentralen Großrechnern, und optimal konfiguriert, weil die Inkompatibilitäten zwischen verschiedener Hardware zumindest überbrückbar sind.

*Softlab GmbH für Systementwicklung und EDV-Anwendung, Arabellastr. 13 - 15, 8000 München 81, Tel.: 089/9 25 21.

Aus: Impuls Zeitung, April/Mai 1982, Gemeinschaftsaktion Mittlerer Deutscher DV-Unternehmen.