Softwaremarkt: Fischsterben

Infratest-Studie stellt mangelndes Problembewußtsein der kleinen Anbieter festDer Markt für Anwendungs-Software in der Bundesrepublik Deutschland

15.02.1980

Im Rahmen des vom Bundesministerium für Forschung und Technologie geförderten Projektes "Maßnahmen zur Verbesserung der Softwareproduktion" hat das Wirtschaftsforschungsinstitut Infratest im Auftrag und in Zusammenarbeit mit der GMD (Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, St. Augustin) eine Bestandsanalyse des Softwaremarktes in Deutschland durchgeführt. Die wichtigsten Ergebnisse über die Struktur von Angebot und Nachfrage, die Leistungsfähigkeit der Softwareanbieter und die Versorgungslage der DV-Anwender sind im GMD-Sonderheft vom November 1979 erschienen. Autoren dieses Artikels sind: Ursula Neugebauer (Bereichsleitung), Detlev Dehn und Matthias Thomae (Infratest Wirtschaftsforschung).

Ziel der Untersuchung war es, die Marktstruktur, das Marktverhalten und die Wettbewerbssituation - insbesondere die geografische und wirtschaftliche Struktur der Software-Anbieter und die Versorgungslage der Anwender - zu analysieren und Tendenzen der künftigen Marktentwicklung aufzuzeigen.

Den fachwissenschaftlichen Bezugsrahmen der Marktstudie bildet die Wettbewerbstheorie. Aus den Denkmodellen der Wettbewerbstheorie wurden die Fragestellungen und die Kriterien zur Beurteilung der Marktsituation abgeleitet (Forschungsphase eins). Die wettbewerbstheoretischen Überlegungen waren die Basis für die Modellentwicklung zur empirischen Marktuntersuchung in Forschungsphase zwei und für die Diskussion der Entwicklungstendenzen in Forschungsphase drei durch die Marktexperten.

In Forschungsphase zwei wurden umfassende empirische Erhebungen bei DV-Anwendern, Nicht-Anwendern und Software-Anbietern durchgeführt. Die Stichprobenanlage basiert auf dem Konzept einer Befragung von (potentiellen) DV-Anwendern und "ihren" Auftragnehmern für Anwendungssoftware-Produkte beziehungsweise -Dienstleistungen. Durch diese Vorgehensweise können Anbieter- und Anwenderverhalten Einstellungen und Erfahrungen direkt verglichen und bestehende Marktbeziehungen quantifiziert und beschrieben werden.

Dieser Stichprobenansatz löste auch das Problem, daß ein vollständiges Verzeichnis aller - auch der kleinen Software-Anbieter- nicht existiert und daß bei einer Befragung nur "bekannter" (also zum Beispiel der im ISIS-Softwarekatalog verzeichneten) Anbieter eine wesentliche Anbietergruppe unberücksichtigt bleibt: die Kleinstunternehmen und die selbständigen Programmierer. Dies ist insbesondere deshalb problematisch gewesen, weil ein Schwerpunkt der Untersuchung in der Erfassung dieser kleinen Anbieter liegt.

1. Marktstruktur:

Auf den Anwendersoftware-Markt wirken sich vor allem vier Einflußfaktoren des DV-Marktes aus:

Die neuen Hardware-Konzepte, die einen Anwendungsschub bewirkt haben, durch die wirtschaftliche Realisierbarkeit

- neuer Einsatzgebiete (insbesondere Planungs- und Steuerungsaufgaben),

- neuer Nutzungsformen (insbesondere Dialogverarbeitung),

- bei neuen Anwendern (insbesondere Klein- und Mittelbetriebe).

Die enge Bildung der Anwender an den Hardware-Hersteller (DV-Nachfrage ist weitgehend eine komplementäre Nachfrage nach Hardware, Software und Unterstützung).

Das unzureichende Angebot der Hardware-Hersteller an Anwendungssoftware (insbesondere Standard-Anwendungssoftware).

Der enge Arbeit für DV-Fachkräfte.

Dies hat zu einer wachsenden Anwendungssoftware-Nachfrage der DV-Anwender und zu einer zunehmenden Zahl an Neu-Anwendern geführt:

Die Nachfrage der DV-Anwender auf dem Software-Markt hat sich in den letzten Jahren wesentlich erhöht: Zwei Drittel der DV-Anwender haben Produkte oder Dienstleistungen nachgefragt; im Durchschnitt wurden 45 000 Mark pro Jahr ausgegeben. Ein Drittel der Anwender arbeitet regelmäßig mit Software-Häusern, Programmierbüros oder anderen Software-Anbietern zusammen. Es ist damit ein deutlicher Wandel im Marktverhalten erkennbar: Da die eigenen Programmierkapazitäten zu 73 Prozent mit Wartungs- und Umstellungsaufgaben ausgelastet sind, die verbleibende Kapazität für geplante Anwendungen bei nur 25 Mann-Monaten pro Jahr liegt, haben die Anwender 1978 im Durchschnitt 60 Prozent der neuen Anwendungen extern bezogen.

Diese starke Marktorientierung ist ausgeprägter bei "jüngeren" als bei "älteren" Anwendern und häufiger bei kleinen und mittleren als bei großen Anwendern.

Die Zahl der kleinen Neu-Anwender ist in den letzten Jahren gestiegen und wird weiter wachsen: Jährlich installieren etwa vier Prozent aller Betriebe ab zehn Beschäftigten erstmals ein eigenes System. Die DV-Anwendung diffundiert dabei sehr viel stärker im Bereich der kleinen Betriebe: Über die Hälfte der Neuanwender waren Betriebe mit weniger als 50 Beschäftigten. Diese Neuanwender nehmen in der Regel ständig externe Unterstützung in Anspruch.

Daß diese rapide Entwicklung des Anwendungssoftware-Marktes nicht zu einer stabilen Marktlage geführt hat, ist erklärlich. Hohe Zugangsraten bei den Nachfragern und eine erkennbare Fluktuation auf der Anbieterseite deuten auf einen Markt in einer Übergangssituation hin. Die Analyse der Anwender- und Anbieterstruktur und des Verhaltens zeigt offene Probleme auf.

2. DV-Anwender

2. 1 Struktur der DV-Anwender

Durch die große Zahl kleine Anwender hat sich in den letzten Jahren die polypolitische Nachfragestruktur verstärkt. Die Mehrzahl der DV-Anwender (75 Prozent) gehört heute bereits zur großen Gruppe der Kleinbetriebe und kleinen Mittelbetriebe mit 10 bis 99 Beschäftigten. Knapp die Hälfte dieser kleinen Betriebe kommt aus dem verarbeitenden Gewerbe (einschließlich Baugewerbe).

Bildung von DV-Anwendertypen

DV-Ausstattung, Betriebsgroße und die Unternehmenstätigkeit stehen in einem charakteristischen Zusammenhang. Die Gruppierung der DV-Anwender nach jeweils nur einem dieser Merkmale vermittelt aber ein unvollständiges Bild der komplexen Struktur der DV-Anwender. Durch eine multidimensionale Strukturanalyse ("Cluster Analysis") wurden die Strukturmerkmale simultan verarbeitet, um in sich homogene Anwendergruppen zu ermitteln.

Zur Gruppenbildung wurden folgende Merkmale der Betriebsstruktur und des DV-Einsatzes ausgewertet, von denen Art und Umfang der Software-Nachfrage wesentlich bestimmt werden: Anzahl der Beschäftigten im Betrieb, Wirtschaftsbranche, Stellung des Betriebes in der Unternehmensorganisation, Preisklasse des im Betrieb installierten DV-Systems sowie Anzahl der im Unternehmen installierten DV-Systeme.

Die multivariate Strukturanalyse dieser Merkmale erbringt vier in sich gleichartige, sich voneinander aber stark unterscheidende Typen. Wichtige Klassifikationsmerkmale sind die Anzahl der Beschäftigten, die Anzahl und Größe der installierten DV-Systeme sowie die Stellung des Betriebes in der Unternehmensorganisation (Ein- und Mehrbetriebsunternehmen). Der Einfluß der Branchenzugehörigkeit der Betriebe ist dagegen so schwach ausgeprägt, daß er nicht wesentlich zur Typenbildung beiträgt (Grafik zwei).