Informationsverarbeitung im Chefzimmer

12.05.1989

Professor Dr. Norbert Szyperski , Vorsitzender der Geschäftsführung der Mannesmann Kienzle GmbH

Die Führungskräfte in der Wirtschaft und öffentlichen Verwaltung-Vorstände, Geschäftsführer, Behördenleiter Direktoren-haben längst die Bedeutung der Informationstechnik als zentrales strategisches Instrument erkannt. Sie investieren entsprechend und setzen die Systeme in ihren Verwaltungen und Betrieben angemessen ein. Großrechner für die Massen-Datenverarbeitung sowie Bürokommunikationscomputer für die verteilte DV sind ebenso der Verbesserung der Wettbewerbssituation in hohem Maße dienlich wie die "C-Techniken", die von Produktionsplanungssysstemen (PPS) über computerunterstütztes Entwickeln und Fertigen (CAD/CAM) bis zur computerintegrierten Produktion (CIM) und zum computerintegrierten Transport (C.I.T.) reichen. Damit zielt man sowohl auf eine funktionale Differenzierung zur Konkurrenz wie auf eine überlegene Konditionierung, die ein Unternehmen von den informationstechnischen Systemen und ihrer Programmvielfalt profitieren lassen.

Ein Wettbewerbsfaktor, dessen Beeinflussung durch die Informationstechnik bisher wohl noch zu wenig beachtet wurde, ist der "Response-Wettbewerb". Darunter ist die Schnelligkeit der Reaktion auf Anforderungen und Anfragen welcher Art auch immer zu verstehen. Als Entscheidungskriterium sieht zum Beispiel der heutige Geschäftspartner oft nicht nur die Ausgestaltung des Produkts und den Preis an, sondern er fragt auch, wie schnell seine Anfragen und Wünsche beantwortet werden.

Man betrachte das bitte vor dem Hintergrund der neuen Medien, die von Telefax über Teletex bis zu Bildschirmtext und elektronischer Post-alles wesentliche Bestandteile der Unternehmenskommunikation-reichen.

Freilich, sieht man einmal vom Telefon ab, so hat die Anwendung der Telekommunikation bei den Führungskräften selbst immer noch Seltenheitswert. Und dies, obwohl der schnellen und rechtzeitigen Verarbeitung und Weitergabe von Führungsinformationen im Response-Wettbewerb auch insofern wachsende Bedeutung zukommt, als Ansprechzeit und Ansprechbereitschaft der möglichen Gesprächspartner - zum Beispiel infolge der kontinuierlichen Arbeitszeitverkürzung - eher einer abnehmenden Tendenz zu unterliegen scheinen. Dem kann die Informationstechnik als ideales Medium zur Bewältigung zeitlich versetzter Kommunikationsprozesse entgegenwirken.

Aber nicht nur die vorgenannten Faktoren gelten als Argument für die Anwendung informationstechnischer Medien durch leitende Personen, sondern auch generelle Wirtschaftlichkeitsüberlegungen lassen sich anführen. Beispielhaft kann dies durch die Gegenüberstellung der Verteilung einer hausinternen Notiz einmal auf konventionellem Wege und zum anderen mit Hilfe der Informationstechnik verdeutlicht werden.

Im ersten Fall wird die Nachricht oder Anweisung handschriftlich vorformuliert oder per Diktat dem Sekretariat übergeben, dort niedergeschrieben und in Reinform dem Vorgesetzten zur Vorlage gebracht. Dieser liest, zeichnet gegen, bringt Korrekturen an - zu guter Letzt wird das Papier über die hausinterne Post verteilt.

Dagegen sieht der Prozeß bei dem durch den Manager selbst angewandten computerorientierten Verfahren viel einfacher aus: Er gibt die Botschaft unmittelbar in das auf seinem Schreibtisch verfügbare Terminal, so daß sie quasi zeitlos den Empfänger oder Verteiler als elektronische Post erreicht. Auf diese Weise können nicht nur erhebliche Zeiteinsparungen erzielt , sondern auch eine Vielzahl von kostenwirksamen Arbeitsgängen vermieden werden.

Das Desktop-Terminal gestattet darüber hinaus auch den Zugriff auf Informationen interner oder externer Datenbanken sowie die Modellierung spezifischer Entscheidungssituationen im Sinne von "Was wäre wenn?" - Abfragen.

Dies bedeutet natürlich nicht, daß der Chef künftig etwa alles selber machen sollte. Er muß sich aber die Frage stellen, inwieweit alte, vielleicht sogar liebgewordene Verhaltensweisen unter den heutigen Wettbewerbsbedingungen und informationstechnischen Möglichkeiten noch angemessen sind.

Leider ist die Realität von einer informationstechnischen Integration der "Chefetage" in den meisten Fällen noch recht weit entfernt. In hierarchisch gehobenen Positionen ist das Terminal auf dem Schreibtisch noch die rühmliche Ausnahme, wobei, im Falle des Vorhandenseins, nicht einmal ausgeschlossen werden kann, daß es mehr oder weniger dekorativen Zwecken dient.

Mir stellt sich daher die Frage, wo die Ursachen hierfür zu suchen sind. Manche Beobachtungen deuten darauf hin, daß ein bestimmtes Statusdenken häufig eine wesentliche Rolle spielt: Man hat sich - mögen die Gründe auch stichhaltig gewesen sein - früher unter keinen Umständen an die Schreibmaschine gesetzt und nahm dieses Vorurteil mit hinüber in die veränderte Welt des elektronischen Zeitalters. Dabei hat manch ein musikliebender Manager keinerlei Bedenken, in die Tasten eines Klaviers zu greifen - oder wäre glücklich, würde er eine solche Kunst beherrschen.

Ein Prozeß des Umdenkens ist angesagt. Er kann nicht von heute auf morgen erfolgen, aber er ist unausweichlich. Wer dies erkennt und begreift wird das Instrumentarium und die Werkzeuge, die unsere Zeit bieten, gerne nutzen.

Nachdruck mit freundlicher Genehmigung aus Blickpunkt Magazin Nr. 10/89