Informationstechnik als Wirtschaftsfaktor

15.11.1985

In der Informationstechnik liegen für die Zukunft vielerlei Chancen und Spielräume, wobei sich allerdings die Frage stellt, ob man an ihrer Ausgestaltung aktiv teilnehmen möchte oder sich auf den Nachvollzug beschränkt und die Initiative des Handelns anderen überläßt. Die Antwort für die Bundesrepublik Deutschland ist eindeutig. Eine Industriegesellschaft, die weiterhin eine Rolle im Konzert technischer und wirtschaftlicher Führung spielen will muß Innovation und Wandel als Herausforderung zu aktivem Engagement annehmen.

Es ist eine Binsenweisheit, daß die Bundesrepublik ihren Reichtum als Industrienation nicht aus natürlichen materiellen Ressourcen, sondern allein aus ihrem Humankapital und durch Ausschöpfung der Vorteile des technischen Fortschritts bezieht. Daraus resultieren die Bedingungen unseres wirtschaftlichen und sozialen Handelns. Zugleich resultieren daraus bestimmte Stärken und Schwächen unserer Wettbewerbsfähigkeit. Ich bin nicht der Ansicht, daß - wie gelegentlich in den USA behauptet - die Bundesrepublik den Anschluß in den wettbewerbsbestimmenden Hochtechnologien verloren hat. Allerdings sind wir manchmal zu schwerfällig, gelegentlich auch zu phantasielos. Die Herausforderungen an dieser Stelle sind vielfältig.

Wir müssen moderne Fertigungsmöglichkeiten intensiver nutzen, um unsere industrielle Produktivität zu erhöhen; weiterhin müssen wir moderne Technologien, vor allem die Mikroelektronik, mehr als bisher einsetzen, um bei hochwertigen traditionellen Produkten weiterhin wettbewerbsfähig zu bleiben, sowie dafür sorgen, daß innovative technische Ideen rascher in marktfähige Produkte umgesetzt werden und dadurch neue Anwendungen und Märkte erschlossen und von uns besetzt werden können.

Wir müssen als Hersteller wie als Anwender dazu beitragen, daß in der Bundesrepublik rechtzeitig eine moderne Informationsinfrastruktur geschaffen wird - noch haben wir die Chance, international hier eine Vorreiterrolle zu spielen. Schließlich müssen wir uns andererseits auch in der Informationstechnik mehr nach dem Weltmarkt ausrichten, gleichzeitig jedoch die gerade auf diesem Gebiet besonders nachteilige Zersplitterung des europäischen Marktes überwinden.

Bei einer neuen Technologie liegen Zugewinn und Gefahr, Nutzen und Mißbrauch stets dicht beieinander. Das ist weniger eine Eigenschaft der Dinge als vielmehr Ausdruck mangelnder Erfahrung im Umgang mit ihnen. Die Geschichte der Technik hat dies immer wieder gezeigt: bei der Mechanisierung der Fabriken, dem Bau der Eisenbahnen, der Elektrifizierung des Landes, der Einführung des Rundfunks, der Entwicklung des Autoverkehrs.

Heute gerät die Informationstechnik gelegentlich in den Verdacht, mehr Schaden als Nutzen zu stiften: Eine neue Art modernen Raubrittertums durch unberechtigte Aneignung von Information macht von sich reden; viele Bürger leben in der Sorge, daß Institutionen von Staat und Wirtschaft in ihre Privatsphäre eindringen und sie zu "gläsernen Menschen" machen; mit der Vision von der Informationsgesellschaft verbindet sich bei manchen der Alptraum von einer Informationsüberflutung, die unkontrolliert und wertezerstörend über uns hereinbricht und vor der es kein Entrinnen gibt. Selbst wohlmeinende, besonnene Kritiker weisen uns auf Signale möglicher Fehlentwicklungen hin. Hier ist viel von seiten der Politik zu tun, doch ich meine, daß auch wir als Unternehmer gefordert sind.

Im betrieblichen Bereich muß die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen strikt und glaubwürdig gewährleistet sein. Dabei geht es in aller Regel weniger darum,

Böswilligkeiten vorzubeugen als Sorglosigkeiten zu vermeiden.

Wir sollten uns stets genau überlegen, welche Information wir an welcher Stelle tatsächlich brauchen. Ein Weniger an Quantität kann mitunter ein Mehr an Qualität bedeuten. Denn alles, was gesammelt wird, muß auch laufend aktualisiert, vor Störungen geschützt und verwaltet werden.

Damit die Informationstechnik als künftiger Wirtschaftsfaktor zum Tragen kommt, ist ein weitgehender Konsens der Gesellschaft notwendig. Ein solcher Konsens kommt nur schwerlich zustande, wenn er durch die Macht des Faktischen erzwungen werden soll. Wir müssen ihn daher sorgfältig vorbereiten, müssen rechtzeitig für Übergänge bei den besonders betroffenen Berufsgruppen sorgen und uns auch auf die politische Diskussion einlassen - als Unternehmer wie als Fachleute.

Unsere Gesellschaft kommt letztlich nicht darum herum, Antworten auf die derzeitigen Arbeitsmarktprobleme zu finden. Wir alle tragen hier Mitverantwortung. Die Unternehmer sehen diese Mitverantwortung als besondere Aufgabe und Verpflichtung.

Es hat sich mittlerweile weitgehend herumgesprochen, daß die These vom "Computer als Jobkiller" zu kurz greift. Die vor einigen Wochen in Bonn vorgestellten Ergebnisse einer vom Bundesministerium für Forschung und Technologie in Auftrag gegebenen Studie haben nochmals deutlich gemacht, daß Technologisierung, Produktivitätswachstum und Arbeitsplatzentwicklung weitaus komplexer miteinander zusammenhängen, als häufig angenommen wird. So stellt sich zum Beispiel heraus, daß Arbeitsplatzverluste gerade in solchen Branchen verstärkt auftreten, in denen am wenigsten Innovation stattfindet. Es gibt keinen zwingenden Grund, daß der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, wir also einer technologischen Massenarbeitslosigkeit entgegengehen.

Es gibt ebenso keinen Grund zu der Befürchtung, daß wir in eine zweite Bildungskatastrophe hineinstolpern, ausgelöst durch den zunehmenden Bedarf an Fachleuten. Wir verfügen über ein Bildungssystem, das sich in seiner Struktur bewährt hat, wenn wir auch manchmal wünschen daß es noch etwas an Effizienz gewinnt - vor allem im Bereich der Hochschule. Doch Lernen und Umlernen wird mehr und mehr zu einem das ganze Arbeitsleben begleitenden Prozeß. Die Unternehmer müssen sich rechtzeitig und nachhaltig um die Weiterbildung der Mitarbeiter kümmern und zudem mithelfen daß Schulen, Lehrlingsausbildung und Hochschulen den zukünftigen Berufsanforderungen gerecht werden können. Der Schlüssel zu gerechter Arbeitsverteilung und zur Bewältigung des technologischen Fortschritts im Arbeitsleben liegt nicht in einer Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung, sondern in der beruflichen Qualifizierung möglichst vieler Arbeitnehmer.