Informationstechnik als strategisches Instrument

18.05.1984

Die Rolle der Informationstechnik wandelt sich. Wir werden sie in Zukunft immer weniger als defensives Rationalisierungshilfsmittel einsetzen, sondern als offensives und strategisches Instrument zur Erringung von Wettbewerbsvorteilen:

- Wahrnehmen von Geschäftschancen

- größere Marktnähe

- rasches Eindringen in neue Märkte

- Flexibilität und damit weniger Risiko.

Rationalisierung/Effizienzsteigerung und strategische Bedeutung sind Dimensionen, die nicht auf eine einzige projiziert werden dürfen. Der Versuch, die strategische Bedeutung eines Vorhabens in Mark-Beträgen ausdrücken zu wollen, muß daher fehlschlagen.

Hilfreich und anschaulich ist hingegen eine Portfolio-Analyse, bei der wir Vorhaben als Projekte in einer Matrix einsetzen, die durch die Dimensionen "Wirtschaftlichkeit" (Effizienz) und "Strategische Bedeutung" (neue Geschäftschancen, Wettbewerbsvorteile) gekennzeichnet ist.

Am "besten" sind natürlich Vorhaben, die sowohl den strategischen Zielen dienen als auch wirtschaftlich sind, das heißt geringe Kosten verursachen oder sogar unmittelbar Kosten sparen.

So kann die Lohnabrechnung als Beispiel für ein Projekt mit niedriger strategischer Bedeutung, aber mit hoher Wirtschaftlichkeit dienen: Das manuelle Verfahren wird automatisiert. Andererseits kostet ein Hotelreservierungssystem für ein Touristikunternehmen nur Geld und senkt kaum andere Kosten, doch eröffnet es neue Marktchancen.

Electronic Banking spart Geld (indem Kunden beispielsweise über Bildschirmtext ihre Transaktionen selbst veranlassen) und erschließt darüber hinaus auch neue Kundenkreise, zum Beispiel in Regionen, in denen eine Bank nicht mit Filialen präsent ist.

Andere Beispiele sind Büroautomation, Auftragsabwicklung oder CAD, die in beiden Dimensionen, jedoch in unterschiedlichem Maße, wirken. Diese Form der Darstellung macht den relativen Wert unserer Vorhaben zum Teil überraschend transparent. Das ist dringend notwendig, wenn wir unsere Prioritäten richtig setzen wollen.

Offen bleibt die Frage nach einem Maßstab für die strategische Bedeutung eines Vorhabens - soweit eine solche Frage überhaupt sinnvoll ist. Denn damit versuchen wir nicht mehr und nicht weniger als unternehmerische Intuition und Weitblick zu objektivieren und zu messen.

Ich möchte hier den gedanklichen Ansatz wagen, daß es zumindest einen Maßstab für die "strategische Fitneß" gibt. Dieses Maß für die "strategische Fitneß" ist das Tempo, mit dem wir im Markt, im Wettbewerb, agieren:

- die Geschwindigkeit, mit der wir unsere Entscheidungen treffen;

- die Geschwindigkeit, mit der wir Produkte zur Marktreife bringen;

- die Geschwindigkeit, mit der wir auf Anfragen vom Markt antworten;

nach dem alten Motto "Zeit ist Geld".

Um Mißverständnisse zu vermeiden, sei wiederholt: Es geht hier nicht um Tempo oder abnehmende Zeit im Sinne von Arbeitsgeschwindigkeit oder abnehmender Arbeitszeit, sondern um die "Bottom-line"-Geschwindigkeit, die Durchlaufzeit zwischen Anlaß und Ergebnis, gleichgültig, ob während dieser Zeit "gearbeitet" wird oder nicht.

Ich möchte ein Beispiel aus dem eigenen Unternehmen anführen, nämlich die Einführung von Textverarbeitung mit Bildschirm, mit Textspeichern und Textverwaltung. Dieses System spart uns dank der leichten Korrekturmöglichkeiten sicher Aufwand. Zuvor hatten wir die übliche "Textbearbeitung by Tipp-Ex". Strategisch wichtiger ist jedoch, daß wir Angebote, für die wir zuvor mindestens eine Woche Zeitstrecke kalkulieren mußten, jetzt in zwei Tagen aus dem Haus bekommen, mit allen Ideen der letzten Minute. Damit stehen wir besser da im Wettbewerb.

Es gibt viele Beispiele, in denen moderne Informationstechnik das Tempo steigert:

- Abfrage von Lieferfähigkeit, Lagerbeständen, Lieferzeit

- Reaktion auf Kundenanfragen

- Kontenstandprüfung, Bonitätsprüfung

- Cash-Management

- Erkennen von Problemen (Ferndiagnose, Erkennen von Nebenwirkungen von Medikamenten)

- Variantenfertigung, flexible Fertigung

- Kundennahe Bestellsysteme.

Ich glaube, daß es sinnvoll ist, dieses Maß des Tempos auch einmal an das eigene Unternehmen anzulegen, seine strategische Fitneß zu messen. Entsprechende Kennzahlen aufgezeichnet in einer Zeitreihe oder - mit aller gebotenen Vorsicht - auch im überbetrieblichen Vergleich, helfen ein Stückehen weiter. Die Bedeutung dieses Maßstabes soll in zwei Anmerkungen verdeutlich werden:

(1) Achten wir bei einem Projekt auf das Ziel der Temposteigerung, so entfaltet es nicht nur strategische Wirkung, sondern hat als Sekundärwirkung meistens auch Effizienzsteigerungen zur Folge:

- Tempo heißt Bewegung. Damit nutzen wir Kapital besser, das sonst "tot" wäre.

- Tempo deckt Schwachstellen auf, indem beispielsweise zeitliche Puffer, die im Büro oder in der Fertigung bestehen, herausgenommen werden. Dort können dann effizienzsteigernde Maßnahmen ergriffen werden.

Wenn wir auf mehr Tempo in unseren Büros zielen, dann erzwingen wir Änderungen in unseren Organisationen. Zum Beispiel eliminieren wir den unseligen Taylorismus. Durch Einsatz moderner Informationstechnik werden diese neuen Organisationsformen möglich.

Zum Beispiel ist es höchst aufschlußreich, die schrittweise Verkürzung der Zeit bis zur Abgabe eines Angebotes zu durchdenken. Verkürzt man diese Zeit von vielleicht bisher zwei Wochen auf eine Woche so reichen schon triviale Maßnahmen aus: bessere Organisation der Hauspostverteilung, Einsatz von Schreibautomaten für eine rationelle Schriftsatzerstellung. Eine weitere Verkürzung der Zeitspanne - sagen wir auf drei Tage - läßt im allgemeinen die grundsätzlichen Grenzen der hergebrachten Organisation sichtbar werden wie das arbeitsteilige und sequentielle Bearbeiten, die Probleme der Vertretungsregeln bei Entscheidungen.

Wir werden damit automatisch zur integrierten Sachbearbeitung und zur Nutzung entsprechender Informationstechnik geführt. Die vielen geistigen Rüstzeiten, die in einer arbeitsteiligen Bearbeitungskette anfallen, beseitigen wir: eine Stunde für das Einarbeiten in die Akte und für das Bearbeiten fünf Minuten. Ich glaube, damit wird die Sekundärwirkung des Tempobewußtseins plausibel.

(2) Die zweite Anmerkung gilt den Merkmalen "Qualität" und "Geschwindigkeit". Wenn wir Investitionen in die Informationstechnik rechtfertigen wollen, arbeiten wir meistens mit zwei Argumenten: mehr und bessere Informationen heißt bessere Entscheidungen schnellere Informationen heißt schnellere Entscheidungen. Die Gewichte kann man unterschiedlich setzen.

Auf Entscheidungsqualität setzen heißt im Extrern allseitig abgesicherte Entscheidung nach (unendlich) langer Zeit. Geschwindigkeit heißt im Extrem: Eine schlechte Entscheidung ist besser als keine Entscheidung.

Geschwindigkeit muß ja nicht heißen, nach dem Motto "Was geht mich mein Geschwätz von gestern an" leichtherzig einmal getroffene Entscheidungen über Bord zu werfen. Aber wenn wir in der Lage sind, uns schnell an neue Randbedingungen anzupassen, unsere Entscheidungen angemessen zu revidieren und die notwendigen Maßnahmen schnell zu verwirklichen, stehen wir nicht schlecht da im Markt.

Ganz unabhängig sind freilich auch Geschwindigkeit und Qualität nicht voneinander. Auf Tempo achten heißt meistens, daß wir uns - im Sinne einer besseren Qualität - auf das Wesentliche konzentrieren.

*Dr. Gerhard Adler, Geschäftsführer der Diebold Deutschland GmbH, Frankfurt