Schnittstelle zwischen Technokrat und Strategen:

Informationsmanagement als Maß für DV-Chef

20.07.1984

Mit hochfliegenden Plänen und vielen guten Ratschlägen von Seminar-Gurus und Fachjournalisten sind Die EDV-Chefs in die achtziger Jahre aufgebrochen. Der Aufstieg zum allmächtigen Informationsmanager mit Verantwortung über Organisation und Datenverarbeitung, Büroautomation und Kommunikationsnetze wurde ihnen geweissagt. Aber nur bei den wenigsten ist der Durchbruch gelungen und das Türschild ausgewechselt worden. Die meisten EDV-Bereiche dagegen stehen weiterhin als Konfliktabteilungen da mit einem Berg ungelöster Probleme. Und im allgemeinen wird der DV-Verantwortliche nicht selten lediglich als ein Technokrat betrachtet, der sich selbst in das Abseits gespielt hat.

Was haben wir EDV-Leiter falsch gemacht oder vergessen, lautet die bange Frage. Jeder kann aufgrund des kleinen Fragenkatalogs selbst testen, ob er zu Recht den Schwarzen Peter in der Hand hat:

- Kann ich auf die in den beiden letzten Jahren fertiggestellten Projekte stolz sein?

- Habe ich eine aktuelle Gesamtkonzeption für Hardware, Software und Projektfolge, die mit der Geschäftsleitung und allen betroffenen Fachbereichen abgestimmt ist?

- Habe ich die Kosten der Datenverarbeitung in einem Budget für alle wesentlichen Kostenblöcke fest im Griff?

- Betrachte ich die Fachbereiche als mündige Partner und behandle sie entsprechend?

- Sind die Fachbereiche mit dem Service, den ich ihnen als Dienstleistungsstelle biete, zufrieden? Werden die Anwender rechtzeitig und vollständig informiert und ausreichend motiviert?

- Sind die Mitarbeiter im EDV-Bereich auch in Fragen der Organisation ausreichend geschult und qualifiziert?

- Ist die Aufbau- und Ablauforganisation des EDV-Bereichs so gut, daß sie den Fachbereichen als Vorbild dienen kann?

- Ist die System- und Programmdokumentation so aussagefähig und aktuell gehalten, daß Programmänderungen mit einem Minimum an Aufwand auch bei einem Personalwechsel in einer angemessenen Zeit durchgeführt werden können?

Nur wenige DV-Leiter können wohl mit gutem Gewissen diesen kleinen "Beichtspiegel" in allen Punkten mit Ja beantworten.

Aus der Sicht der Geschäftsleitung fallen besonders die folgenden Mängel im DV-Bereich ins Gewicht:

- keine ausreichende Befriedigung der Informationsbedürfnisse der Geschäftsleitung

- unbefriedigende Langfristkonzeptionen

- mangelhafte Beherrschung der Projektkosten und -termine

- unzureichender Service für die Fachbereiche und mangelnde Zusammenarbeit mit diesen

- Zurückstellung der Unternehmensinteressen gegenüber den Abteilungsinteressen des DV-Bereichs.

Was ein DV-Leiter zu seiner Verteidigung vorzutragen hat, wird wegen der ständigen Wiederholung heute nicht mehr ernst genommen: die Hektik des Geschäfts, die Schwierigkeit der Projektarbeit und die Schwerfälligkeit der Anwenderbereiche.

Gemessen an den anderen Führungskräften eines Unternehmens ist das Bild des EDV-Leiters häufig immer noch negativ: einseitig DV-technisch ausgerichtet, ohne eine klare Konzeption, unsicher in den Planungen und führungsschwach.

Noch härter als die Vorhaltungen von seiten der Unternehmensleitung wirkt oft die Kritik der Fachbereiche. Ihre Erwartung wurde in den letzten Jahren hochgeschraubt. Die Führungskräfte und Mitarbeiter der Fachabteilungen können die Schwächen der EDV heute besser beurteilen. Ihre Kritik umfaßt dabei gegenwärtig Kernpunkte, wie auf ständiges Flickwerk statt integrierte Lösungsvorschläge oder schwerfällige und rein DV-technisch orientierte Konzeption zu setzen. Weiterhin überhöhte Entwicklungs- und Programmpflegekosten ebensowenig zu beachten wie Überheblichkeit und Selbstgefälligkeit der EDV-Mitarbeiter; keine konstruktive Zusammenarbeit mit den Anwendern zu betreiben. Und ernsthafte Ansätze, die mangelnde Fähigkeit zur Projektführung zu verbessern, fehlen im gleichen Maße wie die Beseitigung von ständigen Terminverzögerungen.

Der häufige Versuch, die EDV-Abteilung durch direkte Kontakte mit Anbietern von Kleincomputern und Software auszuschalten, zeigt deutlich genug, wie wenig man den eigenen EDV-Leuten zutraut.

Es ist dem DV-Management bisher überwiegend nicht gelungen, das vorhandene Know-how auf die Führungskräfte und Mitarbeiter der Fachbereiche im erforderlichen Umfang zu übertragen und sie zufriedenzustellen.

Es ist höchste Zeit, daß in vielen EDV-Abteilungen eine radikale Neubesinnung vorgenommen wird. Sie muß das gestärkte Selbstbewußtsein der Fachbereiche und die höheren Anforderungen der Unternehmensleitung berücksichtigen und kann zu einer wesentlichen Veränderung und Ausweitung der Zielsetzung des DV-Bereichs führen.

Künftig sollten weniger DV-technische Gesichtspunkte im Vordergrund stehen, sondern mehr umfassendere Zielsetzungen der organisatorischen Verbesserung und Rationalisierung.

Die DV-Abteilung muß die Fachbereiche stärker in die Gesamtplanungen und die Abwicklung von Umstellungs- und Reorganisationsvorhaben einbeziehen.

Für Projekte ist eine Aufbau- und Ablauforganisation zu schaffen, die den Anwender von den Zielsetzungen bis zur Abnahme fest in den Ablauf einbindet, etwa gemeinsame Planungs- und Überwachungsgremien, Einsatz von EDV-Koordinatoren etc.

Es sind Arbeits-, Darstellungs- und Dokumentationstechniken und Endbenutzersprachen zu verwenden, welche dem Anwender die Möglichkeit zur Mitarbeit geben.

Eine gemeinsame Schulung von EDV-Spezialisten und Fachbereichsmitarbeitern sollte dort vorgenommen werden, wo bisher häufig die Wurzel vieler Mängel der Projektabwicklung liegt: in praktischen Arbeitsmethoden der Problemanalyse, Anforderungsspezifikation und der Soll-Konzeption. Gerade hier bietet sich die Möglichkeit einer verstärkten Mitgestaltung von Organisationssystemen durch Fachbereichsmitarbeiter an.

Möglicherweise muß ein EDV-Leiter abteilungsinterne Projekte zur Einführung neuer Softwaretools zurückstellen, um sich verstärkt dem Anwender und seinen Problemen zuwenden zu können. Wahrscheinlich muß er sich auch persönlich aus seiner Spezialistenrolle herauskatapultieren, die ihn gefangen hält. Organisation, strategisches Denken, Führungswissen, Controlling und Partnerschaftsverhältnis zu den Fachbereichen sollten seine neuen Schwerpunkte heißen. Er kann nicht mehr - wie bisher - in einer Person Hardware-, Software- und Leitungsnetzexperte sein. Vielleicht gelingt es ihm dann, sich aus dem Abseits des reinen Technokraten herauszumanövrieren und zum akzeptierten System- und Informationsmanager zu avancieren.

Dr. Bruno Grupp ist Fachautor und selbständiger Unternehmensberater in den Bereichen EDV-Beratung und EDV-Training, Mainz-Bretzenheim.