Informationskultur ist Teil der Unternehmenskultur

21.12.1990

Die Beschäftigung mit der Unternehmenskultur ist keine Fleißaufgabe erfolgt auch nicht um ihrer selbst willen. Denn Unternehmenskultur ist vielmehr ein wichtiger Erfolgsfaktor, der - substantiell analysiert und sinnvoll gestaltet - zur langfristigen Absicherung strategischer Potentiale beiträgt. Christian Scholz* zeigt in einer dreiteiligen Folge das Warum und Wozu von Unternehmenskultur, aber auch ihre pathologischen Entwicklungen.

Vier zentrale Kulturprinzpien leisten wertvolle Hilfestellung, sie sind sowohl auf die Unternehmenskultur generell wie auch auf die Informationskultur anwendbar. Sie ermöglichen ein realistisches "Kulturverständnis" und eine sinnvolle Gestalltung der Unternehmenskultur. Ein wichtiger Faktor für die gesamte Unternehmenskultur ist die Informationskultur eine Unternehmens. Sie bringt grundsätzliche Werteorientierungen des Unternehmens wie Hierarchiebewußtsein oder teambezogenes beziehungsweise individuelles Leistungsstreben zum Ausdruck. Daher verdient sie eine gesonderte Betrachtung. Die vier Erfolgsprinzipien der Unternehmenskultur können dann explizit auf die Informationskultur angewendet werden, um sie als Gestaltungsfaktor einsetzen zu können.

Organisations- oder Unternehmenskultur?

Organisationskultur als Oberbegriff umfaßt auch die "Kultur" von Krankenhäusern, Vereinen, diversen Non-profit-Institutionen sowie Universitäten. Sie alle sind Organisationen und haben deshalb eine "Organisationskultur". Unternehmen als spezielle Form von Organisationen haben daher eine "Unternehmenskultur". Wie aber stehen Unternehmen zur Unternehmenskultur? Einige exemplarische Antworten:

"Wir stecken in einer Krise, da haben wir für so etwas Philosophisches wie die Unternehmenskultur keine Zeit." "Unternehmenskultur ist schwer faßbar, also sollte man sich nicht mit ihr befassen!" "Den Umgang mit Unternehmenskultur kann man nicht lernen, das ist mein Naturtalent." "Erst verändern wir die Unternehmensstrategie, dann beschäftigen wir uns vielleicht mit Unternehmenskultur!" Wer kennt sie nicht, diese Aussagen, die einen sinnvollen Umgang mit der Unternehmenskultur erschweren oder gar unmöglich machen!

Trotzdem: Anders als noch vor fünf Jahren messen Theorie und Praxis der "Unternehmenskultur" zunehmend Bedeutung bei. Sieht man von einigen ehe theoretisch angehauchten Aus nahmen ab, die in der Unternehmenskultur allenfalls ein "trügerische Sackgasse" vermuten, so wird der Unternehmenskultur tatsächlich in vielen Fällen der Rang eines strategische Erfolgsfaktors eingeräumt. Langfristig gelingt es aber nur sehr wenigen Unternehmen ihre Unternehmenskultur problembewußt zu handhaben: So sehen eine Reihe von Unternehmen die Bedeutung der Unternehmenskultur und konstatieren ihren Einfluß auf eine momentan günstige Erfolgssituation. Im gleichen Atemzug leiten sie gerade aus diesem Erfolg die Illusion einer optimalen und robusten Unternehmenskultur ab. Die Notwendigkeit eines Kultur-Managements entfällt somit in ihren Augen.

Andere Unternehmen erkennen realistischerweise Kulturdefizite. Sie glauben aber, sich primär mit der Unternehmensstrategie auseinandersetzen zu müssen, um ihre strategischen Probleme zu lösen. Unternehmenskultur besteht aus einem (kleinen) sichtbaren Bereich - der "Spitze des Eisberges" - und einem (großen) unsichtbaren Bereich, der gewissermaßen unter der Oberfläche existiert. Im unsichtbaren Bereich liegen Werte und Normen, letztlich also die Basis der Unternehmenskultur. Sie wird sichtbar durch markante Objekte und Verhaltensweisen. Dazu gehören standardisierte Belohnungsrituale genauso wie auffällige Details der Architektur und prägnante Leitfiguren.

Eine Sonderstellung nimmt das Informations-Management ein: Vielfach prägt sich auf seiner Basis im Unternehmen eine gewisse "lnformationskultur" aus. Sie zeigt sich darin, wie Unternehmen bezüglich der Informationsbeschaffung und vor allem der -weitergabe agieren. So gehören die - standardisierten - Informationsflüsse wie etwa Rundschreiben, ritualisierte Teamsitzungen und -konferenzen zum sichtbaren Teil der Informationskultur. Ähnliches gilt für die Ausstattung mit Informationstechnologien: Welche Mitarbeiter welcher Hierarchieebenen nutzen welche PCs? Oder: Welche Informationsflüsse lassen diese Informationstechnologien Oberhaupt zu? Existieren hierbei zentrale Datenbanken, aus denen sich jedermann mit Informationen versorgen kann oder gibt es ein definitiv geregeltes System von Nutzungs- und Zugriffsrechten?

Weitergabe dokumentiert den "Geist des Hauses"

Dieser "sichtbaren" Ebene der Informationskultur liegt ebenso wie der generellen Unternehmenskultur - auch eine unsichtbare Werteebene zugrunde. Sie umfaßt zunächst das Verhältnis zur Information als solches. Das vielzitierte Motto "Informationen als Bring- oder Holschuld" reduziert den der Informationskultur zugrundeliegenden Wert auf einen einfachen aber plakativen Nenner.

Geht man jedoch einen Schritt weiter, werden Hierarchisierung und Teamorientierung eines Unternehme durch diese Informationskultur ausgedruckt. Denn sie offenbart die Differenzierung zwischen einzelnen Mitarbeitern und Mitarbeitergruppen als Informationsträgern. Der Grad, zu dem die Mitarbeiter in die Informationsweitergabe einbezogen werden, dokumentiert den "Geist des Hauses". Hier zeigt sich die Präferenz Teamorientierung oder für individuelles Leistungsstreben im Unternehmen. Die Offenheit, mit der Informationsweitergabe praktiziert wird, macht schließlich deutlich, ob

- "Einzelkämpfertum" vorherrscht,

- "Gruppenkämpfertum" einzelner Abteilungen präferiert wird oder

- das Gesamtunternehmen als ein Team funktioniert.

Entsprechend dieser Grundhaltung sind auch die informellen Informationskanäle entwikkelt, die außerhalb der übliche "Bottom-up-", "Top-down-" oder "Counterflow-"Informationsflüsse evident werden. Unter diesem Aspekt wird sicher deutlich, daß gerade die Informationskultur mehr ist als nur ein beliebige Teilmenge der gesamten Unternehmenskultur. Aus diesem Grunde sollen die vier Erfolgsprinzipien der Unternehmenskultur beispielhaft der Informationskultur zugeordnet werden.

Die Unternehmenskultur ist immer Ergebnis des Verhaltens der Mitarbeiter und gleichzeitig prägend für deren Verhalten. Dieses dynamische und wechselseitige Verständnis der Unternehmenskultur hebt zwei wichtige Aspekte hervor: Zum einen entsteht Unternehmenskultur aus dem Verhalten der Mitarbeiter. Es gibt also in jedem Unternehmen eine Unternehmenskultur! Diese Unternehmenskultur spiegelt dann jeweils ein akzeptiertes Wertemuster wider das sich als typisch für die Organisation herausgebildet hat,

Unternehmenskultur als Ansammlung von gemeinsam geteilt Werten und Normen im Unternehmen ist also in dieser Hinsicht eine Ergebnisgröße.

Zum anderen wirkt die Unternehmenskultur als kollektive Programmierung. Sie prägt Verhalten der Mitarbeiter: Diese spüren permanent die Kultur ihres Unternehmens und verhalten sich dementsprechend. Natürlich gibt es auch Fälle, denen Mitarbeiter sich nicht die "Spielregeln der Kultur" halten. Dieser Kulturkonflikt führt langfristig zur (inneren) Kündigung des Mitarbeiters oder ab zu einer graduellen Veränderung der Unternehmenskultur, sofern viele Mitarbeiter neue Spielregeln favorisieren.

Auf das Beispiel der Informationskultur übertragen, bedeutet dies: Die Mitarbeiter entwikkeln bestimmte Spielregeln der Informationsnutzung und -weitergabe in Abhängigkeit davon, welche Bedeutung entweder der Einzel- oder der Gruppenleistung zukommt. Sie setzen beispielsweise auf dezentrale, abteilungsinterne Datenbanken, sofern die Teamleistung forciert wird, und erlauben innerhalb ihres Teams jedermann freien Zugang. Beschäftigte horten hingegen Informationen in den eigenen vier Wänden, wenn sie sich als Einzelkämpfer unersetzlich machen wollen. Dies ist die eine Richtung des Dualitätsprinzips.

Eigendynamische Bildung der Unternehmenskultur

Auf der anderen Seite wirkt genau dieses Informationsverhalten auf die Werteebene der Mitarbeiter verstärkend zurück. Wenn sich herauskristallisiert, daß Informationen als strategisches Potential einzelner gehandhabt werden, führt dies zu einer verstärkten Betonung des "Stand-alone-Betriebs" - nicht nur im Hinblick auf die Rechneranbindung. Durch diesen eingenwilligen Rückkoppelungseffekt kann sich die Kultur in eine dezidierte Richtung entwikkeln, die sich - sofern kein bewußtes Kultur-Management vorliegt - der Einflußnahme einzelner entzieht.

Folglich stellt gerade diese eigendynamische Bildung der Unternehmenskultur eine wesentliche Gefahr, genauso aber eine sinnvoll nutzbare Chance dar. Der Rückkopplungsprozeß zwischen dem Verhalten der Mitarbeiter und der Unternehmenskultur entsteht, auch ohne da sich die Unternehmensleitung damit auseinandersetzt. So verstärken sich positive, aber auch negative Verhaltensweise durch die kollektive Programmierung und sorgen dafür, daß sich dieses Verhalten langfristig etabliert (siehe die Grafik auf Seite 35).

Konsequenz: Die Unternemenskultur beeinflußt den Erfolg eines Unternehmens und wirkt auf die Motivation der Mitarbeiter.

Um Unternehmenskultur zu erkennen und zu nutzen, sind vier Gesichtspunkte miteinander zur vereinbaren.

Funktionale Kulturnutzung

Aus funktionaler Sicht ist Unternehmenskultur immer ein instrumentelle Größe, die sich gezielt zur Erhöhung des Zielereichungsgrades einsetzen läßt. Vor allem die Abstimmung der Unternehmenskultur mit der Unternehmensstrategie ist hier ein wichtiger Ansatzpunkt Auch gilt die Unternehmenskultur als ein vielversprechende Instrument zur Motivationssteigerung. Eine ernstzunehmende Gefahr besteht jedoch darin Kultur-Management nur au diese funktionale Kulturnutzung zu beschränken.

Objektive Kulturerfassung

Um überhaupt eine bestehende Ist-Kultur an eine geplante Soll-Kultur anpassen zu können, muß die bestehende Unternehmenskultur erfaßt wer können. Hier gibt es eine Fülle von Untersuchungsmethoden. Das Spektrum beginnt bei Fragebögen und reicht bis zum Dialog mit dem Expertensystem "Wibke", um Werte und Normen "objektiv" zu erfassen. Neben dem unsichtbaren Kulturbereich der Werte und Normen gibt es den sichtbaren Bereich mit Kulturelementen wie Leitfiguren, Geschichten, Architektur, Ritualen, Symbolen,

Slogans und Dokumenten.

Subjektive Kulturschaffung

Unternehmenskultur existiert unabhängig von objektiver Realität "in den Köpfen der Unternehmensmitglieder". Das Unternehmen schafft sich also sein Identität und erklärt sich selbst aus dieser Identität ("Wirklichkeit ist, was als wirklich angesehen wird"). Nimmt man als Beispiel ein High-Tech-Gebäude das auf innovative Weise gebaut wurde und ein entsprechendes Design aufweist. Wichtig für die Kulturwirkung ist nur das subjektive Bild der Mitarbeiter. Dies könnte in diesem Fall auch auf Verschwendungssucht sowie Kostenineffizienz hinauslaufen.

Interpretative Situationsdefinition

Was für ein Unternehmen Wirklichkeit ist, entsteht durch die Interpretation seiner Mitglieder. Im Zuge der Kulturanalyse gilt es also, diese interpretativen Schemata durch Gruppensitzungen und Analyseverfahren zu erheben. Hier muß es zur sinnvollen Kooperation von Unternehmensinternem und -externem kommen. Ohne Berücksichtigung der Eigenperspektive der Mitarbeiter kann ein externer Kulturanalytiker nicht hinreichend erklären, warum Personen in spezifischen Situationen in spezifischer Weise handeln. Umgekehrt können Mitarbeiter selbst nicht nachvollziehen, worin ihre Situationsbeschreibung und woraus ihr individueller Mechanismus zur Relitätsschaffung bestehen.

Bezogen auf die Informationskultur bedeutet dies, den Blick hinter die Kulissen zu wagen und zu hinterfragen, warum in den Augen der Mitarbeiter bestimmte Informationskanäle forciert beziehungsweise torpediert werden. Wenn die Mitarbeiter die extensive Verwendung von Paßwörtern und Zugangsbeschränkungen tatsächlich nur aus Gründen der Datensicherung betreiben, läßt diese - "objektiv beobachtbare" - Tatsache noch keinen Rückschluß auf (informations)-kulturelle Tatbestände zu. Wenn sich dahinter jedoch ein bestimmtes Wertgefüge verbirgt, dann gibt genau dies einen spezifischen Hinweis auf die Informationskultur.

Konsequenz: Nach dem Fosi-Prinzip ist die Frage nach dem gemeinsamen Sinnverständnis Ausgangspunkt aller Überlegungen zur Unternehmenskultur. Die Auseinandersetzung mit der Unternehmenskultur ist dabei nicht Selbstzweck: Das Fosi-Prinzip erklärt die soziale Wirklichkeit und liefert damit Hinweise zur Gestaltung der Unternehmenskultur. All dies bedeutet ein radikales Umdenken: Unternehmenskultur ist alles andere als ein triviales Problem, dem man intuitiv Rechnung trägt. Weder ein "Arbeitskreis Motivation" noch eine Führungsrichtlinie erfüllen somit die Forderung des Fosi- Prinzips!

(wird fortgesetz)

Das Dualitätsprinzip

Unternehmenskultur ist das implizite Bewußtsein eines Unternehmens, das sich zum einen aus dem Verhalten der Unternehmensmitglieder ergibt und das zu anderen als kollektive Programmierung ihr Verhalten beeinflußt (Dualitätsprinzip)

Das Fosi-Prinzip

Unternehmenskultur laßt sich nur dann sinnvoll verstehen und gestalten, wenn es zu einer Verbindung kommt aus funktionaler Nutzung und objektiver Erfassung der Unternehmenskultur sowie einer Interpretation kultureller Phänomene aus subjektiver Sicht der Unternehmensmitglieder

(Fosi-Prinzip)