Strategisches Informations-Management/Versuch einer Begriffsbestimmung

Information, Management und Strategie - Babylon lässt grüßen

24.11.2000
Informations-Management, IT-Management, Knowledge Management ... was verbirgt sich hinter diesen Begriffen? Bisweilen werden sie als bloße Worthülsen benutzt - besonders, wenn sie mit dem Adjektiv strategisch gekoppelt sind. Von Lutz Martiny*

Worum geht es eigentlich? Es fängt schon mal damit an, dass wir aus dem amerikanisch-englischen Sprachgebrauch stammende Wörter und Abkürzungen in unsere Sprache übernehmen, ohne uns über ihre Semantik (sprich: Bedeutung) in der jeweiligen Sprache und über ihren zeitbedingten Bedeutungswandel Gedanken zu machen. So bezeichnete der Begriff "Olympiade" ursprünglich den Zeitraum zwischen den Olympischen Spielen, nicht die Spiele selbst; doch in diesem Sinne wird er heute allenthalben gebraucht - mit dem Segen des Dudens.

Wofür steht nun die Abkürzung IT im deutschen Sprachgebrauch? Im Amerikanischen für "Information Technology" genutzt, bedeutet das Kürzel bei uns nun "Informationstechnologie". Oder vielleicht doch "Informationstechnik"? Und was ist dann IT-Management? Wie hängt das alles mit "Wissen" zusammen, und was ist "Wissens-Management"?

Aus der kommunikationswissenschaftlichen Theorie wissen wir, dass über Syntax, Semantik und Pragmatik aus Zeichen und/oder Signalen durch Übermittlung Daten werden, die sich wiederum zu Nachrichten und schließlich zu zweckgerichtetem Wissen wandeln.

Was ein Individuum in seinem Kopf hat oder was Behörden, Vereine, Unternehmen und Menschen zugriffsbereit auf irgendwelchen Datenträgern (inklusive derer, die sich auf den Hälsen ihrer Mitarbeiter befinden) gespeichert haben, sind zunächst Daten, die erst einen Sinn bekommen, wenn sie zielgerichtet methodisch bearbeitet und damit zu Informationen im Sinne von "handlungsbestimmendem" Wissen werden. Information lässt sich also als "zweckgerichtetes Wissen" definieren.

Ein Informationssystem ist dann das geordnete Beziehungsgefüge der Datenverarbeitung in einer organisatorischen Einheit. Seine Merkmale beziehen sich auf:

- die Zweckgebundenheit der Nachricht (Information),

- Prozesse wie Beschaffung, Speicherung, Verarbeitung, Übermittlung der Information oder der sie begründenden Daten auf der Basis vereinbarter Formen, Mittel und Regelungen (hier kommt die Informationstechnik ins Spiel) sowie

- die Handelnden innerhalb dieser Prozessabläufe.

Ein Informationssystem ist mehr als nur Technik, da es die in den Prozessen Handelnden einbezieht. Der Begriff Informationstechnologie beschreibt daher den Zusammenhang korrekt, denn Technologie ist definiert als Wissen über

- den Leistungsstand der Technik, verbunden mit dem Wissen über

- die zielgerichtete Organisation ihres Einsatzes und über

- die Auswirkungen des Technikeinsatzes in einem Informationssystem.

Die einem Informationssystem zugrunde liegende Informationstechnik ist demnach nur ein Bestandteil der eingesetzten Informationstechnologie. Daraus folgt auch, dass die zum Austausch von Daten oder Nachrichten notwendige Kommunikationstechnologie eine Teilkomponente der Informationstechnologie darstellt. Schließlich beschränkt sich der Einsatz von Informationstechnologie keineswegs darauf, den Informationsbedarf in den Geschäftsprozessen von Organisationen zu decken; vielmehr dient er der Informationsversorgung des Einzelnen zur Bewältigung einer beliebigen Aufgabe, sei sie privater oder beruflicher Natur.

Nun haben wir uns angewöhnt, für zweckorientiertes Handeln das Lehnwort "Management" zu benutzen. Bezogen auf das Management der Information(sversorgung) einer organisatorischen Einheit (oder eines Individuums) kann der Begriff Informations-Management dann nur die Summe aller sinnvollen

- informationstechnischen,

- organisatorischen und

- personellen

Maßnahmen sein, die dazu dienen, eine benötigte Informationsversorgung optimal zu erreichen.

So weit die theoretische Ableitung der Begriffe. Wie werden sie aber in der Praxis verwendet? Man nehme eine beliebige Meta-Suchmaschine (beispielsweise "Copernic 2000 Pro") und gebe den Begriff "Informations-Management" ein. Allein im deutschsprachigen Netz sind 87 Einträge gelistet (Stand 1. Oktober dieses Jahres). So findet sich unter http://beat.doebe.li/bibliothek/w00599.html die von Christian Schucan stammende Begriffsbestimmung: "Informations-Management ist die optimale Gestaltung des Informationsgeschehens in einem Anwendungsgebiet, namentlich mittels Informationstechnik ... Unter Informationsgeschehen werden alle rund um Information und Kommunikation stattfindenden Ereignisse, Tätigkeiten und organisatorischen Maßnahmen sowie der Einsatz von Werkzeugen im Umgang mit Information in einem Anwendungsgebiet verstanden."

Durchforsten wir dann einen Jahrgang der COMPUTERWOCHE anhand des Heftarchivs (http://www.computerwoche.de) nach den Begriffen "Informations-Management", "Information Resource Management", "Information Systems Management", "IT-Management", "IS-Management", "Knowledge-Management" und "Wissens-Management" - Babylon lässt grüßen!

Befragen wir ferner die gängigen Lexika, beispielsweise das von Hans-Jochen Schneider herausgegebene "Lexikon Informatik und Datenverarbeitung" (1997, Oldenbourg, München) oder das hauptsächlich von Peter Mertens verantwortete "Lexikon der Wirtschaftsinformatik" (1997, Springer, Berlin/ Heidelberg) sowie andere Veröffentlichungen zu diesem Thema, so setzt sich die Begriffsvermischung fort. Die Lehrenden an unseren Universitäten sind sich über diese Begriffe ebenso wenig einig wie die Praktiker der Informationsverarbeitung. Dazu einige Beispiele:

Nach Mertens kennzeichnet "Informations-Management, Information Management; Information Systems Management, synonym Information Resource Management ... einen Management-Ansatz, in dessen Mittelpunkt die wirtschaftliche Versorgung betrieblicher Stellen mit Informationen steht, die zum Erreichen der Unternehmensziele beitragen ... Als Funktionen ... lassen sich zum Beispiel unterscheiden: die Analyse von Informationsbedarfen, wie man Informationsbedarfe mit Informationstechnik befriedigen kann, die ... Planung der Informationsversorgung und der IV-Ressourcen (Menschen, Hardware, Software) ...".

Laut Dietrich Seibt (zitiert aus dem "Lexikon der Wirtschaftsinformatik") bedeutet Informations-Management "für viele Fachkräfte der Informationsverarbeitung" vor allem "Management der Systementwicklung" und "Betrieb der Techniksysteme". Aus Sicht der Unternehmensleitung schließe es aber auch "das systematische, methodengestützte Planen, Steuern, Kontrollieren und Koordinieren der betrieblichen Informationsversorgung" ein. Diese Art von Informations-Management akzentuiere die Bedeutung von Informationen als Produktions- beziehungsweise Wettbewerbsfaktor.

Für Claus Rautenstrauch und Klaus Turowski, die im Wintersemester 1997/98 an der Universität Magdeburg eine Vorlesung über die Grundlagen und Aufgaben des strategischen Informatons-Managements hielten, umfasst dieser Begriff "alle Führungsaufgaben, die sich mit Information und Kommunikation in einem Unternehmen befassen" (nachzulesen unter http://www-wi.cs.uni-magdeburg.de/lehre/ws9798/sim/).

Lutz Heinrich schreibt in seinem 1996 erschienenen Buch "Informationsmanagement - Planung, Überwachung und Steuerung der Informationsinfrastruktur" (1996, Oldenbourg, München): "Mit dem Konstrukt Informations-Management wird das Leitungshandeln (Management) in einer Betriebswirtschaft in Bezug auf Information und Kommunikation bezeichnet, folglich alle Führungsaufgaben, die sich mit Information und Kommunikation in einer Betriebswirtschaft befassen." Zur Klarheit würde beitragen, wenn Heinrich als Formulierung nicht "handlungsbestimmtes", sondern "handlungsbestimmendes" Wissen wählte, weil wir nun einmal aufgrund von Informationen unser Handeln einstellen.

Bei Hubert Österle ("Unternehmensführung und Informationssystem: Der Ansatz des St. Galler Informationssystem Managements", 2. Auflage 1992, Teubner, Stuttgart/Wiesbaden) steht zu lesen: "Das Informations-Management ist das Management der Informationsverarbeitung einer Unternehmung. Es ist grundsätzlich dafür verantwortlich, dass das Unternehmen das Potenzial der Ressource Information und der Informationsfunktion erkennt, in unternehmerische Lösungen - vom Produkt bis zum Absatzkanal - umsetzt und dass es Computerapplikationen entwickelt, einführt und betreibt."

Auf seiner oben bereits genannten Website kommentiert Beat Döbeli diese Definition folgendermaßen: "Wenn man über diese Begriffe zu diskutieren beginnt, sollte man überprüfen, ob alle Beteiligten kompatible Definitionen der Begriffe Daten - Information - Wissen verwenden." Trotz der missbräuchlichen Verwendung von "kompatible" lässt sich dem nur hinzufügen: Wie wahr!

Daten und Information, Informationstechnologie und -systeme haben wir nun abgehandelt. Aber was ist nun Wissen? - Zunächst einmal handelt es sich dabei schlicht um die Fähigkeit, auf Daten zugreifen zu können, die wir einmal gelernt ("gespeichert") haben - unabhängig davon, ob wir dieses Wissen im Augenblick benötigen oder nicht.

Wissen basiert auf Daten, und denen fehlt a priori die Zweckorientierung. Daten werden zu handlungsbestimmendem Wissen (also Information) durch konkreten Bedarf. Auch das kollektive Wissen einer Organisation basiert auf dem Rohstoff Daten; insofern könnte jede Definition von "Wissens-Management" problemlos unter "Informations-Management" eingeordnet werden - wäre da nicht ein entscheidender Unterschied: Wie Wolfang Faisst im "Lexikon der Wirtschaftsinformatik" erläuert, stellt das Wissens-Management sicher, "dass insbesondere internes Wissen einer Organisation, etwa technische Details, vergangene (Fehl-)Entscheidungen, Best Practices, Projekte oder Konstruktionen, für eine zukünftige Nutzung erschlossen und verfügbar gemacht wird". Der Unterschied liegt also darin, dass internes und externes Wissen auch für eine noch nicht definierte künftige Nutzung bereitgestellt werden sollen. Wissens-Management heißt demnach: Sammeln, Erschließen und zur Verfügung stellen von Daten über den konkreten Bedarf hinaus.

Dies ist aber nur die informationstechnische Sicht des Begriffes. Im Jahre sechs des Internet reden wir von "Communities", die sich in virtuellen Chat-Räumen treffen, Belangloses und Bedeutendes austauschen, aber bisweilen auch rund um den Globus an gemeinsamen Aufgaben arbeiten.

Wissens-Management umfasst daher auch den gezielten Aufbau solcher Communities, die dazu dienen, "Best Practices" und anderes (Erfahrungs-)Wissen auszutauschen. Es bedeutet, Menschen mit Menschen zu koppeln und einen Lernprozess anzustoßen, dessen Ziel es ist, den Wissensstand aller Mitarbeiter stetig zu erhöhen und dadurch die Geschäftstätigkeit ständig zu verbessern. Angloamerikanische Wortschöpfungen wie "Chief Learning Officer" und "Corporate Universities" zeigen auf, wohin der Weg führen dürfte.

Aber offenbar reichen die Begriffe Informations-Management und Informationssysteme allein noch nicht, um uns verständlich auszudrücken. Sie müssen auch noch mit dem Beiwort "strategisch" geschmückt werden. Noch habe ich zwar den Begriff "Strategic Knowledge Management" nicht gehört. Doch ließe er sich hiermit gleich in die Diskussion einführen und abhandeln.

Das vorhandene Wissen dient nur als BasisAus der Spieltheorie wissen wir: Ein Spieler beginnt auf der Basis eines gegebenen Informationsstandes (des "Wissens") zu spielen, indem er einen vollständigen Plan befolgt, der angibt, welche Wahl er in allen möglichen Situationen im Einklang mit den Spielregeln zu treffen hat. Dieser Plan wird Strategie genannt. Eine Unternehmensstrategie ist demzufolge die Summe aller Maßnahmen, die dazu dienen, ein explizit formuliertes Unternehmensziel innerhalb eines bestimmten Zeitraums (der Dauer des Spiels) zu erreichen.

Ferner wissen wir, dass sich die Unternehmensstrategie stetig ändert - aufgrund neuer Informationen, die im Prozess der Produktionsfaktor-Kombination entstehen. Für den, der seine Strategie permanent optimieren will, gilt also: Das jeweilige Wissen dient nur als Basis, die frühzeitige und vollständige Erlangung von zusätzlicher Information ist ein Teil der Strategie.

Strategisch sind Information, Informations-Management, Information Resource Management, Informationssysteme und Knowledge Management demnach nur dann, wenn sie in einer Unterneh-mensplanung im Sinne der obigen Definition des Strategiebegriffs für einen überschaubaren Zeitraum explizit formuliert und im Unternehmen bekannt gemacht worden sind. Fragen Sie aber mal nach schriftlich fixierten und den Mitarbeitern bekannten Unternehmensstrategien, in denen diese Begriffe auftauchen! - Und was lernen wir daraus? Es ist offensichtliche Praxis, den Begriff "strategisch" als schmückendes Beiwort ohne sachlichen Gehalt zu benutzen.

*Dr. Lutz Martiny arbeitet als Berater für Chipkarten-Technologie in Delbrück und als Lehrbeauftragter für Informations-Management an der TU Berlin. Zudem ist er Mitautor des Standardwerks "Strategisches Informationsmanagement", (ISBN 3 503 04380 2), das der Berliner Erich Schmidt Verlag 1998 in einer dritten überarbeiteten Auflage auf den Markt gebracht hat.

Abb.1: Was ist Information?

Information ist definiert als zweckorientiertes Wissen. Quelle: Martiny

Abb.2: Was ist IT?

Informationstechnologie bedeutet mehr als bloße Technik. Quelle: Martiny