Information Center: Luftschloß hie - Faktum da

15.04.1983

Martin A. Goetz, Senior Vice President, ADR

Eine Möglichkeit, Benutzerwünsche zu kanalisieren, besteht nach Ansicht des Hauses IBM darin, daß in einem "Information Center" die Endbenutzer ihre Informationssuche oder -verarbeitung eigenständig und separat betreiben. Ist ein solches Konzept ohnehin schon kaum mehr als eine Kompromißlösung, so hat IBM darüber hinaus gleich noch vier fehlerhafte Ansätze miteingebaut; denn

1. können die Endbenutzer reicht auf aktuelle Daten zugreifen und brauchen dies angeblich auch nicht - ein Widerspruch ex definitione;

2. müssen Spezialisten die Endbenutzer nicht nur schulen, sondern sie auch danach noch permanent unterstützen, damit diese ihre Wünsche "mühelos" befriedigen können;

3. spielen Effizienz und Kostenaffektivität so gut wie keine Rolle;

4. wird auf ein Data-Dictionary, als zentrale Leitstelle des betrieblichen Informationswesens verzichtet.

Programmierer als Navigatoren

Diese konzeptionellen Schwächen gehen auf den begrenzten Leistungsumfang der IBM-Software zurück. Die Verfahren, die die IBM für die Implementierung eines Information Center propagiert, sind ausgerichtet an der "Basissoftware" DL/1, IMS, DMS, ADF, aber auch SQL/DS. Die hierarchischen Datenbanksysteme DL/1 und IMS darf man, was das Erlernen und das Benutzen angeht, als schwierig bezeichnen. Programmierer müssen sich als Navigatoren bestätigen. Der geringfügige Ausbau einer bestehenden Anwendung kann ihre völlige Neuprogrammierung erforderlich machen. Die Datenunabhängigkeit bleibt stark eingeschränkt. Bei IMS/DL1-Anwendungsprogrammen kann von "ease of use" keine Rede sein.

DMS und ADF, die beiden menügesteuerten IBM-Sprachen aus den späten 70er Jahren, die für die Entwicklung von Datenbank- und Online-Anwendungen eingesetzt wurden, sind unvollständig geblieben. Schauen wir auf SQL/DS, das als neuestes DBMS-Produkt der IBM den Endanwendern als Datenzugriffs-, -anzeige- und -änderungsinstrument dienen soll: Wegen seiner Inkompatibilität zu IMS und DL/1 ist der User genötigt, erst einmal alle erforderlichen Daten gesondert zu extrahieren. SQL/DS erlaubt kein unmittelbares Einwirken auf DL/1-Datenbestände, muß sich etlicher Hostsprachen bedienen und verbraucht gewaltige Computerressourcen.

Immerhin hat die IBM mit SQL/DS einen Bedarf an relationaler Datenbanktechnik gewissermaßen anerkannt. In der Tat: Mit dieser Technik - richtige Implementierung vorausgesetzt - lassen sich genau die Nutzeffekte erzielen, die die IBM ihren Information Center nachsagt, diesmal aber ohne dediziertes Sondersystem und ohne redundante Daten. Die wirklich relationalen Datenbanksysteme, wie sie heute in Konkurrenz zu IBMs Produkten am Markt sind, sind für die DV-Abteilung ebenso wie für die Enduser von Nutzen. Einige ihrer Hauptmerkmale sind:

- Datenspeicherung in einer oder mehreren Datenbanken aus zweidimensionalen Tabellen; Datenzugriff und -aktualisierung mittels zahlreicher Endbenutzer- und Programmiersprachen.

- Lückenlose Zugriffskontrolle durch den Datenadministrator, der sich auf ein zentrales Data-Dictionary stützen kann.

- Simultane Arbeitsmöglichkeit mit Programmiersprachen wie Cobol oder PL/1 sowie Anwendungsentwicklungs- und Reportsprachen auf ein und derselben Datenbasis.

- Hohe Leistung, sei es im Hinblick auf Datenmengen, sei es im Hinblick auf Transaktionen, und zwar in allen Verarbeitungsmodi und bei nur geringem Ressourcenverbrauch.

Das logische Datenbankdesign ist einer der größten Schwachpunkte der konventionellen Systeme, da man dazu immer auch die Anforderungen der geplanten Anwendungen kennen muß. Anderenfalls gibt es Probleme mit Zugriffspfaden oder Datenabhängigkeiten. In relationalen Systemen beschäftigt sich der Entwurf allein mit den Daten selbst, nicht mit deren geplanter Verarbeitung; entsprechend stabil und konsistent ist die Datenbank.

Zudem kann mit Hilfe dieser Technologie ein Information Center auch Teil einer verteilten Datenbank sein - dies deshalb, weil hierbei die Zugriffspfade und Beziehungen durchweg Funktionen der Dateninhalte selbst sind und keiner zusätzlichen Mechanismen bedürfen. Wer sein Information Center mit IMS falsch konzipiert, kann sich erhebliche Nachteile einhandeln. Hier sei daran erinnert, daß ursprünglich simple Anwendungen nach einiger Zeit an Einsatzbreite und an Komplexität stark gewachsen sein können. Wenn das mit fehlender Daten- und Zugriffskontrolle einhergeht (mit Multiplikatoreffekt die Unternehmenshierarchie hinauf), arbeitet die Unternehmensleitung auf einer wertlosen Informationsbasis.

Darum muß kontrollierbar bleiben, was mit den Daten im Unternehmen geschieht. Erst ein zentrales Data-Dictionary bietet diese Sicherheit; der IBM-Ansatz eines Information Center sieht diese Möglichkeit nicht vor. Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß das Information Center nach IBM-Muster gegen einige anerkannte Datenbanktechnikmaximen verstößt. Die wichtigsten davon lauten:

- Alle Applikationen benutzen dieselben Daten.

- Redundanzen sind zu minimieren.

- Datenänderung und -pflege hat zentral zu geschehen.

- Datenzugriff muß sicher und kontrolliert erfolgen.

- Daten müssen neuen Anwendungen gegenüber "unempfindlich" sein.

Hohe Kosten für veraltete Daten

Endbenutzer von IBM-Datenbanksoftware jedoch lassen sich in Kompromisse hineinzwängen, in denen sie zu hohen Kosten mit veralteten Daten operieren, um überhaupt eine gewisse Informationsgrundlage zu haben. Wer aber den stetig steigenden Anwendungsstau in Rechnung stellt und dabei nicht vergißt, daß auch Fachabteilungsrechner und sonstige Insellösungen mit all ihren Gefahren nur Ausdruck eines realiter noch höheren Backlog sind, kann ernsthaft nicht gegen ein relationales Datenbanksystem in Verbindung mit einem zentralen Dictionary argumentieren. Der erfolgreiche Weg zum Information Center ist klar vorgezeichnet.