Information at your fingertips und von den Lippen des Messias V. Deutscher Wirtschaftskongress diskutiert "Mehrwert Information"

24.03.1995

Wann kommt er? Als im hoffnungslos ueberfuellten grossen Hoersaal der Koelner Universitaet endlich das Licht ausgeht, ist die Spannung nicht mehr zu ueberbieten. 350 Studenten aus aller Welt harren zum Teil schon seit gut einer Stunde auf den engen, hoelzernen Klappsitzen aus, und laengst hat irgendwo dazwischen auch die geballte Prominenz der deutschen Medien- und Telecom-Szene ihren Platz gesucht und gefunden. Hubert Burda ist da, Bertelsmann-Chef Mark Woessner sowieso, Hagen Hultzsch von der Telekom, Hermann Kraemer von der Veba AG und Christian Schwarz-Schilling, der bei einer Veranstaltung ueber Europas respektive Deutschlands Weg in die Informationsgesellschaft natuerlich nicht fehlen darf. Dann ploetzlich zeugt grelles Schweinwerferlicht von der Ankunft des sehnsuechtig Erwarteten, und eine noch nicht ganz maennlich wirkende Kommilitonenstimme schreit piepsig ins Dunkle: "Sehr geehrte Damen und Herren, es spricht zu Ihnen der Chairman der Microsoft Corp., Mister Bill Gates!"

Was jetzt noch fehlt, ist der rote Teppich, dann waere es ein nahezu perfekter Empfang fuer den derzeit wohl konkurrenzlosen Star der DV-Branche und "Koenig" der Informationsgesellschaft gewesen. Tatsaechlich sind an dem bedaechtig den Hoersaal betretenden Microsoft-Chef auch schon erste Ansaetze monarchischer Zuege erkennbar, trotz seines fast schon beruehmten Laechelns, das einem Musterschueler zur Ehre gereicht. Die Begruessung und den respektvoll verhaltenen Applaus wuerdigt er jedenfalls mit einem freundlichen Kopfnicken, dann kommt er ohne Umschweife zur Sache: Ueber die Zukunft des bislang "kalten Computers", der (mit allem und allen vernetzt) Wirtschaft und Gesellschaft grundlegend veraendern wird, will er reden - die hinlaenglich bekannte Gates-Vision namens "Information at your fingertips" also.

Waehrend Bill Gates zu sprechen beginnt, fragt sich der Beobachter allerdings von Sekunde zu Sekunde mehr, was die Faszination eines Mannes ausmacht, der, mag sein Erfolg als Unternehmer auch noch so beeindruckend sein, im Prinzip nur Platitueden von sich gibt. Den Begriff der Datenautobahn haelt er zum Beispiel fuer ungluecklich, weil dieser weite Entfernungen suggeriere, die aber gerade mit Hilfe der Vernetzung ueberwunden werden sollen. Oder aber er gibt die Erkenntnis preis, dass im Zuge der neuen Informationsgesellschaft alte Unternehmenshierarchien aufbrechen werden. Den akademischen Nachwuchs aus aller Herren Laender, der sich in einer Art Aufsatzwettbewerb zu besagtem Thema fuer die Teilnahme an diesem Event qualifizieren musste, scheint dies jedoch nicht weiter zu stoeren. Offensichtlich auch den in der zweiten Reihe sitzenden Hubert Burda nicht, der Gates fuer den "Michelangelo der neuen Medienentwicklung" haelt - was auch immer das heissen mag. Sie alle haengen foermlich an den Lippen des Softwaregurus und lauschen den Worten des Messias.

Apropos Hubert Burda: Der Muenchner Verleger und geistige Vater von

"Focus" hat schon einige Stunden vorher seine eigene, ganz persoenliche Vision von der neuen Informationsgesellschaft ausgebreitet und dabei aus seinem Herzen keine Moerdergrube gemacht.

Jeden Abend, den er zu Hause verbringt, geht er, wie er den versammelten akademischen Jungspunden verraet, "spaetestens ab 21.00 Uhr online". Und wie dies in Zukunft fuer Otto Normalverbraucher aussehen kann und soll, hat Burda auch gleich in Form einer Demo- Version mit im Gepaeck. "Metroconnect" heisst das Ganze und handelt von einem Online-Pilotprojekt des Hauses Burda in New York, mit Angeboten wie Teleshopping und Telebanking, Theater- sowie Restaurant-Reservierung und vielem mehr, was sich das interaktive Herz derzeit auf der Bedieneroberflaeche des haeuslichen PCs vorstellen kann.

Spaetestens im Herbst soll, wie alle Welt weiss, ganz "Europa online" gehen, zumindest haetten die Strategen im Muenchner Arabella-Park dann wohl nichts gegen ein entsprechendes Marktanteilsmodell fuer ihren gleichnamigen interaktiven Dienst. "Das Zeitalter der Freaks ist zu Ende", meint jedenfalls Burda. Nicht nur darin ist er sich mit seinem Kollegen Mark Woessner einig: Online-Kommunikation muss eine Dienstleistung fuer den Durchschnittskunden werden - ein elektronischer Buchclub sozusagen, wie man es sich beispielsweise in Guetersloh vorstellt. Die 150 Millionen Mark, die Bertelsmann im Rahmen seines vor kurzem angekuendigten Joint-ventures mit America Online zunaechst investieren will, sind daher, wie der Bertelsmann-Chef in seinem Vortrag betont, nur "die Spitze des Eisberges" - wenn, ja wenn man, und bei diesem Satz blickt Woessner mit geballter Unschuldsmiene in die Runde, mit seinem Angebot "auf Interesse stoesst".

Fitnesstips anstelle von komplizierten IP-Adressen

Dass man in Guetersloh von dieser Voraussetzung ausgeht, versteht sich indes von selbst; das europaeische Marktvolumen bei Online- Diensten betraegt im Jahr 2000 rund zehn Milliarden Mark, allein in Deutschland sind es immerhin 1,5 Milliarden Mark, heisst es in konservativen internen Schaetzungen der Bertelsmaenner. Und bis dahin gilt es Geld zu verdienen mit "Multimedia Offline", also CD- ROM und nochmals CD-ROM - eine schon sattsam bekannte Tatsache. Soll der Online-Boom, den sich alle erhoffen, auch tatsaechlich einsetzen, muss naemlich, man kann es nach Ansicht der Herren Burda und Woessner nicht oft genug wiederholen, vieles, wenn nicht alles einfacher werden. Zumindest die Endgeraetetechnik samt Bedienersoftware. Denn die beiden Mediengurus wissen natuerlich laengst, was sie nicht vermarkten wollen: den Wirrwarr der IP- Adressen im Internet beispielsweise, dafuer schon eher den Online- Transport von Flugplaenen, Wetterberichten sowie Kultur- und Fitnesstips. "Was soll ich mit dem Pazifik und Ozean in einem, wenn ich nur am Bodensee interessiert bin?", fragt sich Hubert Burda unumwunden oeffentlich.

Weniger Beruehrungsaengste mit der Mutter aller Netze hat man natuergemaess auf der anderen Seite des grossen Teiches, in dem tatsaechlich oder auch nur vermeintlichen Information-Highway- Wunderland Amerika. Jetzt schlaegt die grosse Stunde des Christian Schwarz-Schilling. Der fruehere Postminister und jetzige Partner von Hubert Burda bei Europe Online ist, wenn er will, ein glaenzender Redner, und bei diesem Thema will er meistens. Europa hat (noch) alle Chancen, sich als Weltmarktfuehrer bei der Telecom- Systemtechnik zu behaupten, bricht Schwarz-Schilling eine Lanze fuer die europaeische Industrie. Gefordert sei jedoch eine Aenderung der Mentalitaet - aus Theoretikern muessten "endlich Praktiker werden", vor allem wenn es an das Verpacken und Verkaufen von Inhalten, sprich Loesungen, geht. Was nuetze es, so der streitbare Ex-Postminister, wenn in Europa "Techniken wie ISDN, GSM-basierter Mobilfunk und ATM entwickelt werden und gleichzeitig aus Amerika die entsprechenden Anwendungen kommen".

Einmal in Fahrt, laesst Schwarz-Schilling auch US-Vizepraesident Al Gore nicht ungeschoren. Da fasele ein amerikanischer Politiker etwas von Datenautobahnen, und schon sei die Menschheit von einer neuen Vision ergriffen, waehrend beispielsweise in Deutschland die "dazu notwendige Infrastruktur laengst im Boden liegt".

Und als wolle er jegliche kritische Frage der anwesenden US- Studenten im Keim ersticken, setzt Schwarz-Schilling noch einen drauf: "Versuchen Sie mal, in den USA auf die Schnelle einen ISDN- Anschluss zu bekommen oder landesweit auf Basis eines einheitlichen Mobilfunkstandards zu telefonieren." Was bleibt in Europa zu tun? Fuer den CDU-Politiker ist dies einfach und nahezu utopisch zugleich. Warten auf neue Politiker, die man "nicht zur Schlacht tragen muss" und die obendrein den Mut haetten, vor 1998 zu entscheiden, wie es mit der Liberalisierung der EU-Telecom-Maerkte weitergeht.

Auf eine Entscheidung (in Bonn) wartet momentan auch Hermann Kraemer - in Sachen alternative Netze und Telefondienstlizenz. Bei all dem Multimedia- und Infobahn-Rummel, der zwangslaeufig auch den Koelner Studentenkongress charakterisiert, faellt es dem Veba- Vorstand jedoch sichtlich schwer, ueber das zu reden, was derzeit den Duesseldorfer Mischkonzern am meisten beschaeftigt, und dies ist nun einmal der profane Telefondienst. Multimedia als den Wachstumsmarkt der Zukunft zu bezeichnen hiesse, so Kraemer, "Eulen nach Athen tragen", gleichzeitig seien jedoch alle Prognosen "mehr als ungewiss". Andererseits sind diese wohl immerhin so erfolgversprechend, dass man, wie Kraemer dann doch noch den Hut seines Unternehmens in den Ring wirft, "der Telekom das Geschaeft nicht alleine ueberlassen kann".

Fragen zu Multimedia und zum Ende des Taylorismus

Nun haette sich zweifelsohne die Frage aufgedraengt, was man bei der Veba AG ueberhaupt unter Multimedia versteht, in der Koelner Universitaet war dazu aber kaum Gelegenheit: 15 Minuten Redezeit und dann ab durch die Mitte beziehungsweise zum naechsten Redner. Denn es ging ja nicht nur um neue Wachstumsmaerkte, sondern am Rande auch um die Auswirkungen neuer Techniken und Informationsphilosophien auf die Unternehmen; die Infoelite in der universell vernetzten Firma sozusagen. Vom Taylorismus zur prozessorientierten Hierarchie heisst dies im Fachchinesisch der Unternehmensberater und Wirtschaftswissenschaftler. Gerhard Schulmeyer von SNI durfte unter anderem hierzu referieren, und wer wollte bestreiten, dass das Trimmen der Siemens-Tochter auf mehr Marktnaehe stets eine eigene Geschichte wert war und ist.

Kehren wir aber zum Schluss noch einmal zurueck zu Bill Gates. Der hat, wie Deutsche-Bahn-Chef Heinz Duerr aus dem Naehkaestchen plaudert, abends bei einem Glas Bier offensichtlich auch noch Ideen, wie aus dem Unternehmen Zukunft eines Tages

"doch noch etwas Vernuenftiges werden koennte". Jedenfalls duerfte in der kommenden ICE-Zuggeneration der Online-Anschluss fuer den Laptop nichts Futuristisches mehr sein, und man kann nun lange raten, welche Bedienersoftware und welcher Online-Dienst hier wohl zwischen Flensburg und Bayrischzell zum Einsatz kommen werden.

Was hat uns aber Mister Gates sonst noch zu sagen? Sein Unternehmen will die Software fuer die kuenftigen Information- Highways entwickeln, enthuellt er im letzten Abschnitt seiner Rede. Und ueberhaupt, will sich ein Unternehmen auf die Datenautobahn begeben, genuege dazu als erster Schritt schon die Einfuehrung der elektronischen Post oder des Electronic Data Interchange, dann warteten naemlich die Segnungen moderner Geschaeftskommunikation wie etwa elektronische Rechnung und Bankauszug. Aber wie wenn er bemueht waere, die von ihm selbst entfachte Euphorie zu daempfen, beendet Gates seinen Auftritt als geradezu nachdenklicher Zeitgenosse. Die beste Datenautobahn ersetze, so seine Botschaft, nicht "die realen Erlebnisse". Was der Microsoft-Chairman damit meint, bleibt aber sein Geheimnis: Der Star ist so schnell weg, wie er gekommen war.