Natsemis Chipfamilie soll dem Markt auf die Sprünge helfen

Information Appliances: Suche nach dem Patentrezept

30.07.1999
MÜNCHEN (ba) - Information Appliances (IA) sollen die Kassen im IT-Geschäft klingeln lassen. Doch niemand in der Branche weiß so recht, wie diese Informationsgeräte genau aussehen und was sie können müssen. Fest scheint nur zu stehen: Die Schlüsseltechnik bilden hochintegrierte Chips, wie sie Natsemi kürzlich vorstellte.

Analysten prophezeien dem Markt für Information Appliances eine goldene Zukunft. Nach einer Studie der International Data Corp. (IDC) soll das Geschäft von 13 Millionen verkauften Geräten 1999 auf über 65 Millionen im Jahr 2003 wachsen. Das ist ein Kuchen, von dem sich alle Hersteller ein Stück abschneiden möchten.

National Semiconductor (Natsemi) will mit dem "Geode SC 1400", einer System-on-a-Chip-Lösung, die Schlüsselkomponenten für die neue Geräteklasse liefern. Die hochintegrierten Bausteine vereinen fast alle PC-Funktionen auf einem einzigen Stück Silicon, beispielsweise Grafik, I/O-Komponenten, Systemlogik, MPEG-Videokompression sowie Audio- und Videofunktionen. National Semiconductor baut nach dem Verkauf von Cyrix seine Geschäftsstrategie maßgeblich auf Bauteilen für Information Appliances auf.

Der Hersteller definiert für das eigene Geschäft unter einem Informationsgerät drei Gerätekategorien: Set-top-Boxen, Thin Clients und Webpads. Der erste Geode-Sprößling ist für die Verwendung in Set-top-Boxen ausgelegt. Weitere Chips, die speziell für den Einsatz in den beiden anderen Gerätetypen gefertigt werden, sollen innerhalb der nächsten Monate folgen, kündigte Roland Andersson, General Manager für den Bereich Europa, bereits an.

Die Präsentation der Geode-Familie kam jedoch sehr früh. National kann vorerst nur ein paar Prototypen vorweisen. Der neue Chip wird erst nächstes Jahr in die Massenproduktion gehen. Bis dann die ersten Geräte auf den Markt kommen, dürften ebenfalls noch ein paar Monate ins Land gehen. Diese Wartezeit könnte nach Ansicht von Insidern das Wettrennen um den neuen Markt noch einmal spannend machen. Intel und AMD arbeiten an ähnlichen Produkten und werden Natsemi das profitversprechende IA-Geschäft sicher nicht kampflos überlassen.

Intel hat die Entwicklung hochintegrierter Chips allerdings erst einmal verschlafen. Der Chipgigant setzte zuerst auf eine Lösung, die alle Komponenten auf einer Platine vereinen sollte. Erst Ende letzten Jahres gab die Chip-Company bekannt, sich um die Entwicklung einer System-on-a-Chip-Lösung kümmern zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt lief das Geode-Projekt bei National Semiconductor bereits unter Volldampf.

Das Programm für eine System-on-a-Chip-Lösung läuft bei Intel unter dem Codenamen "Timna". Der Chip soll als Kern einen Celeron-Prozessor besitzen, einen Grafikchip sowie einen Speicher-Controller beinhalten. Der Terminplan sieht die ersten spruchreifen Produkte jedoch erst spät im nächsten Jahr vor.

Advanced Micro Devices (AMD) geht beim Design seiner integrierten Chips einen anderen Weg. So versuchen die Entwickler auf der einen Seite, neue Funktionen in den Chip zu integrieren, andererseits aber auch Funktionen, die nur im PC-Bereich interessant sind, herauszunehmen, um Kosten zu sparen.

Grafik auf dem Chip macht für AMD keinen Sinn

Für Ende August kündigt Ulf Hohmann, Marketing-Manager Central Europe für die Embedded Processor Division bei AMD, einen neuen Chip an. Der "Elan SC 520" beruht auf einer 486er DX-5-Architektur mit einer Taktrate von bis zu 133 Megahertz. Im Chip integriert ist der komplette Chipsatz.

Auf Grafikfunktionen verzichtet der Hersteller aus Sunnyvale allerdings. Als Grund nennt Hohmann die rasante Entwicklung im Grafikbereich, die momentan dreimal schneller verlaufe als bei den Prozessoren. Das sei schwierig zu synchronisieren.

Außerdem hätten die Gerätehersteller die Möglichkeit, auf etwa 15 bis 20 VGA-Controller auf dem Markt zurückzugreifen und diese über eine PCI-Schnittstelle mit dem Chip zu verbinden. Damit sei man flexibler mit seinen Produkten. "Je höher man einen Chip integriert und spezialisiert, desto stärker legt man sich auch auf eine Applikation fest", erklärt der AMD-Manager. Und das könnte zum Stolperstein des Natsemi-Chips werden.

Viele Analysten können sich ebenfalls noch nicht so recht mit der neuen All-in-one-Lösung von National anfreunden. Peter Glaskowsky von Micro Design Resources kritisiert, daß die Grafiklösung auf den integrierten Chips den aktuellen Leistungsstandards weit hinterherhinke.

Auch den eingesparten Platz, den Natsemi als großes Plus verkauft, kann der Chip nur bei wenigen Produktgruppen ausspielen. Jeder Thin Client und jede Set-top-Box bieten prinzipiell genügend Platz für mehrere Chips. Hier spielten andere Kriterien wie zum Beispiel Geräuschlosigkeit durch entbehrliche Lüfter oder eine geringe Stromaufnahme eine größere Rolle.

Für Dean McCarron, Leiter von Mercury Research, ist ein System-on-a-Chip dagegen eine logische Konsequenz. Prozessor, Speicher und Grafikchip kommunizierten ständig miteinander. Diese drei Komponenten auf einer Platine zu verteilen bedeute, eine künstliche Barriere zwischen ihnen zu schaffen. Deshalb sei es nur logisch, sie in einem Chip zu vereinen. Welches Gerätekonzept sich am Ende durchsetzt, sei allerdings eine ganz andere Frage.

Eric Schmitt, Analyst bei Forrester Research, glaubt, daß den alternativen Internet-Zugangsgeräten wie Set-top-Boxen, Web-Phones oder Web-Pads eine schwere Zeit bevorsteht, da das Internet noch sehr unausgegoren ist. Während sich PCs relativ leicht an Veränderungen anpas-sen ließen, seien Informationen Appliances viel weniger flexibel in ihrer Funktionalität. Sie seien, wie eben auch der neue Geode-Chip, sehr spezialisiert. Schmitt prognostiziert, daß die Lebenszyklen vieler Geräte sehr kurz sein werden, da sich die Anforderungen ständig änderten. Andere Devices würden schnell wieder vom Markt verschwinden, da sie einfach nicht die richtige Funktionskombination mitbrächten. Auch für Hohmann von AMD liegt die weitere Entwicklung noch im dunkeln. Zwar würden die Information Appliances zweifellos kommen, aber welches Konzept sich letztendlich durchsetzen werde, könne man noch nicht sagen. Momentan stiegen eine ganze Reihe von Testballons in die Höhe. Ein Patentrezept, auf dessen Basis ein Gerät der Renner werden könnte wie beispielsweise der Palm im Handheldmarkt, hat aber noch keiner gefunden, resümiert der Manager.

Zwar beurteilen Branchenbeobachter zum Beispiel den Markt für Set-top-Boxen sehr positiv. Doch das tun sie bereits seit Jahren. Und wie beim Thin-Client-Konzept, das immer wieder gute Kritiken erhält, kommt das Geschäft mit den Internet-Boxen für das TV-Gerät trotzdem nicht in die Gänge.

Das ausschlaggebende Kriterium für den Erfolg der Chips wie auch der Geräte ist sicher der Preis. Gerade das Set-top-Boxen-Geschäft sei extrem preissensibel, erklärt Thorsten Herfet, Leiter der Multimedia-Systeme bei Grundig. So könne er den Kunden unmöglich klarmachen, das Grundig-Gerät koste 50 Mark mehr, weil darin ein besonderer Chip arbeite, wenn andere günstigere Geräte genau die gleichen Funktionen böten.

Der Preis wird über die Chips entscheiden

Die neuen System-on-a-Chip-Lösungen müßten also auch einen Preisvorteil bieten, sonst sehe es für ihre Zukunft im Set-top-Boxen-Geschäft sehr düster aus, erklärt Herfet. Über die Preise für die Chips hüllt sich Natsemi jedoch noch in Schweigen. Das sei alles eine Frage der Stückzahlen, lautet die lapidare Begründung.

Für professionelle Anwender, die bereits mit Information Appliances arbeiten, sind technische Details kaum von Bedeutung. Godehard Schwerhoff, verantwortlich für die Pen-PCs bei der Ostfriesischen Teegesellschaft, definiert seine Kritierien ganz banal: "Die Geräte müssen funktionieren und einfach zu bedienen sein. Ob Chip X oder Chip Y drinsteckt, ist egal", erklärt Schwerhoff. Wenn eine tolle Einzelkomponente eingebaut sei, könne man sich zwar darüber freuen, aber wenn das ganze Gerät nicht vernünftig funktioniere, dann helfe auch der beste Chip nichts.