DV-Anwendungen müssen verantwortbar sein:

Informatiker warnen vor Datenmißbrauch

30.10.1987

MÜNCHEN (ih) - Während auf der Systems die Technik-Euphorie den Ton angab, warnten zuvor die "Informatiker für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung" (FIFF) auf ihrer Jahrestagung in München vor dem Mißbrauch der Informationstechnik. Mehr als am technisch Machbaren sind die FIFF-Mitglieder daran interessiert, welche Anwendungen des Computers noch verantwortbar sind.

Die FIFF-Jahrestagung fand heuer zum dritten Mal statt und stand unter dem Motto "Schöne neue Computerwelt?". Die rund 500 Wissenschaftler und Computertechniker wandten sich auf dem Kongreß gegen die Auffassung, das Denken über die Zielsetzung und Folgen ihrer Tätigkeiten nur den Politikern zu überlassen. Vielmehr sind die FIFF-Leute der Meinung, daß es bei komplexen Entscheidungen immer mehr auf das Urteil von Fachleuten ankomme. So nahm Rüdiger Valk in einem der Hauptvorträge die "Beherrschbarkeit von Programmsystemen" sowie "die Verantwortung des Informatikers" unter die Lupe. Der Professor an der Universität Hamburg und Leiter des Arbeitsbereichs "Theoretische Grundlagen der Informatik" bemängelte in seiner Rede, daß das tatsächliche Ausmaß der Risiken des Rechnereinsatzes von der Öffentlichkeit völlig unterschätzt werde. Als Beweis führte Valk einige gefährliche Beispiele an, in denen das Versagen von Computern oder ihren Bedienern menschliches Leben gefährdet hat beziehungsweise noch Schadenanrichten kann. So waren nach Angaben des Gouverneurs von Nevada die katastrophalen Überschwemmungen des Colorado im Juni 1983 eine direkte Folge von fehlerhaften Computerberechnungen, durch die zuviel Wasser in den Staubecken zurückgehalten wurde. Ferner entdeckte im März 1979 die "Nuclear Regulatory Commission" einen Fehler in Programmen für den Entwurf von fünf Atomkraftwerken an der amerikanischen Ostküste. Wegen dieser Fehler können diese Atomkraftwerke möglichen Erdbeben nicht standhalten. Darüber hinaus würden, so der Hamburger Professor, rechnergestützte Systeme Risiken bergen, die gesellschaftliche Fehlentwicklungen sowie wirtschaftliche Schäden nach sich ziehen könnten. Erforderte die Kollegen auf, die Öffentlichkeit verstärkt über die Grenzen und Probleme dieser neuen Technologie aufzuklären.

Über eine andere Art von Gefahr referierte Professor Klaus Brunnstein. Er beschäftigte sich in seinem Vortrag mit "Viren, Würmern und anderem seltsamen Getier in Rechensystemen". Als aktuellen Anlaß nahm der Hamburger Wissenschaftler den Einbruch deutscher Hacker in Rechennetze europäischer und amerikanischer Raumfahrtunternehmen. Brunnstein räumte ein, daß es ziemlich aussichtslos sei, Virus-Programme in den Griff zu bekommen. Jeder Informatiker müsse wissen, daß man keine Software zur Prüfung von Programmen universeller Art machen könne. Genau das sei aber notwendig, um Viren zu entdecken. Der DV-Experte forderte seine Kollegen auf, sich gemeinsam zur Lösung dieses Problems Gedanken zu machen.

In insgesamt sieben Hauptvorträgen, zehn Arbeitsgruppen und einer öffentlichen Podiumsdiskussion mit dem Thema "ISDN - Infrastruktur für Big Brother" beleuchteten die Informatiker drei Tage lang die Gefahren des Mißbrauchs der Informationstechnik. Vor allem die Entwicklung in der Bundesrepublik, die zur totalen Erfassung der Bürger mit Hilfe des Computers führen könne, halten die Wissenschaftler für bedenklich. In diesem Bereich sehen sie es ebenfalls als ihre Aufgabe an, den Bürger über mögliche Gefahren aufzuklären. Eine Arbeitsgruppe stellte Ansätze für die Kriterien einer menschengerechten und sozialverträglichen Technikgestaltung vor.