In der "Gründerzeit" dominierte der Anwendungstechniker:

Informatiker pflegen neues Image

25.10.1985

Informatik ist heute das Zauberwort in Wirtschaft und Verwaltung. An vielen deutschen Universitäten kann das Fach Informatik studiert werden. Selbst in die Schulen hält es Einzug. Indes besteht ein Paradoxon: Doch der an den Hochschulen ausgebildete Informatiker ist in immer geringerem Maße von der Industrie direkt einsetzbar, kritisiert Karl Breithaupt vom Institut für Betriebsorganisation und Informationstechnik (InBIT) in Paderborn.

In ihren Anfängen war die Informatik ein Anwendungsfachgebiet im Rahmen der Mathematik. Die Ausbildungsinhalte waren direkt an den Erfordernissen eines Einsatzes in wissenschaftlichen und industriellen Rechenzentren ausgerichtet, Die angehenden Informatikabsolventen waren schon während ihres Studiums in den Rechenzentren der wenigen an bietenden Hochschulen direkt mit praktischen Aufgaben betraut. Dieses Bild hat sich gründlich gewandelt. Die Informatik ist eine eigenständige Wissenschaft geworden mit eigenen Strukturen und Theorie gebäuden. Auch die Informatik ist im den Elfenbeinturm der Wissenschaft eingezogen. Zunehmende Praxisferne der Studenten ist die Folge.

Gleichzeitig haben sich die Informationstechnik und deren Anwendungen im Laufe der Zeit grundlegend gewandelt. Noch in den sechziger Jahren waren es die technischen Probleme der elektronischen Datenverarbeitung, die deren Anwendung begrenzten. Heute hat die Technik einen Stand erreicht, der die weitgehende Befriedigung von Benutzer wünschen erlaubt. Dies hat gravierende Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Informatikers.

Der Informatiker der "Gründerzeit" war eher ein Anwendungstechniker: Nicht nur, daß er die logischen Schaltungen in den Maschinen teilweise mit der Hand nachvollziehen konnte, bei der Lösung von Anwenderproblemen mußte er zunächst die technischen Möglichkeiten der vorhandenen Maschinen intensiv ausloten, bevor er an die Lösung der eigentlichen Aufgabe gehen konnte Die entwickelten Lösungen waren daher auch stärker von der Techniksicht des Informatikers geprägt als von der Verwendungssicht des Anwenders. Dies mochte angehen zu einer Zeit, da Datenverarbeitung auf wenige Großrechenzentren beschränkt war.

Die Fachpublikationen heute, auch in dieser Zeitschrift, stellen Begriffe wie Software-Ergonomie, Anwendungsfreundlichkeit in den Vordergrund. Statt der Technik sind der Anwender und seine Anwendung in den 1 Mittelpunkt gerückt. Der Informatiker muß sich damit vom Architekten der Technik zum Gestalter der Anwendung wandeln.

In der Industrie hat sich eine breite Palette verschiedenster Tätigkeitsfelder für den Informatiker herausgebildet. Sie reicht vom Systemspezialisten (Betriebssysteme, Compiler, Peripheriegeräte) über den Spezialisten für Echtzeitverarbeitung (inklusive Prozeßsteuerung) bis zum Entwickler von Expertensystemen und Systemen der künstlichen Intelligenz. Neben die Großdatenverarbeitung sind in zunehmendem Maße kleinere Systeme getreten, bis hin zum PC. Weiterhin sind gerade in den letzten Jahren die Informations- und die Kommunikationstechnik enger zusammengewachsen. Netzwerke, nicht nur für den Datenaustausch, sondern auch für Sprache und Bild bis hin zur Bewegtbild-Kommunikation werden immer wichtiger. Welche Konsequenzen hat dies für die Ausbildung der Informatiker?

Niemand ist heute mehr in der Lage, die komplette Breite der Informations- und Kommunikationstechnik voll zu beherrschen. Dennoch muß jeder Informatiker einen Überblick über die Breite nicht nur der Informationstechnik, sondern auch der Kommunikationstechnik erhalten. Aufbauend auf diesem Fundament muß er sich für ein Spezialgebiet entscheiden. Dieses Spezialgebiet sollte einerseits nicht zu eng ausgelegt sein, damit die Einsatzmöglichkeiten später nicht zu sehr begrenzt werden. Andererseits muß in diesem Spezialgebiet neben eine fundierte theoretische Ausbildung unabdingbar eine praktische Ausbildung treten. Heutige Absolventen der Informatik sind vielfach nicht direkt in einem Betrieb einsetzbar, sondern müssen von der Industrie intensiv nachgeschult beziehungsweise trainiert werden, weil praktische Systemkenntnisse nicht in ausreichendem Maße vorhanden sind.

Zum Systemgestalter gehören profunde Kenntnisse über Organisation, soziale Zusammenhänge sowie Kommunikation im Betrieb. Viele Anwendungen, die heute von Informatikern entwickelt werden - dieses Schicksal teilen sie mit den Selfmademen der EDV - , erfüllen deshalb nicht die in sie gesetzten Erwartungen, weil die personale und kommunikative Umgebung im Feld nicht berücksichtigt wurde. Der Informatiker muß lernen, ein Organisationssystem als Gesamtzusammenhang von Anforderungen der Sachmittel (inklusive EDV und Bürokommunikation) und Benutzern dieser Sachmittel zu begreifen. Dabei ist auch die heute als so wichtig erachtete Hard- und Software-Ergonomie nur ein Teilaspekt. Kaum ein Anwendungsentwickler berücksichtigt heute die Kommunikationsanforderungen des Individuums, das mit diesen

Anwendungen arbeiten soll.

Der Mensch als Gesellschaftswesen, wie er der Betriebssoziologie zugrunde liegt, hat in die Informatik offensichtlich noch nicht recht Einzug gehalten. So ist die Notwendigkeit interpersoneller Kommunikation einzelner Sachbearbeiter noch nicht genügend in das Blickfeld gerückt.

Bei der Systemgestaltung müssen unterschiedliche Qualifikationsanforderungen berücksichtigt werden. Der Informatiker, der Software-Ergonomie ohne diese Unterscheidung fordert und umsetzt, stülpt dem Anwender nur auf andere Art wieder eine bestimmte Technik über. Datenerfassung etwa muß deutlich von ganzheitlicher Sachbearbeitung abgehoben werden. Wer Systeme für Sachbearbeiter erstellen will, muß diese Sachbearbeiter verstehen lernen. Wer Expertensysteme erstellen will, muß Experten in ihrem Umfeld verstehen lernen.

Die Ausbildung an unseren Universitaten hat diese Anforderungen bisher kaum oder gar nicht aufgegriffen. Auch die Nachqualifizierung in der Industrie greift diesen ganzheitlichen Systemgestaltungsaspekt nur in beschränktem Maße auf. Dieser ist heute vielfach noch Bestandteil allein der praktischen Erfahrung. Je weiter die Informations- und Kommunikationstechniken in die verschiedensten Anwendungsbereiche hineingreifen, desto wichtiger wird dieser Aspekt. Desto weniger kann nämlich damit gerechnet werden daß Anwender sich Spezialwissen aneignen. Nicht der Anwender muß die Sprache der Informatiker lernen sondern umgekehrt. Sicher wird auch in Zukunft jeder Anwender gut daran tun, sich Grundkenntnisse über die Systeme zu verschaffen, mit denen er arbeitet. Doch zuallererst muß der Informatiker lernen, die Bedürfnisse des Anwenders umzusetzen.

Diese ganzheitliche Sicht wird heute nicht von staatlichen, sondern fast nur von privaten hochqualifizierten Aus- und Weiterbildungsinstitutionen vermittelt. Diese haben deshalb auch einen ungebremsten Zustrom unter anderem auch von Studienabbrechern der Fachrichtung Informatik. Nicht umsonst sind im Gefolge der großen Computerhersteller leistungsfähige Weiterbildungsinstitutionen entstanden, wie zum Beispiel auch bei Nixdorf in Paderborn das InBIT. Zusammenfassend ist festzuhalten, daß der Informatiker neben einem gründlichen theoretischen Rüstzeug praktische Erfahrungen, wenigstens auf Teilgebieten, aus seinem Studium mitbringen muß. Darüber hinaus wird er sich vom Technikarchitekten verstärkt zum Gestalter von Systemen wandeln müssen und dafür organisatorische und kommunikative Prozesse stärker berücksichtigen müssen. Dieser letzte Teil ist dringend als Bestandteil der universitären Ausbildung zu fordern.

Kompaß für DV-Nachwuchs

Unternehmen auf Personalsuche will der "CW-Uni-Service - DV-Nachwuchs in die Wirtschaft" der CW-Publikationen Studenten der Informatik und angrenzender Gebiete als Auswahl vorstellen. Damit soll sich zugleich ein Überblick über die eigenen Marktchancen verbinden. Hersteller, Softwarehäuser und Organisationen informieren in dieser Publikation über sich und ihre Erwartungen: die Bundesanstalt für Arbeit, Marktforschungsinstitute und Personalberater steuern ihre Erfahrungen bei.

Fest steht: Mit offenen Armen empfangen Industrie und öffentliche Anstalten die Absolventen der Fachrichtung Informatik und verwandter Studiengänge. Allerdings muß Leistung - theoretische wie auch praktische - im Studium gezeigt werden: "Wir sagen nicht, die Hälfte pro Bewerber-Gruppe oder die fünf Besten. Wir sagen grundsätzlich: die Besten", formuliert ein Personalleiter eines großen Unternehmens der DV-Branche. Doch auch nach dem Examen fordert eine sich rasch wandelnde Berufswelt Flexibilität vom Einsteiger. Ohne die Bereitschaft zu lebenslangem Lernen wird kaum einer seinen Weg machen. Dieser Artikel ist der CW-Informationsbroschüre entnommen.

Der "CW-Uni-Service - DV-Nachwuchs in die Wirtschaft" kann kostenlos bezogen werden bei: CW-Publikationen, Anzeigenabteilung/Stellen, Frau Inge Schmid. Friedrichstraße 31, 8000 München 40, und CW-Publikationen auf der Systems, Halle 5. Stand A2 - B1, Tel.: 53 55 35