Auseinandersetzung nach vorn - aktive Strategie von innen

Informatik-Tagung präzisiert Herausforderung

19.10.1984

BERLIN (lo) - "Algorithmen verstehen lernen und nicht nur aufs Knöpfchen drücken" - diese Formulierung der Berliner Schulsenatorin Dr. Hanna Renate Laurin war quasi der Tenor der Fachtagung "Informatik - Herausforderung an Schule und Ausbildung" der Gesellschaft für Informatik (GI) an der Freien Universität Berlin (FU), die letzte Woche stattfand. Die Innere Logik der neuen Techniken begreifen, aber zugleich Kritikfähigkeit gegenüber Anwendung und Auswirkung auf gesellschaftliche Faktoren zu entwickeln, klang als Konsens auch in den Vorträgen der anderen Tagungsteilnehmer an.

Ziel der Tagung war es, die Informatik-Ausbildung, ihre Auswirkungen und Realisierung in den unterschiedlichen Bildungs- und Berufsbereichen darzustellen. Das öffentliche Interesse war groß: 80 Prozent der gut 500 Teilnehmer waren keine Mitglieder der GI.

"Neue Techniken verändern die gesellschaftlichen Strukturen', formulierte Professor Dr. Peter Hübner,

Vizepräsident der FU, zur Eröffnung des Fachtreffens. Chancen und Gefährdungen der neuen Technik seien

zu messen an dem Zweck und dem Nutzen, den sie böten und ebenfalls, für wen sie Vorteile brächten. Eine , (...)ndere Aufgabe des Bildungswe(...) sei es deshalb, "kognitive Lernprozesse technisches Verständnis und Kritikfähigkeit zu schüren und entwickeln".

Informatikstudium als Notwendigkeit, die "Selbstvergewisserung" der Gesellschaft zu erweitern sei ebenso zu nennen wie die Tatsache, daß dieses neue technische Wissen als Qualifikation auch außerhalb des Systems Schule hoch zu bewerten sei.

Weniger den Umgang mit der Technik, vielmehr die Logik von deren An- und Verwendung zu vermitteln, forderte auch die Berliner Schulsenatorin Laurin. Hier sei die Gelegenheit vorhanden, technische, ökonomische sowie gesellschaftliche Tatbestände zu verbinden. Voraussetzung dazu sei der Wille von Experten, Grenzen und Probleme zu erkennen, ebenso wie der von Kritikern, mit den nötigen Fachkenntnissen zu argumentieren.

Aversionen gegen die neuen Techniken in der BRD sprach Professor Dr. Klaus Haefner, Universität Bremen, an. Wiewohl die demokratische Struktur durch eine Substruktur bedroht werde, sei "Integrieren oder Begrenzen" keine realistische Alternative. Politische, wirtschaftliche, aber auch, militärische Faktoren zwängen zu einer Integration in eine "human computerisierte" Gesellschaft als Zielvorstellung.

Integrieren oder Begrenzen

Zur Gestaltung beitragen müsse eine Erweiterung des "Human-Kapitals". Zugleich gelte es, eine Elite zu verhindern, die alles beherrsche. "Laufende Anpassung an die laufende Provokation automatisierter Wissensbildung" genüge nicht, sondern eine kontinuierliche Verteilung der Lern-Stoffe als Aktion stehe im Vordergrund.

"Auseinandersetzung nach vorn! Aktive Strategie nach innen!", nannte Haefner als Parole. Darunter fielen sowohl ein computergestützter Unterricht "mit Maßen" als auch eine "verspielte" Form des Computer-Lernens.

Die Trennung von Ausbildung, Beruf und Problemlösung werde verschwimmen, in diesem Zusammenhang das Bildungswesen seine traditionelle Rolle verlieren. Der neu formulierte Auftrag laute, daß ein Rechnereinsatz komplimentierend bei informeller Bildung stattfinde mit dem Gedanken, Bildung und Ausbildung nicht als "Einmal-Qualifikation" zu verwirklichen.

Kein Wettlauf um Computereinsatz

"Uns geht es um ein erweitertes Verständnis der Auseinandersetzung mit den neuen Technologien, das ein mehrperspektivisches Nachgehen nach den ökonomischen, sozialen, persönlichen und ethnischen Aspekten der neuen Technologien beinhaltet. Informatik ist hier lediglich ein Aufgabenbereich", skizzierte Georg-Berndt Oschatz, niedersächsischer Kultusminister und Präsident der Ständigen Konferenz der Kultusminister (KMK). Für die Bildungsverwaltung komme es deshalb darauf an, gründlich durchdachte Versuche zu initiieren, in denen die Auseinandersetzung mit der neuen Technik in der Schule durchgeführt und zugleich mit ebensolcher Intensität überprüft werde, was sinnvoll, vertretbar und vervantwortbar sei. Es könne also nicht bedeuten, sich an dem Wettlauf um die schnellstmögliche Einführung von Computern zu beteiligen.

Diese Entwicklung wirke sich in der Schule ambivalent aus: zum einen Rationalisierung des Lernens, Entlastung des Lehrers von Routine, zum anderen Lernen und Lehren als interaktiver und kommunikativer Prozeß des sozialen Handelns. Solche Gegensätze riefen nicht nur Verunsicherung hervor, sondern führten zu einer Infragestellung oder Überprüfung der Bildungsinhalte.

Der Präsident der KMK stellte als Anforderungen an Bildung und Ausbildung heraus, daß informationstechnisches Know-how für die BRD eine wesentliche volkswirtschaftliche Voraussetzung bilde, Der technisch- und sozialökonoinische sowie sozio-kulturelle Entwicklungsstand mit Qualifikationen, Einstellungen und Akzeptanzen gestalten sich zu einer wichtigen Wettbewerbsgröße anderen hochentwickelten Volkswirtschaften gegenüber.

Für den Erwerbstätigen würden zunehmend solche Bildungsvoraussetzungen wichtig, die "Verfolgung, Teilhabe und damit existentielle Bewältigung" technischer und ökonomischer Veränderungen ermöglichten.

Für den politischen Kontex betonte Oschatz, daß der Willensbildungsprozeß in einer Demokratie "frei zugängliche und umfassende informationen" voraussetze. Dabei käme mit wachsender Informationsmenge und zunehmenden Informationsmöglichkeiten darauf an, den Bürger mit vertraut zu machen und ihn die Beschaffung und Verarbeitung von informationen vorzubereiten.

Referate über didaktische Konzeptionen des Informatikunterrichts in verschiedenen Schultypen und Tutorials zu den Themen wie Auswirkung und Trends der Informatik sowie DV-Anwendungen galten den erwarteten Zielgruppen aus Schule, Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung.