Informatik: Ein Mittel zur Beschreibung der Welt

05.06.1981

Mit Hilfe der Technik ist es uns gelungen einen außerordentlichen Wohlstand zu erreichen. Dabei soll unbestritten sein, daß in dieser technisierten Welt auch Schattenseiten vorhanden sind. Ich halte es aber als eine einwandfrei belegbare Tatsache, daß wir eine Weise zu leben erreicht haben, die allen bisherigen überlegen ist.

Diese technische Zivilisation ruht auf zwei wesentlichen Säulen: auf Energie und Information.

Parallel mit diesem Erfolg bricht in zunehmendem Maß eine technikfeindliche Haltung auf, die sich zunächst gegen die Säule "Energie" (in Form der Gegnerschaft zu Kernkraftwerken und Verkehrsbauten) äußert, von der aber keineswegs ausgemacht ist, daß sie sich nicht auch gegen die Säule "lnformation" wenden kann. Hinter der Aversion gegen eine technisierte Welt scheint ein Gefühl der Sinnentleerung des täglichen Tuns zu stehen. Der Sinn der meisten Tätigkeiten ist nicht mehr direkt erfahrbar und überhaupt nicht mehr mit dem eigenen Lebensunterhalt verbunden.

Verdrängter Mensch

In der Informatik konnte nun eine weitere Gefahr für die Frage nach dem Sinn der Arbeit, des Tuns überhaupt gesehen werden, denn ohne Zweifel wird sie die Art der Arbeit beeinflussen. Hat die Technik zunächst das Verhältnis des Menschen zu seinen körperlichen Tätigkeiten, zu seinem Werkzeug, zu den Maschinen beeinflußt, so ist sie jetzt dabei, das Verhältnis des Menschen zu seinen geistigen Tätigkeiten, zu seinen gedanklichen Produkten zu beeinflussen. (Plastisch ausgedruckt zum Papier). Wurde der Mensch durch die Technik aus dem persönlichen materiellen Herstellungsprozeß verdrängt, so wird er nun aus dem geistigen Herstellungsprozeß gedrängt.

Nun sind unsere Werte und wertbestimmenden Ziele immer auch Ausdruck unserer Arbeitserfahrung. Es wird daher entscheidend sein, ein Verständnis für die Bedeutung unserer Einschätzung der Arbeit beziehungsweise unseres herstellenden Tuns zu erreichen, um ein Fundament auch für die Beurteilung der Informatik zur Bestimmung ihrer Position zu haben.

Der Computer stellt jene technische Erfindung dar, die für die Entwicklung des ausgehenden Jahrhunderts von fundamentaler Bedeutung wird. Wenn technische Möglichkeiten einer Epoche bestimmend für das Weltbild der Epoche sind, so muß das Besondere, Spezifische dieser Technik für das Welt- und Selbstverständnis, für das Wert- und Sinngefühl dieser Zeit von Bedeutung sein beziehungsweise werden. Andererseits hängen die gedanklichen Ordnungsgefüge mit dem ökonomischen und gesellschaftlichen Zustand eines Zeitalters zusammen. Worin kann man daher unter diesem allgemeinen Aspekt das Besondere der Informatik sehen?

Für die folgenden Überlegungen stellt sich das Gebiet der Informatik als Ganzes und von außen gesehen im wesentlichen als ein Mittel zur Beschreibung (der Welt) dar. In und durch die Informatik wird jenes Hilfsmittel erarbeitet und bereitgestellt, das ermöglicht, daß wir eine logisch konsistente, rasch handhabbare, inhaltlich sehr umfangreiche Beschreibung von immer umfassenderen Bereichen erstellen können und zur Verfügung haben. Gesellschaftspolitisch gesprochen taucht der Warencharakter der Information auf. Die Folgen sollten ähnlich sein, wie wir sie im Bereich der gegenständlichen Objekte und der manuellen Arbeit kennen. Der Warencharakter der geistigen Arbeit wird zunehmen. Information wird zu einem erwerbbaren Gut, meßbar und tauschbar am Maß seines Geldäquivalentes.

Worauf aufmerksam zu machen ist, sind einige, gefährliche Implikationen, die durch die mit der Entwicklung der Informatik geförderte Betonung der Beschreibungsstruktur gegenüber der Herstellungskategorie hervorgerufen werden, wobei das Gesamtsystem der Informatik und die so mit ihr gegebenen Möglichkeiten gemeint sind. Einmal erarbeitete Beschreibungsstrukturen eignen sich gut als Waren, wenngleich sie derzeit noch nicht gut in das eingefahrene Handelsgefüge passen. (Patentrecht, Musterschutz, Diebstahlsbegriff.)

Um das zu erläutern ist es notwendig, sich mit jenen Kategorien zu befassen, unter denen wir seit der Antike gewohnt sind menschliche Aktivitäten zu fassen. Es waren dies, zurückgehend auf Aristoteles drei: Theorie, Praxis und Poiesis. Theorie und Praxis muß man nicht übersetzen, wohl aber Poiesis - Herstellen. Letzteres ist in der Denkgeschichte nicht entsprechend beachtet und verfolgt worden.

Daß innerhalb des Gebietes der Informatik verantwortlich gearbeitet, hergestellt, experimentiert und an Mißerfolgen gelernt wird, mit anderen Worten produziert, ist selbstverständlich. Allerdings nimmt das Experimentieren ab (höchstens mit ganzen Softwareteilen), so daß auch das Lernen am Mißerfolg zurückgeht. Die Informatik als Ganzes aber konstituiert eine ungeheure Möglichkeit Beschreibungsstrukturen aufzustellen und stabil zur Verfügung zu haben. Die Programme und ihre Daten stellen jeweils eine formal geordnete und menschlich extern, fixierte Beschreibung eines Sachverhaltes dar. Mit der Zunahme der Leistungsfähigkeit der Systeme wächst der mögliche Umfang dieser Beschreibung.

Das Problem sind die Folgen dieses durch die "lnformatik" ermöglichten Gebietes als Ganzes dessen Hergestelltheit und dessen Produktcharakter; dessen Künstlichkeit gerne übersehen wird und zwar weil wir der Kategorie des Herstellens in der Denkgeschichte zu wenig Beachtung geschenkt haben. Eine sorgfältigere Differenzierung zwischen den Kategorien Theorie, Handeln und Herstellen scheint, um überhaupt das Problem fixieren zu können, Voraussetzung zu sein.

Theorie macht Sinn

Nur als Beispiel, weil es jedermann leicht erfahrbar ist und keineswegs als konkretes Problem sei darauf verwiesen, daß ein komplexes Modell eines Vorganges in einem Unternehmen, gemeinsam erstellt von Mathematikern, Volkswirten, Informatikern, Technikern etc., wenn es einmal eingeführt und akzeptiert ist, sehr rasch an die Stelle der Wirklichkeit tritt. Das Modell, die Theorie, steuert dann das Handeln und sagt aus, ob Handlungen sinnvoll sind. In seinem Lichte werden nicht passende Ergebnisse beurteilt. Nach einiger Zeit wird die Umwelt, die Realität, als falsch erklärt und nicht das beschreibende Modell. Ein solches Modell ist dann auch übertragbar und verkaufbar. Es hat einen Gegenwert in Geld; es ist zur Wirklichkeit geworden.

Es läßt sich zeigen, daß dieses Verhalten theoretisch gerechtfertigt werden kann und eine Gefahr für die Sinnentleerung unseres Handels darstellt. In ihm wurzelt die Möglichkeit Information zum Produkt und damit zur Ware (für Geldwerte) zu machen.

Entnommen dem neuen Band der Schriftenreihe der Österreichischen Computer Gesellschaft " Informatik und Philosophie", Seite 67, herausgegeben von Helmut Schauer und Michael Tauber, erschienen bei R. Oldenbourg, Wien, München; Preis in Schilling (Preis in DM liegt noch nicht vor); Werner Koenne: "Beschreibung versus Produktion".