Infor: Java ist nicht mehr das Thema

22.11.2006
Nach seinen vielen Übernahmen ist der Softwarehersteller bemüht, Produktlinien und Organisation neu zu ordnen. Außerdem sind auf Kundenwunsch zahlreiche Funktionserweiterungen geplant.
Infor bemüht sich, seine Software klar zu positionieren. Es bleiben aber Überschneidungen und Unschärfen.
Infor bemüht sich, seine Software klar zu positionieren. Es bleiben aber Überschneidungen und Unschärfen.

Künftig sollen alle Infor-Lösungen auf die drei Geschäftseinheiten Enterprise Solutions (ESG), Strategic Solutions (SSG) und Financials Solutions (FSG) aufgeteilt werden. Die ERP-Linien "Infor ERP COM", ehemals die deutsche Infor-Lösung, und "Infor ERP LN" - dahinter verbirgt sich das einstige Baan-System, das über die Akquisition von SSA Global im Mai dieses Jahres zu Infor kam - finden sich unter dem Dach der ESG wieder, teilte der Hersteller kürzlich auf seiner Kundenveranstaltung Inforum in Berlin mit.

Neue Infor-Organisation

Derzeit bastelt Infor an seiner neuen Organisation. Dabei hat es den Anschein, dass der Hersteller seine lokalen Präsenzen in den einzelnen Ländern zugunsten der größeren Einheit Central Europe zurechtstutzt. Ende Oktober hatte Infor angekündigt, die Struktur seiner deutschen Tochtergesellschaften zu verschlanken.

Es gehe vor allem darum, Synergien in der Administration zu schaffen, wiegelt Infor-Manager Stahl ab. Mit der Akquisition von SSA gebe es in manchen Regionen zu viele Büros. Diese würden zumindest teilweise zusammengelegt. Personalmaßnahmen ständen dabei nicht im Vordergrund. Zudem müssten die Kunden nicht befürchten, die Nähe zum Hersteller zu verlieren, versichert Stahl. Auch die Supportkapazitäten blieben etwa auf dem gewohnten Niveau.

Die Infor-Anwender zeigen sich indes weiterhin skeptisch. Beispielsweise gebe es beim Support durchaus Verbesserungsbedarf, verlautete von Seiten der Deutschen Baan Usergroup (DBUG). Auch in Sachen Produktstrategie haben die Kunden Zweifel. Die Absichten des US-Eigentümers seien schwer einzuschätzen, so der Tenor. Da die Investoren in erster Linie an ihrer Rendite interessiert seien, könne sich alles schnell wieder ändern.

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Kennzahlen Infor

Umsatz: 2,09 Milliarden Dollar (Geschäftsjahr 2005/06), Prognose 2006/07: 2,23 Milliarden Dollar;

Kunden: 70 000 (Neukunden Geschäftsjahr 2005/06: 795);

Mitarbeiter: 8100;

Niederlassungen: 70 Länder (Implementierung in 100 Ländern).

Für gehobenen Mittelstand

Darüber hinaus richten die Infor-Verantwortlichen ihre Entwicklungsstrategie neu aus. Die Umstellung von ERP COM auf Java ist demnach kein Thema mehr. Ursprünglich sollte die Infor-Lösung ausgebaut werden, um sie weltweit auch Kunden aus dem gehobenen Mittelstand anzubieten, erläutert Markus Stahl, Manager Global Industry Marketing von Infor. Die Akquisition von SSA Global und die damit verbundene Übernahme der Baan-Produkte hätten diese Pläne jedoch über den Haufen geworfen. Mit dem aus dem Baan-System hervorgegangenen ERP LN verfüge Infor nun über die notwendige Produktlinie für dieses Segment.

Der Technikfokus habe zudem bei den Anwendern wenig Begeisterung hervorgerufen, räumt Stahl ein. Infor habe es außerdem versäumt, von den Anwendern benötigte Funktionen bereitzustellen. Aus Gesprächen sei hervorgegangen, dass 95 Prozent der Kunden Investitionen in zusätzliche Funktionen und mehr Prozessunterstützung favorisierten. "Wir werden künftig wieder besser auf unsere Kunden hören", versprach der Manager.

Infor entwickelt Infor weiter

Aktuell arbeiten die Infor-Entwickler an dem neuen ERP-COM-Release 7.1, das im kommenden Jahr auf den Markt kommen soll. Stahl bezeichnet die neue Version als Major-Release, das eine Reihe von zusätzlichen Funktionen bieten soll. Beispielsweise würden die Erfassung von Betriebsdaten, die Anbindung von Maschinendaten und die Leitstandtechnik verbessert. Ausbauen will der Hersteller ferner die Einkaufsmodule, die Lagerverwaltung sowie Komponenten für die Versand- und Lieferabwicklung. Um die Nutzung der Software zu erleichtern, können Anwender personalisierte User Interfaces einrichten. Auch die Auswertung von Daten soll mit Hilfe von zusätzlichen Dashboards erweitert werden.

Fokus liegt auf ERP LN

Die Infor-Kunden begrüßten den Kurswechsel ihres Softwarelieferanten. Die Java-Entwicklung habe kaum jemanden interessiert, verlautete es von Seiten des Infor-Anwender-Vereins. Wichtiger sei der funktionale Ausbau der Software. Allerdings ist es dem Hersteller noch nicht gelungen, alle Vorbehalte seiner Kunden auszuräumen. Gerade hinsichtlich der Integration der vielen zugekauften Produktlinien blieben noch etliche Fragen offen, mahnt Martin Quintus von der Deutschen Baan Usergroup, deren Mitglieder mit der Übernahme von SSA Global zu Infor wechseln mussten.

Während die ERP-COM-Lösung im Rahmen der herkömmlichen Release-Politik weiterentwickelt wird, gibt es für das ERP-LN-Produkt in regelmäßigen Abständen Feature Packs (FP). Nachdem im erst kürzlich freigegebenen FP3 Integrationsthemen wie Warehouse-Management, Barcoding und E-Procurement im Vordergrund standen, sollen mit FP4 Ende kommenden Jahres zusätzliche Funktionen in ERP-LN einfließen. Dazu zählen beispielsweise hochvolumige Fertigungsprozesse und Distribution sowie eine "Global Automotive Solution". Anwender sollen damit effizienter globaler fertigen können und mehr Flexibilität im Beschaffungswesen und in der Logistik erhalten.

Mit der Übernahme von SSA ist der Druck auf Infor größer geworden, mahnt Christian Glas, Analyst von Pierre Audoin Consultants (PAC). Der Anbieter müsse seine Produkte klarer positionieren. Hier habe Infor zwar Fortschritte gemacht, zum Beispiel bei ERP COM und ERP LN, der Analyst sieht trotzdem noch Verbesserungsbedarf. "Kunden suchen nach Produkten mit Zukunft", sagt Glas. Wenn jedoch der Hersteller dem Interessenten mehrere Produkte mit der Aufforderung präsentiere, sich eines auszusuchen, frage sich der Anwender natürlich, welche Software Zukunft hat.

SOA-Strategie

Die Zukunft heißt auch für Infor wie bei vielen anderen Softwareanbietern SOA. Mit "Infor Open SOA" arbeitet der Hersteller an seiner eigenen Ausprägung ei- ner Service-orientierten Architektur. Bis auf die üblichen Versprechen von mehr Flexibilität und verbesserter Integration auf Anwenderseite sowie die Beteuerungen, man werde sich strikt an Standards halten, ist bislang noch wenig über die Infor-SOA zu erfahren. Einzelheiten zu ihrer SOA-Strategie wollen die Infor-Verantwortlichen Anfang 2007 in einer Roadmap vorstellen.

Es gehe grundsätzlich darum, die Software stärker zu modu- larisieren, erläutert Infor-Manager Stahl. Anwendungen sollen in einzelnen Breichen gekapselt und Schnittstellen eingezogen werden. Über eine Integrationsplattform könnte man diese Komponenten dann als Services miteinander koppeln. Der Umstieg werde kein Big Bang für die Anwender, verspricht Stahl. Vielmehr werde die neue Architektur im Rahmen der herkömmlichen Release-Politik integriert.

Bevor Infor jedoch seine SOA-Träume wahr machen kann, muss der Hersteller seine Kunden dazu motivieren, die Roadmap mitzugehen und auf die aktuellen Releases zu wechseln. "Die Kunden sehen zum Teil nicht die Notwendigkeit einer Migration, wenn die benötigten Funktionen in einem neueren Release nicht vorhanden sind", räumt Stahl ein. Daher gehe es für den Anbieter in erster Linie darum, seine Applikationen mit neuen Features anzureichern, um die Anwender zum Umstieg zu bewegen. Ziel sei es, Anreize zu schaffen, es soll kein Zwang ausgeübt werden.

Umstieg individuell

"Alle Produkte werden unbegrenzt weiterentwickelt und unterstützt", verkündet der Infor-Manager. Allerdings behalte sich der Hersteller vor, in bestimmten Fällen mit einzelnen Kundengruppen darüber zu sprechen, ob ein Umstieg für beide Seiten nicht Vorteile biete. "Wenn nur sehr wenige Kunden eine bestimmte Lösung einsetzen, werden wir diese ansprechen und einen individuellen Weg aufzeige."

Dabei stehen offenbar auch die Wartungspreise zur Debatte. Zwar stehe Infor zu den bestehenden Konditionen, beteuert der Manager. Wenn jedoch das Verhältnis zwischen Inanspruchnahme und Leistung nicht mehr ausgewogen sei, müsse man miteinander sprechen. Das sei jedoch auf einzelne Produkte und Kundengruppen beschränkt. Infor habe keinesfalls die Absicht, die Wartungsgebühren generell zu erhöhen. Allerdings gibt es auch keine Pläne, eine durchgängig einheitliche Wartungs-Policy für alle Produkte zu entwickeln.