Erst Shooting-Star, dann Buhmann der Börse, nun wieder Hoffnungswert

Infomatec: Ein Softwarehaus tanzt auf zu vielen Hochzeiten

28.05.1999
Von Andrea Goder* AUGSBURG - Mit einer aggressiven Akquisitions- und Beteiligungspolitik hat die seit Juli 1998 am Neuen Markt notierte Infomatec AG in den letzten Monaten für Furore gesorgt. Die zunächst kurstreibenden Zukäufe lassen aber bislang keine klare Unternehmensstrategie erkennen. Auch das Ziel, bereits in diesem Jahr in die Liga der zehn größten deutschen Softwarefirmen aufzurücken, bleibt bis auf weiteres spekulativ.

Die am Neuen Markt herrschenden Spielregeln hatten die beiden Infomatec-Gründer und -Vorstände Alexander Häfele und Gerhard Harlos schnell verstanden. Nachdem die erste "Performance" als SAP-Implementierungspartner bei Anlegern nicht auf die gewünschte Aufmerksamkeit stieß, kehrten die Augsburger rasch den Internet-Player heraus und legten - vorwiegend begründet durch bislang acht Übernahmen beziehungsweise Beteiligungen - eine rasante Kursrallye hin. Ergebnis: Mit einem, gemessen am Ausgabepreis, Kursgewinn von mehr als 500 Prozent war die Infomatec-Aktie die erfolgreichste Neuemission des vergangenen Jahres und erreichte Ende Februar 1999 mit 315 Euro ihren bisherigen Höchststand. Doch die "Story" der Newcomer wurde zuletzt kritisch hinterfragt, die Anleger bekamen kalte Füße. Binnen der vergangenen drei Monate hat sich der Wert des Papiers - gemessen am Allzeithoch - zuletzt fast halbiert. Erst in den letzten Tagen trat eine Erholung auf über 200 Euro ein - bedingt durch eine spektaktulären Auftrag der Mobilcom AG. Davon jedoch später mehr.

Auch die Börsenbewertung von teilweise knapp zwei Milliarden Mark steht in keiner Relation zu den Geschäftszahlen des 1988 gegründeten und heute 140 Mitarbeiter zählenden Unternehmens. Nach 7,4 Millionen Mark Umsatz im Geschäftsjahr 1997 gelang den Augsburgern zwar im letzten Jahr der Sprung auf 22,8 Millionen Mark (ohne Akquisitionen: 17,9 Millionen Mark). Aufwendungen für besagte Zukäufe und die Kosten für den Börsengang schlugen dann allerdings am Jahresende mit einem Minus von knapp 4,5 Millionen Mark zu Buche. Im Vorjahr wurde noch ein Gewinn von 762 000 Mark ausgewiesen.

In welchen Bereichen operiert nun die Infomatec AG? Zunächst sind die Augsburger als IT-Dienstleister auf die Implementierung von R/3 spezialisiert, alles andere als ein leichter Markt, wie man weiß. Zudem verdingt man sich mit der Entwicklung von Individualsoftware - vorwiegend im Internet-, Intranet- und Extranet-Bereich. Mit der Einführung von R/3 für den Einzelhandel wollen sich Newcomer jetzt noch stärker auf ihr zweites Standbein "Retail" konzentrieren. In dieser Division entwickelt Infomatec Software für den Filialhandel, beispielsweise Warenwirtschaftssysteme, Kassensoftware sowie Etikettendrucklösungen. Doch auch hier weht im Wettbewerb mit Anbietern wie IBM, NCR und Siemens sowie zahlreichen lokalen Herstellern ein rauher Wind.

Ein Strauß an Web-Produkten

Die Phantasie der Anleger entzündet(e) sich vor allem am Infomatec-Geschäftsbereich Internet, der im vergangenen Jahr 34 Prozent zu den Einnahmen beisteuerte. Hier entwickelt man E-Commerce-Software und E-Service-Systeme - vorwiegend für den Handel, Banken und Versicherungen. Zur Web-Produktpalette der Augsburger gehören Lösungen wie die Multimedia-Datenbank "Interrchiv", die Suite "Java Core Calculator" für Finanzkalkulationen oder das interaktive Expertensystem "Java Regelinterpreter". Mit der E-Commerce-Standardsoftware " Shop" treten die Schwaben überdies in direkte Konkurrenz zu bekannteren Anbietern wie Intershop Communications. Hohes Wachstum verspricht sich Infomatec jedoch vor allem von der E-Business-Plattform "Hipex", einer Art Komplett-Dienstleistungspaket zur Lieferung schlüsselfertiger Internet-Teilnetze.

Set-top-Box gilt unter Experten als veraltet

Das Zeug zum Kassenschlager soll außerdem eine Set-top-Box haben, die Infomatec in Kooperation mit der vor kurzem gegründeten Schneider Cybermind AG, einer Tochtergesellschaft der Schneider-Rundfunkwerke, auf den Markt bringen möchte. Die auf der CeBIT ''99 vorgestellte Surfstation läuft dabei auf dem von den Augsburgern entwickelten Betriebssystem "JNT" (Java Network Technology). Branchenkenner räumen jedoch dem Produkt, dessen Vermarktung mit Mobilcom sowie weiteren OEMs erfolgen soll, nicht die besten Marktchancen ein. Ihr nicht gerade schmeichelhaftes Urteil: veraltete Technik zu einem stolzen Preis.

Was andererseits Kunden wie Mobilcom nicht davon abgehalten hat, bei den Schwaben einzukaufen. Mit einem Volumen von 55 Millionen Mark erteilte die Telefongesellschaft Ende vergangener Woche Infomatec den bis dato größten Auftrag der Firmengeschichte. Der Deal beinhaltet die Lieferung besagter Surfstationen samt Lizenzen, die die Kombination von Fernsehen und Internet ermöglichen sollen.

Die Aufzählung der Aktivitäten ließe sich fortsetzen, macht aber bereits jetzt deutlich: Infomatec präsentiert sich - neutral formuliert - mit einer breiten Produktpalette. Immer mehr Kritiker sehen in den Schwaben indes einen Gemischtwarenladen ohne klar erkennbare Strategie. Zum Beispiel ließe sich über Sinn und Unsinn eines Engagements im Bereich digitales Fernsehen trefflich streiten; und ob das Geschäft mit E-Commerce-Standardsoftware ê la Intershop eine besonders geglückter Schachzug war, darf auch angezweifelt werden. Noch dazu, wo diesen Markt derzeit die "Großen" der Branche, also IBM, SAP. Oracle und Microsoft, entdecken.

Infomatec-Chef Häfele ficht das nicht an: "Wir möchten Full-Service-Anbieter sein", rechtfertigt er seine umstrittene Unternehmensstrategie. Jedenfalls wollen die beiden Vorstände auch in Zukunft ihre Einkaufstour fortsetzen - so weit die Füße tragen beziehungsweise so lange das Geld aus dem Going Public sowie einer im Februar vorgenommenen Kapitalerhöhung reicht, wie immer mehr Börsianer witzeln. Noch ist die "Kriegskasse" mit über 140 Millionen Mark gut gefüllt. Und, wie es scheint, läßt der Griff ins gefüllte Portemonnaie bei den Vorständen auch sichtlich Spaß aufkommen. Das verwundert kaum, wirft man einen Blick auf die bis vor dem Börsengang wenig ruhmreiche Firmenhistorie. "Wir haben Geld gesucht, seit es uns gibt", räumt Häfele im Rückblick freimütig ein. Auch bei Venture-Capital-Firmen, wie Insider berichten. Doch die Wagniskapitalisten haben reihum abgewunken.

Apropos Lust zum Geldausgeben: Zu den bisherigen Einkäufen der Schwaben zählen unter anderem die Berac GmbH, Hamburg (Software-Entwicklung und -Vertrieb), die CA IT-AS GmbH, Wien (SAP-Beratung) sowie eine Mehrheitsbeteiligung (51 Prozent) an der Infomatec-PWI GmbH, Düsseldorf (Internet-Dienstleistungen) und eine Minderheitsbeteiligung (26 Prozent) an der Fantasy Media AG, Augsburg (Audio- und Video-Broadcasting über das Internet). Eine weitere in Augsburg ansässige Tochtergeselllschaft namens Infomatec-Igel-Labs (Software-Entwicklung) eröffnete unlängst eine Dependance in Hongkong; gleichzeitig wurde eine 19,9-Prozent-Beteiligung am US-Set-top-Boxen-Hersteller Boca Research unter Dach und Fach gebracht.

Im laufenden Geschäftsjahr erwartet der Infomatec-Chef einen Umsatzsprung auf rund 90 Millionen Mark, für das Jahr 2000 sind 210 Millionen Mark angepeilt. Mit diesen Zahlen dürften die Augsburger allerdings ihrem erklärten Anspruch, bereits in diesem Jahr in die Liga der zehn größten Softwarehäuser in Deutschland aufzurücken, bis auf weiteres nicht gerecht werden. Trotz roter Zahlen im ersten Halbjahr wird für 1999 mit einem Nettogewinn von rund 15,8 Millionen Mark, im folgenden Jahr mit einem Anstieg der Erträge auf 48,3 Millionen Mark gerechnet.

Ausschlaggebend dürfte sein, daß die Akquisitionsmaschinerie nicht zu schnell ins Stocken gerät. Denn nur so, daraus macht man keinen Hehl, lassen sich die genannten Wachstums- und Ertragsziele erreichen. Die Zweifel an den Planzahlen und an der Strategie nehmen jedoch, wie erwähnt, zu. Infomatec galt zuletzt - zumindest bis zum Bekanntwerden des Mobilcom-Auftrags - bei immer mehr Anlegern als hochspekulativer Titel. Die Company abzuschreiben, wäre indes mehr als unangemessen; Umsatz- und Gewinnentwicklung waren bis dato grundsolide. Firmenchef Häfele gibt sich deshalb auch selbstbewußt: "Wir sind keine Kursphantasie wie andere Internet-Firmen, sondern ein stabiler Wert am Neuen Markt."

*Andrea Goder ist freie Journalistin in München.