Industrieroboterkongreß in Linz:Gespenst "Kapofaz" schreckt den Sozialminister

08.10.1982

LINZ (eks) - Sozialpolitische Aspekte standen im Vordergrund der Fachtagung "Die Industrieroboter" in Linz vom 28. bis 30. September. Industrieroboter werden jedoch nur für einen geringen Teil der Arbeitsplatzverluste verantwortlich sein. Lieferten bislang vor allem Maschinenbaufirmen lndustrieroboter, so werden in Zukunft auch Elektronik- und EDV-Hersteller wie IBM als Anbieter auftreten.

Unter der wissenschaftlichen Leitung von Informatikprofessor Dr. Arno Schulz diskutierten rund 500 Teilnehmer, davon knapp die Hälfte aus dem Ausland die "menschenleere Fabrik".

"Ein Industrieroboter ist ein universeller, frei programmierbarer Manipulator, der in einer Produktion mehrere Handhabungen automatisch ausführen kann. Er kann als der Arm des Rechners betrachtet werden, der die Befehle des Rechners in der realen Welt ausführen kann."

(Christof W. Burckhardt, Lausanne).

In der Definition "frei programmierbar" liegt die wichtigste Ursache für die stark schwankenden Aungaben über die Zahl von Industrieroboterinstallationen. Sie sind abzugrenzen gegen NC-Maschinen, Greif- und Hebewerkzeuge, die an bestimmte Pro...sse und Produkte in Fertigungs...raßen angepaßt sind und kraftverstärkende oder Distanzwerkzeuge.

Jedoch: "Man kann jede beliebige Zahl von Industrierobotern nennen und hat recht. Es hängt völlig von der Definition ab", meint Franz Beck von IBM-Schweden.

In Schweden sind auch weltweit die relativ meisten Industrieroboter installiert. Auf 1750 Industriebeschäftigte kommt einer.

Wesentliche Merkmale von Industrierobotern sind derzeit:

-Fähigkeit, jeden beliebigen Punkt innerhalb des Arbeitsvolumens zu erreichen (drei sogenannte Freiheitsgrade erforderlich) und einen beliebig geformten Körper in beliebige Lage zu bringen (drei weitere Freiheitsgrade notwendig). Das Arbeitsvolumen entspricht etwa dem des menschlichen Arbeiters (rund 10 Kubikmeter im Stehen, ein Kubikmeter im Sitzen, 3 x 3 x 3 Zentimeter für Feinwerktechnik).

Wünschenswert sind sieben Freiheitsgrade, weil dann Arbeitspunkte auf alternativen Wegen erreicht werden können. Dies kann zum Beispiel bei Montagearbeiten im Inneren von Geräten erforderlich sein. Auch der menschliche Arm verfügt von seiner Anatomie und den dadurch möglichen Dreh- und Kippbewegungen her über sieben Freiheitsgrade.

- Fähigkeit, durch einen Greifer oder ähnliche Halterungen verschiedene Werkzeuge zu benutzen.

Schwachpunkt ist die mangelnde Sensorik. Dadurch ist eine sehr hohe Genauigkeit aller durchgeführten Bewegungen notwendig, da der Industrieroboter lediglich aus der Stellung seiner mechanischen Komponenten seine Position im Raum erkennen kann. Dies erfordert auch einen im Vergleich zu den bewegten Massen besonders festen und damit massiven Aufbau, damit nicht Verwindungen die Genauigkeit der Bewegung behindern.

Interessanterweise werden Roboter kaum für echte Schwerarbeit im Sinn großer zu bewegender Massen eingesetzt. So kann der neu angekündigte IBM-Industrieroboter RS 1 nur knapp 20 Kilogramm manipulieren. Untersuchungen der Autoindustrie ergaben allerdings, daß bei 80 Prozent der Arbeitsgänge Massen unter 2,5 Kilogramm bewegt werden (Beck).

Die Sensorik, also die Fähigkeit, die Umwelt zu erkennen, ist weniger durch das Fehlen von Instrumenten behindert als durch die heute für die Verarbeitung der "erfühlten" Information benötigte Zeit. Für das Entnehmen eines Werkteils aus einem ungeordneten, zum Beispiel geschütteten Vorrat und das Erkennen, ob es sich überhaupt um ein geeignetes Teil handelt und in welcher Position es gehalten wird, ist ein Rechenaufwand von etwa 30 Sekunden Realzeit nötig.

Mit der Zahl der Freiheitsgrade steigt der Rechenaufwand, der zur Bewegungskoordination erforderlich ist ebenfalls. Heutige Industrieroboter können aufgrund ihrer eingebauten Speicherkapazität rund tausend Raumpunkte ansteuern oder dort Aktionen setzen. Dies ist nicht viel. Denn wenn beispielsweise ein (einfacher) Bearbeitungsvorgang 50 Raumpunkte und Aktionen umfaßt, so können nur rund 20 verschiedene "Programme" - ohne zwischenzeitliches Laden ausgeführt werden. Dieses Laden ist meist mühsam, da Industrieroboter nur über primitive Schnittstellen verfügen. Oft wird die Programmeingabe durch Kassetten durchgeführt.

Der für Realtime-Umwelterkennung nötige Rechenaufwand und der für wirklich universellen Einsatz erforderliche Speicheraufwand sind die Gründe für das verstärkte Engagement von Datenverarbeitungsfirmen.

Ziemlich unterschiedlich sind die Meinungen über die arbeitsmarktpolitischen Auswirkungen des Robotereinsatzes. Die genaueste Untersuchung kam vom VW-Konzern. Nach ihr macht unter Berücksichtigung aller Folgetätigkeiten ein Industrieroboter etwa sieben Arbeitsplätze überflüssig. Dies klingt zwar nach viel, würde jedoch bedeuten, daß von den derzeit etwa 13 Millionen westeuropäischen Arbeitslosen vielleicht 30 000 dem Einsatz von Robotern zuzuschreiben wäre.

Manipulationsversuch

Die von Österreichs Sozialminister Alfred Dallinger genannten Ziffern erweisen sich bei näherer Betrachtung als Manipulationsversuch. Dallinger führt an, daß 1970 zur Erarbeitung einer Wertschöpfungsmilliarde in der Elektroindustrie noch 6900 Beschäftigte erforderlich waren. 1990 würden es nur mehr 2200 sein.

Die Differenz von 5700 innerhalb von 20 Jahren soll wohl Furcht erwecken. Sie bedeutet aber nichts anderes, als daß die Milliarde des Jahres 1990 nicht mehr die von 1970 ist, da zwischenzeitlich Personalkosten und Steuern, die wesentlichsten Bestandteile der Wertschöpfung um sechs Prozent jährlich gestiegen sind.

Dallinger warnte auch vor anderen Auswirkungen der Mikroelektronik. Neuestes Schreckensgespenst ist "Kapofaz", die kapazitätsorientierte flexible Arbeitszeit. Arbeitnehmer stehen nur mehr auf Abruf bereit, um zum Beispiel Kapazitätsspitzen bei Ladenkassen auszugleichen.

Der Sozialminister gab sich kriegerisch und forderte "offensive Mitbestimmung". Nun steht sicher außer Zweifel, daß die Mikroelektronik eine grundlegende Umgestaltung des Arbeitslebens mit sich bringen wird. Leider können die Gewerkschaften jedoch nicht sagen, wie sie sich die Mitbestimmung in praxi vorstellen. Volvo als Beispiel ist mittlerweile rund zehn Jahre alt, stammt also aus der guten alten Zeit der Arbeitskräfteknappheit. Dabei gäbe es gerade jetzt die Möglichkeit, in der gewerkschaftsnahen Konsumorganisation zu zeigen, was echte Arbeitnehmermitbestimmung ist. Österreichs größte Handelskette steht vor der Einführung von Laserkassen und der damit verbundenen Umgestaltung der Ablauforganisation.

Info und restliche Tagungsbände:

Österreichische Gesellschaft für lnformatik, c/o Prof. Dr. A. Schulz, 4020 Linz/Auhof,

Tel.: 07 32/23 13 81.