Industrialisierung hat Konsequenzen

31.01.2006
Von Dirk Taubner

Zunehmendes Interesse an Plattformstrategien

Auch die aus anderen Industrien bekannte Tendenz zu standardisierten Produkten ist in der Softwareentwicklung vorhanden. Schon immer haben (Programmier-)Sprachen geholfen zu normieren. Das standardisierte Internet Protocol war der Katalysator einer explosionsartigen Nutzung von Netzwerkdiensten für Unternehmen und Privatpersonen. Auch proprietäre Standards wie etwa das Windows-Betriebssystem und die Office-Anwendungen von Microsoft haben - ähnlich wie beim Auto die einheitliche Nutzungsschnittstelle mit Lenkrad, Gas- und Bremspedal - einen Massenmarkt für PCs und zugehörige Software sowie deren industrielle Erstellung möglich gemacht.

Indiz für eine voranschreitende Standardisierung ist das zunehmende Interesse an Plattformstrategien. Paradebeispiel ist die Automobilindustrie: Allein auf der Golf-Plattform fertigt Volkswagen sieben Modelle - vom New Beetle bis zum Audi TT. Die Kunst besteht darin, weit gefächerte individuelle Bedürfnisse mit wenigen Basisvarianten zu befriedigen. Eine Reihe von Softwareanwendern verfolgen ebenfalls eine solche Plattformstrategie, darunter Lufthansa Passage, BMW und TUI. Dieser Trend wird sich weiter verstärken.

Parallele zur Industrie: geringere Fertigungstiefe

Industrialisierung bedeutet auch, die Fertigungstiefe im eigenen Unternehmen zu verringern. Auf die Herstellung bestimmter Komponenten wird verzichtet, stattdessen kaufen Unternehmen von spezialisierten Zulieferern zu. Sie erzielen dabei bessere Preise, eine höhere Qualität und - zumindest in manchen Fällen - einen Innovationsvorteil. Zunehmend werden Lieferanten in Niedriglohnregionen gesucht. Beide Phänomene greifen derzeit mit Macht in der Softwarebranche um sich. Wir stehen hier erst am Anfang.

In der klassischen produzierenden Industrie hat dies zu erheblichen Veränderungen geführt. Ein Automobilhersteller zeichnet sich heute nicht mehr primär durch Kompetenz in der Fertigung aus. Selbst Ingenieurskönnen tritt teilweise in den Hintergrund. Erfolgsentscheidend sind das Beherrschen des Gesamtsystems, die Prozessführerschaft und die (emotionalisierende) Markenerscheinung. Auch der Einkauf gewinnt damit an Bedeutung.

Die Parallelen zwischen der klassischen Industrie und der Softwarebranche sind eindeutig. Auch wenn nicht alle Aspekte neu sind, hilft die Erkenntnis, dass sich die Softwarebranche in einer intensiven Phase der Industrialisierung befindet: Entwicklungen lassen sich so besser verstehen und antizipieren. Prioritäten können anders gesetzt werden, aus der systematischen Betrachtung der Ähnlichkeiten und auch der Unterschiede lässt sich lernen.