Individualkommunikation Existenzgrundlage der Wirtschaft

23.09.1983

Dr. Wolfgang Meyer, Leiter der Verkehrsabteilung im Deutschen Industrie- und Handelstag, Bonn

These 1

Über neue Medien sollte man nur reden, wenn man vorher präzisiert, was man darunter versteht. Über ihre rechtlich-organisatorische Gestaltung kann man glücklicherweise auch nur unter dieser Voraussetzung sprechen, insbesondere, wenn dies aus der Sicht der Wirtschaft geschehen soll. Im folgenden wird deshalb nicht mehr von neuen Medien oder neuen Informations- und Kommunikationstechnologien gesprochen, sondern von

- Individualkommunikation einerseits,

- Massenkommunikation andererseits,

das heißt:

- auf der einen Seite von Entwicklungen in der Sprach-, Text- und Datenkommunikation, für die Begriffe wie Teletex, Telefax, Datex-L und

-P, Btx, ISDN, Bürokommunikation und ähnliches stehen

- auf der anderen Seite von Entwicklungen, die Presse, Rundfunk und Fernsehen tangieren, also von Kabel- und Satellitenrundfunk, Videotext, Kabeltext.

These 2

Die Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation ist unscharf und umstritten, aber wichtig für das Überleben der Bundesrepublik als Industrienation. Denn die Individualkommunikation, Sammelbegriff für die Dienste des öffentlichen Fernmeldewesens, ist die Existenzgrundlage der Wirtschaft. Sie ist auch die Arbeitsbasis der Massenmedien, soweit sie informieren wollen. Wer informieren will, muß Informationen beschaffen können, ebenso wie der, der produzieren und verkaufen will, und dafür sind beide auf die Individualkommunikation angewiesen. Für die staatlichen und kommunalen Verwaltungen gilt nichts anderes: Auch sie funktionieren nur, wenn die Dienste der Individualkommunikation funktionieren.

These 3

Aus der existentiellen Bedeutung der Individualkommunikation für die Wirtschaft ergeben sich die Anforderungen, die an die rechtlich -organisatorische Gestaltung zu stellen sind, vor allem aber auch hinsichtlich der Frage, von wem und unter welchen Gesichtspunkten die Entscheidung zu treffen ist, ob eine neue Informations- und Kommunikationstechnik in der Bundesrepublik eingeführt und genutzt werden soll oder nicht. Grundsätzlich hat die rechtlich-organisatorische Gestaltung der Individualkommunikation, also des öffentlichen Fernmeldewesens, zu gewährleisten:

- einen stetigen und bedarfsgerechten Ausbau der Fernmeldenetze und -dienste für den nationalen und internationalen Verkehr,

- Planungssicherheit einerseits, Innovationsimpulse andererseits für Anwender und Hersteller,

- eine flächendeckende Versorgung des Bundesgebietes mit jenen Fernmeldedienstleistungen, die für die Wirtschaft relevant sind, bei gleichen Zugangsbedingungen für jedermann.

Die gleichen Anforderungen müßten im übrigen aus der Sicht der öffentlichen Verwaltungen oder wissenschaftlicher Institutionen etc. gestellt werden.

These 4

Die Folgerungen aus diesen Anforderungen sind im Prinzip:

- Die Weiterentwicklung der Individualkommunikation, das heißt, des Fernmeldewesens, darf nicht in Abhängigkeit von tages- oder gar parteipolitischen Auseinandersetzungen geraten.

- Sie darf ebenso nicht von der jeweiligen Lage der öffentlichen Haushalte abhängig werden.

- Sie ist, entsprechend Artikel 87, Absatz 1 GG und Artikel 73, Ziffer 7 GG als Aufgabe des Bundes zu betrachten.

- Sie ist grundsätzlich einem Gebietsmonopol zu übertragen, dessen Träger, die Deutsche Bundespost, jedoch einen klar formulierten gesetzlichen Auftrag benötigt (im Postverwaltungsgesetz oder Fernmeldeanlagengesetz).

- Sie sollte schließlich in ständiger Zusammenarbeit zwischen Deutscher Bundespost und Wirtschaft sowie anderen Benutzerkreisen betrieben werden.

These 5

Das Bewußtsein für die besondere gesamtstaatliche und gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Individualkommunikation ist dort, wo ohne weitere Differenzierung über neue Medien diskutiert zu werden pflegt, unterentwickelt. Eine andere Unterscheidung, mit der im Rundfunkbereich die Zuständigkeiten von Bund und Ländern auseinandergehalten werden, wird generalisierend in den Vordergrund gerückt: die zwischen "Technik" und "inhaltlicher Nutzung". Ihr praktisch-politischer Kern ist, daß die Kompetenz für Entscheidungen über die Einführung und Nutzung neuer Informations- und Kommunikationsverfahren schlechthin von den Ländern beansprucht wird, während Bund und Bundespost lediglich die Aufgabe hätten, die erforderlichen fernmeldetechnischen Einrichtungen bereitzustellen, wenn die Länder dies von ihnen verlangen. Diese Auffassung liegt unter anderem dem Staatsvertrag der Länder über Bildschirmtext zugrunde; die Bundesregierung hat ihr nur mit gedämpfter Stimme widersprochen. Damit gerät aber das Fernmeldewesen als Ganzes in die Gefahr "föderalisiert" zu werden, eine Entwicklung, die in völligem Gegensatz zu den Verkehrsbedürfnissen der Wirtschaft stünde.

These 6

Bei den Medien der Massenkommunikation ist die Unterscheidung zwischen "Technik" und "inhaltlicher Nutzung" zwar angebracht, nicht angebracht ist aber die Unterstellung, daß der Bund beziehungsweise die DBP verpflichtet sei, die Infrastruktur für die Massenkommunikation - örtliche Breitbandverteilnetze für den Kabelrundfunk - auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko zu errichten, wenn die Länder dies fordern. Diese Unterstellung erklärt vielleicht, weshalb fast nur über die Organisationsfragen diskutiert wird, die mit einer Ausweitung der Rundfunk- und Fernsehversorgung und mit der Zulassung privater Veranstalter verbunden sind. Ebenso wichtig wären aber folgende Fragen:

- Sind Errichtung und Betrieb von Kabelnetzen für die Rundfunkversorgung auf Ortsebene eine Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge? Falls ja, aus welchen Gründen?

- Um wessen Aufgabe handelt es sich, wenn sie der staatlichen Daseinsvorsorge zugeordnet wird? Bund, Länder oder Gemeinden?

- Falls Bund, also Bundespost: Ist die Zuständigkeit für das Bereitstellen der Netze, gleichbedeutend mit der Zuständigkeit für die Finanzierung der Investitionen und für den Ausgleich zu erwartender Betriebsverluste?

Dies dürfte für die Wirtschaft am Ende die wichtigste Frage sein, die sich mit der Entwicklung des Kabelfernsehens stellt: Wie sich vermeiden läßt daß der Netzausbau für den Kabelrundfunk zu Lasten der Individualkommunikation geht und daß die Wirtschaft als Hauptnutzer des Fernmeldewesens das "Lehrgeld" aufzubringen hat, das bei der Verkabelung der Bundesrepublik noch fällig werden könnte.

Andere Nutzer der technischen Individualkommunikation wie die Kommunen können eigentlich kein anderes Interesse haben.

Diese Thesen stellte Wolfgang Meyer anläßlich eines Vortrages auf dem Kongreß "Neue Medien" auf.