Dow Jones über 1300 - Technologiewerte sind jedoch schwach:

Indexrekorde kennzeiehnen die Weltaktienmärkte

07.06.1985

MÜNCHEN (aw) - Auf dem abschüssigen Zinsgleis rollt der Börsenzug voran. Die wichtigste Börsenregel, niedrigere Zinsen - höhere Aktienkurse, bestätigt sich einmal mehr. Zwei Faktoren begünstigten den Zinsrückgang: Die Amerikaner ließen ernst zu nehmende Versuche erkennen, die hohe Staatsneuverschuldung zu mindern, und die pessimistischen Erwartungen im Hinblick auf das Wirtschaftswachstum bestätigten sich.

So wuchs das amerikanische Bruttosozialprodukt im ersten Quartal 1985 nur noch um 0,7 Prozent (nach zweistelligen Zuwachsraten im ersten Quartal 1984).

US-Staatsanleihen rentieren heute nur noch mit 10,8 Prozent und haben damit ihren letzten Tiefstand vom Mai 1983 wieder erreicht. Kapitalanleger, die in US-Dollarbonds investiert haben, schnitten trotz Hausse an den Aktienmärkten, aufgrund des hohen Coupons, des steigenden Dollars und der günstigen Kursentwicklungen der Rentenpapiere, in den vergangenen zwei Jahren besser ab als Aktienanleger.

Ist jetzt der Zeitpunkt für einen umfassenden Tausch von Anleihen in Aktien gekommen? Wie lange bleiben die Renditepapiere noch begünstigt? Der US-Zinspapst Henry Kaufman sagt schon wieder steigende Zinssäke voraus. Von der markttechnischen Seite kurzfristig gesehen keine falsche Prognose. Mit 88 Prozent Optimisten für die weitere. Entwicklung von Dollaranleihen und sogar 97 Prozent Optimisten für weiter rückläufige Dollarzinssätze am Euromarkt läßt sich der Optimismus für Zinspapiere kaum noch Aberbieten. In der Regel ist dies ein zuverlässiges Signal für eine Pause im Zinsrutsch beziehungsweise eine Kursabschwächung bei den Anleihen.

Wie gut es funktionierte, in der Vergangenheit bei extrem einseitiger Meinungsbildung der Berater entgegen der Mehrheit zu, handeln, demonstriert die hier abgebildete Grafik. Sie zeigt den Kursverlauf von 20 ausgewählten Anleihen im Verhältnis zur Meinungsentwicklung der Berater. Als wir Anfang 1983 letztmalig einen annähernd starken optimismus in bezug auf den weiteren Anstieg der Bond-Notierungen hatten, brach der Markt unmittelbar darauf zusammen, die Zinsen, stiegen wieder. Ein ähnlich scharfer Rückschlag bei den Bond-Notierungen wie damals ist heute jedoch nicht zu erwarten.

Die Fortsetzung der US-Konjukturberuhigung und eine geringere US-Neuverschuldung machen die zuletzt rückläufigen US-Zinssätze plausibel. Allerdings stoßen die kurzfristigen Zinssätze mit knapp acht Prozent jetzt an ihre untere Chart-technische Unterstützungslinie. In

Deutschland sind die Zinssätze beziehungsweise Anleihekurse der Jahreswende 84/85 exakt wieder erreicht. Also auch hier ein Faktor, der gegen weitere kurzfristige Kurssteigerungen bei Anleihen spricht.

Wie sind die mittelfristigen Aussichten? Das Geldmengenwachstum ist mit etwa 3 Prozent in Deutschland wie der Schweiz und etwa 6,5 Prozent in den USA weiterhin moderat. Die Kapazitätsauslastung in den USA ging auf 80,6 Prozent zurück. Weder von der Geldmenge, noch von der Nachfrage (keine zu hohe Kapazitätsauslastung) sind deshalb Preisschübe in nächster Zeit zu erwarten.

Als Anlage mit attraktiver Verzinsung bieten sich etwa kanadische Dollaranleihen (quellensteuerfrei) an. Hier lassen sich noch respektable Renditen von elf Prozent (bei achtjähriger Laufzeit) erzielen. Das Währungrisiko ist geringer als beim US-Dollar. So verlor auch der kanadische gegenüber dem US-Dollar in den letzten Jahren 40 Prozent an Wert. Bei einem weiteren Fall der amerikanischen Wähning sollte der kanadische Dollar zusammen mit der Mark steigen können. In Europa kann zudem noch in Norwegerkronen-Anleihen investiert werden.

Schwache Halbleiterwerte

Die Weltaktienmärkte glänzen durch neue Indexrekorde. Der populärste US-Aktienmarktdurchschnitt Dow Jones schloß mit einem Rekordhoch von über 1300. Berücksichtigt man jedoch die durch den Dollarrückgang verursachten Währungsverluste, dann war mit US-Aktien in den zurückliegenden Wochen kaum Geld zu verdienen. Die Gruppe der Technologiewerte zeigte darüber hinaus eine besondere relative Schwäche. Während Wall Street in den vergangenen zweieinhalb Jahren stets unter Fürung von IBM haussierte, notiert Big Blue heute mit 126 Dollar zehn Prozent unter den Hochstkursen vom Januar/Februar 1985.

Markttechnisch gesehen hat der US-Markt keine Kraft. Zwar geben die Indikatoren noch keine Verkaufssignale, wesentlich höhere Notierungen sind aber unrealistisch. Die Unternehmensgewinne in den USA sanken nach einem Rückgang von 0,7 Prozent im ersten Quartal auchim zweiten. Hieran wird deutlich, daß nicht Ertragsphantasie bei den Unternehmen, sondern die positive Entwicklung des Regtenmarktes durch sinkende Zinsen Auslöser der freundlichen Tendenz in Wall Street war.

Die Zinssenkung solte auch mittelfristig zu einer erneuten Konjunkturbelebung führen können, so daß weder markttechnisch noch fundamental der US-Aktienmarkt zu negativ eingeschätzt werden darf. Da jedoch kurzfristig die Kaufkraft für höhere Notierungen fehlt und vom US-Dollar zur Zeit größere Risiken als Chancen ausgehen, bietet sich kein Neu-Engagement in renditenarme US-Aktien an (Durchschnitts-Dividendenrendite brutto nur 3,5 Prozent für die 1500 Aktien des Value-Line-Durchschnitts). Auf Jahresicht bleiben die Aussichten aber weiter positiv. Flexible Anleger können versuchen, etwa durch den Erwerb von Kaufoptionen auf den Aktienindex (Standard & Poor's 100, Standard & Poor's 500) von dieser Entwicklung zu profitieren. Hierbei ist auf genügend lange Laufzeit zu achten.

Relativ schwach schnitten in der jüngsten Vergangenheit die Halbleiterhersteller ab. Der Branchenindex, gebildet aus der Kursentwicklung von Advanced Micro Devices, AMP, Intel, Motorola, National Semiconductor und Texas Instruments, fällt seit Frühjahr 1984. Die relative, Stärke dieser Gruppe (Kursentwicklung im Verhältnis zum Gesamtmarkt) fiel auf den tiefsten Stand seit Mitte 1982. Ob damit schon wieder Kaufkurse erreicht sind, bleibt zu diskutieren.

Beim Halbleitergeschäft handelt es sich um einen klassischen Wachstumsmarkt, der allerdings sehr zyklisch verläuft. Hierbeispielen nicht nur die gesamtwirtschaftliche Tendenz, sondern auch die immer kurzer werdenden Produktzyklen eine Rolle. Ende der 70er Jahre gingen Speicherbausteine in Produktion, die in der Lage waren, 16 000 Zeichen zu speichern. Doch schon 1982 wurden sie im Umsatz von 64-K-Chips übertroffen, deren Ablösung durch den 256-K-Chip sich jetzt anbahnt. Ende des Jahrzehnts dürfte dieser von einem 1000-K-Chip verdrängt worden sein.

Ein Ende dieses Trends ist nicht abzusehen. Positiv ist zu werten, daß die Preise für den 64-K-Chip wieder steigende Tendenz aufweisen, obschon der leistungsfähigere Nachfolger (164-K-Chip) vor der Türe steht". Auch die Book-to-Bill-Ratio (Verhältnis von Bestelleingeng zu Fakturierung) verbesserte sich seit Anfang 1984 von 0,6 auf 0,9. Dies deutet darauf hin, daß der Absatztiefstand im Dezember 1984 erreicht wurde und sich der Markt fortschreitend stabilisiert.

Bei der Auswahl des Engagements im Halbleiterbereich sollte auf Papiere von Gesellschaften, die neben der Chipherstellung auch in anderen Sparten tätig sind, zurückgegriffen werden, Hier bietet sich in den USA vor allem Motorola an. Bei Motorola wurden im Geschäftsjahr 1984 64 Prozent des Gewinns aus dem Halbleitergeschäft erzielt (Umsatzanteil, 39 Prozent). Daneben stellt das Unternehmen Informations- und Kommunikationssysteme, wie etwa EDV-Datenübermittlungsanlagen oder Autotelefone her. Durch technische Umwälzungen, wie etwa die Einführung des sogenannten Cellular Phone, das das herkömmliche Autotelefon ablösen wird, könnte das Unternehmen mittelfristig profitieren. Erste vorsichtige Käufe bei Motorola (33 Dollar) können vorgenommen werden. Vorsicht bei Kursen unter 30 Dollar.

Communications Satellite (ComSat/33 Dollar) meldete 78 Cents Gewinn pro Aktie für das erste Quartal 1985. Im Vergleichszeitraum des Vorjahres konnten lediglich 61, Cents pro Aktie verdient werden. Gewinnerwartungen von 3,5 Dollar pro Aktie für das Gesamtjahr 1 sind deshalb gerechtfertigt. Die Aktie ist mit einem zu erwartenden Kurs/Gewinn-Verhältnis von 10 noch nicht zu teuer.

Bisher war das Unternehmen nicht in der Lage, auch im Fertigungsbereich schwarze Zahlen zu schreiben. Dies könnte Ende des laufenden Geschäftsjahres erstmals der Fall sein. Tritt dies ein, ist Communication Satellite zum Kauf empfehlenswert. Die enge Zusammenarbeit mit NBC und die beeindruckenden Verkaufssteigerungen im TVRO-Bereich (TV Received-Only earth stations) sollte zu einer kontinuierlichen Steigerung der Erträge beitragen. Die Aktie wird auch in München gehandelt, Wegen des Dollarrisikos und der oben beschriebenen Gesamtsituation am Aktierunarkt Käufe jedoch zunächst noch zurückstellen.

Die Gewinne bei DEC entwickelten sich schlechter als erwartet, was auf Schwierigkeiten im Minicomputerbereich zurückgeführt wird. Die anstehende Ankündigung des, Mikro VAX II führte zu Zurückhaltung bei den Kunden. Ergo: Weiter meiden.

Bessere Aussichten bieten die europäischen Märkte. Während sich die Barreserven amerikanischer Großanleger bezogen auf die Aktienanlage auf ein Minimum von fünf bis sechs reduzierten, sind die institutionellen Investoren an den wichtigen europäischen Finanzplätzen weiter stark in Aktien unterinvestiert. Deutsche Versicherungen etwa haben kaum Aktien in ihrem Portefeuille. Die deutschen Lebensversicherer halten nur 2,3 Prozent ihres Vermögens in Aktien. In renditeschwachen Anleihen und verfallenden Immobilien ist man dagegen überinvestiert.

Motor der Aufwärtsbewegung am deutschen Aktienmarkt sind neben der Zinssenkung die überraschend guten Unternehmensgewinne. Auch in nächster Zeit wird es weitere positive Gewinnüberraschungen geben. Siehe Beispiel PWA (136,50 Mark). Nach 20 Mark im Geschäftsjahr 1984 wird PWA wahrscheinlich über 45 Mark im laufenden Geschäftsjahr verdienen können. Die Aktie wäre dann mit weniger als dem Dreifachen des Gewinns bewertet, eine extrem preiswerte Sondersituation.

Software hoch im Kurs

Gute Markterfolge der entwickelten Softwaregenerationen verzeichnet die Emission der Commerzbank, ADV/Orga. Das größte unabhängige. Softwarehaus in Deutschland bietet überatungssoftware und Orgware unter Zuschnitt auf besondere Kundenprobleme an. Gute Chancen werden der Verknüpfung von Mikros und Großrechnern eingeräumt. Das Unternehmen schätzt hier ein Marktwachstum von 25 bis 30 Prozent während der nächsten Jahre.

Bei einem Aktienkapital von 13 Millionen Mark und einem Kurs von 332 Mark ist das Unternehmen zur Zeit nüt knapp 60 Millionen Mark an der Börse bewertet. Vorstandsmitglied und Gründer Konsul F. A. Meyer hält 77,7 Prozent, die SEL-Gruppe 12,7 Prozent des Stammkapitals. Die 1984 von der Commerzbank plazierten 40 000 Vorzugsaktien sind Streubesitz. Das durchschnittliche Umsatzwachstum seit Gründung 1974 betrug 13 Prozent pro Jahr. Es wird angestrebt, diesen Wachstumsfaktor verstärken.

Die Kapazität ist zu 100 Prozent ausgelastet. Knapp sieben Prozent des Umsatzes wurden 1983/84 zur Entwicklung für Software investiert. Die Gewinnentwicklung zeigt ebenfalls steigende Tendenz. Für das laufende Geschäftsjahr wird ein Gewinn von 17 Mark (Vorjahr: 12 Mark) pro Aktie geschätzt.

Legt man die Kurs/Gewinn-Verhältnisse amerikanischer Softwarehersteller zugrunde (Cullinet Software geschätzt 24, Computer Associates 1985 geschätzt 17,7) so wird deutlich, daß ADV/Orga im internationalen Vergleich preiswert ist. Vergleichbare deutsche börsennotierte Unternehmen gibt es nicht. Ein Vergleich mit deutschen Hardwarehersteuern deutet ebenfalls auf eine Unterbewertung von ADV/Orga hin (Nixdorf wird mit einem Kurs/Gewinn-Verhältnis von knapp 30 an der Börse bezahlt). Die Aktie konsolidiert sich nahe ihrer Höchstkurse (330 Mark). ADV/Orga ist eine aussichtsreiche Aktienanlage.

Die Kapitalerhöhung bei SM Software findet unter seltsamen Umständen statt. Der Neuaktionär bezahlt lediglich 121 Mark pro Aktie. Dies bei einer Börsennotierung von 170 Mark. Ungewöhnlich auch: Die Altaktionäre erhalten kein Bezugsrecht. Da sich in Zukunft der Ertrag und schon heute die Substanz des Unternehmens auf mehr als doppelt soviel berechtigtes Kapital verteilt, entsteht ein Nachteil für die Altaktionäre. Aktienanleger sollten darüber nachdenken, ob sie an einem Unternehmen beteiligt sein wollen, bei dem der Vorstand vorschlägt, die Vermögensposition der beteiligten Kleinaktionäre zu halbieren.

Eine gute Entwicklung auch bei DeTeWe (knapp 600 Mark). 1985 und 1986 ist mit einem ganz erheblichen Gewinnanstieg (im Gegensatz zum wenig veränderten Jahr 1984) zu rechnen. Massiver Auftragseingang von der Deutschen Bundespost.

Solange der Sog des Rentenmarktes (sinkende Zinsen) anhält, sollten am deutschen Aktienmarkt insbesondere zinsreagible Werte und Auslandsfavoriten erworben werden, Weiter aussichtsreich bleiben Deutsche Bank und Dresdner Bank sowie deren Optionsscheine, Hypothekenbankaktien und als ertragsstarke Sondersituationen VW, Eisenhüttenwerke und PWA. VW wird im laufenden Geschäftsjahr 90 Mark pro Aktie verdienen. Damit ist die Aktie mit weniger als dem dreifachen Gewinn bewertet. Zunächst bestehen noch Schwierigkeiten, die seit zwei Jahrzehnten intakte Widerstandslinie von 250 Mark zu überwinden. Gelingt dies in den nächsten Tagen, so steht die Aktie von VW vor einer Neubewertung.

Ähnlich die Situation bei PWA(142 Mark). Nach jahrelang sehr zyklischer Ertragsentwicklung wird seit eineinhalb Jahren vom neuen Vorstand mit eisernem Besen gekehrt. Geschätzter Gewinn für das laufende Geschäftsjahr: 45 Mark. Kursziel: zunächst 180 Mark.

Eisenhüttenwerke (430 Mark) zählt zu den renditestärksten deutschen Aktiengesellschaften. Dividendenrendite einschließlich Körperschaftssteuergutschrift liegen über elf Prozent. Die gute Ertragslage bei Tochter Rasselstein sollte sich fortsetzen, so daß die erfreuliche Ausschüttungspolltik auch für das laufende Geschäftsjahr durchgehalten werden kann. VW, PWA und Eisenhüttenwerke sind ein Kauf.