Globalisierung der IT

In strategische Wetten investieren

01.06.2016
Anzeige  Die Globalisierung hat Auswirkungen auf auf Inhalte und Aufgaben der IT. Ein gültiges Schnittmuster für jedes Unternehmen ist für Dr. Carsten Linz, Business Development Officer und Leiter des CIO Center for Digital Leadership bei der SAP SE, allerdings nicht in Sicht.

Herr Dr. Linz, Globalisierung im Jahr 2016: Was ist neu, was ist besonders?

Die Globalisierung und mit ihr die Digitalisierung sind per se keine neuen Phänomene. Allerdings sind sie ständig in Bewegung, verändern sich, und genau das ist das überaus Spannende daran. Heute ist das Individuum ein wichtiger Treiber geworden: quasi ein wirtschaftlicher Akteur, der Globalisierung auf der dritten, der individuellen Ebene schafft. Nach Ebene eins, in der nur Staaten, und nach Ebene zwei, in der allein Unternehmen im Wettbewerb zueinanderstanden und so das wirtschaftliche Geschehen bestimmten, erleben wir quasi nun mit der Globalisierung 3.0 den nächsten logischen Schritt.

Was bedeutet die angesprochene Individualisierung für Unternehmen?

Diese Entwicklung hat Auswirkungen auf die Zukunft der Arbeit, und daran müssen Unternehmen sich anpassen. Es gibt bereits viele Angebote, die auf dem Prinzip der Share Economy basieren – also leihen statt kaufen und nutzen statt besitzen. Auch der Trend zu mehr Projektarbeit ist ungebrochen, ebenso ein digitales Nomadentum. Denn eine lebenslang feste Zugehörigkeit zu einem Unternehmen wird irgendwann Geschichte sein. Das Gleiche gilt auch für die Auftragsfertigung, weil eine hochautomatisierte Produktion selbst in Hochkostenländern, zu denen auch Deutschland zählt, wettbewerbsfähig betrieben werden kann. Außerdem kommen noch mehr neue Spieler aus den erstarkenden Wirtschaftsregionen dieser Welt dazu. Das Herausfordernde dabei: Wo einst einfach nur bestmöglich kopiert wurde, gibt es inzwischen eine eigene intellektuelle Wertschöpfung. Sprich, dort ist geistiges Eigentum im Entstehen, was vor allem Europa dringend dazu auffordert, den Wissens- und Innovationswettbewerb anzunehmen und aktiv voranzutreiben.

Dr. Carsten Linz - Business Development Officer und Leiter des CIO Center for Digital Leadership bei der SAP SE.
Dr. Carsten Linz - Business Development Officer und Leiter des CIO Center for Digital Leadership bei der SAP SE.
Foto: SAP SE

Gibt es aus Ihrer Sicht eine goldene Regel, die Unternehmen im Innovationswettbewerb beachten müssen?

Mutig sein, sich trauen, voranschreiten, auch mal ein Risiko wagen. Dafür müssen viele Menschen an eine Vision und deren Chancen glauben, es braucht aber auch hohe Investitionen in strategische Wetten und einen langen Atem. Aber diesen Weg müssen wir gehen, Großunternehmen, Mittelständler und Startups, um Neues am Markt durchzusetzen.

Wie kann die IT hier unterstützen?

Überall und immer, denn sie macht flexibel, agil und schnell. Das sind heutige Eigenschaften, die vor allem auf Start-ups zutreffen. Oder anders formuliert: Rein IT-seitig haben diese jungen Unternehmen einige Vorteile, denn viele von ihnen arbeiten seit ihrem Gründungstag mit elastischen Cloud-Infrastrukturen und -Plattformen. Das sucht man in mittelständischen oder großen Unternehmen oftmals noch vergeblich. Und da sich der Markt von der gängigen produktzentrischen Innovation hin zu plattformbasierten Innovationen entwickelt, die mittels neuer Anwendungsszenarien mit kundenzentrierten Prozessen und überlegener Nutzerfreundlichkeit punkten, sind Start-ups klar im Wettbewerbsvorteil. Digitalisierung macht jedes Unternehmen zum Software-Unternehmen und IT wird zum integralen Faktor der Wertschöpfung. Mit elastischen Cloud-Infrastrukturen und Plattformen liegen zentrale Innovationsinstrumente heute also beim CIO.

Wie können Mittelständler und große Unternehmen in diesem Zusammenhang Innovations-Punkte gutmachen?

Für alle Unternehmen gilt, Daten und Inhalte sind das Kernspielfeld von Innovation im 21. Jahrhundert. Sie richtig zu analysieren, zu interpretieren und daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten, um Kundenwünsche 1 : 1 abbilden und erfüllen zu können: Genau das ist der Grund, warum so viele Start-ups innerhalb weniger Jahre die Eine- Milliarde-Dollar-Grenze überschreiten. Sie haben die notwendigen Infrastrukturen, können schnell global agieren und reagieren und ein erfolgreiches Geschäftsmodell A rasch in Land B transportieren. Schnelligkeit ist essenziell im Globalisierungswettbewerb, aber sie ist nicht der alles entscheidende Faktor. Das sind neue Anwendungsszenarien, die heute oftmals nur mit Hilfe der IT als Treiber von Innovation entwickelt werden können.

Nicht jedes Unternehmen ist gleich gut aufgestellt. Könnten Schnittmuster für eine globale IT-Architektur helfen?

Ein universelles Schnittmuster, also „one size fits all“, wird es nicht geben. Aber ich bin überzeugt, dass es ein paar übertragbare Grundprinzipien gibt. Wir stehen heute an der Schnittstelle zwischen Globalisierung und Digitalisierung. Und genau hier ist es entscheidend, aus vier Rahmenbedingungen übergreifend gültige Schnittmuster abzuleiten. Das sind erstens alle kundenzentrierten Aktivitäten und Services bis zum Endkunden, also B2B2C. Zweitens geht es um die intelligente Analyse und Auswertung von Daten. Drittens ist das Thema Security – hier vor allem Cyber Security – wichtig. Und zu guter Letzt die Cloud-Thematik, die Skalierung und Komplexitätsreduzierung überhaupt erst möglich macht. Bei SAP wissen wir, dass es einen digitalen Kern braucht, auf den man sich verlassen kann. Der ist das eigentliche Rückgrat, das dann aber nicht nur aus klassischen Enterprise- Resource-Planning-(ERP-)Kernprozessen besteht, sondern wirklich auch innovative Kernprozesse umfasst: vom digitalen Vorstandsraum bis zu einem Reisekostenmanagement mit komplett neu definierten Prozessen, die ein Netzwerk an verschiedenen Anbietern intelligent orchestrieren.

Wie entscheidet die IT den Innovationswettbewerb: mittels Geschwindigkeit oder durch neue Anwendungsfälle?

Geschwindigkeit ist nicht der entscheidende Vorteil, sondern dass neue Anwendungsfälle realisierbar sind, die vorher einfach nicht möglich waren. Und die IT ist nun mal der Wegbereiter dieser neuen Anwendungsszenarien. Das ist das, worum es im Kern geht: Die IT übernimmt Verantwortung, entwickelt sich weiter, weg von der Prozessunterstützung hin zum Treiber komplett neuer Szenarien und unternehmerischer Ideen. Deshalb gilt: Die Dinge nicht richtig tun, sondern die richtigen Dinge tun.

Das hört sich an, als sei die IT die führende Instanz. Welche Rolle spielen für Sie die Fachbereiche, Herr Dr. Linz?

Am Ende des Tages geht es immer um den Mehrwert. Ohne den Fachbereich, wo das Geschäft tatsächlich stattfindet und der heute schon oft der Treiber digitaler Initiativen ist – schließlich drückt ihn der Schuh am meisten, wenn etwas nicht schnell und gut genug funktioniert –, kann Innovation natürlich nicht voranschreiten. IT und Fachbereich zu trennen, wäre sicher die falsche Entscheidung. Ebenfalls unklug wäre es, Innovation zu zentralisieren. Vielmehr muss Innovation wie auch das Management bewährter Prinzipien eine Verantwortung jedes Einzelnen im Unternehmen werden.

Was entscheidet in diesen bewegten Zeiten über ein erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Mensch und Technik?

Im Moment stehen wir an der Schnittstelle von Globalisierung und Digitalisierung, und die Rollenanforderungen an die Top-Führungskräfte sind weder klar noch endgültig verteilt. Spieler sind dafür umso zahlreicher vorhanden: Wir haben die CIOs, die neuen Chief Digital Officers, ebenso wie die Chief Marketing Officers – und zusätzlich noch die digital-engagierten Geschäftsverantwortlichen. Sie alle müssen zusammenarbeiten und kreativ sein, das Etablierte managen und Innovatives entwickeln. Andernfalls wird die IT zum alltäglichen Gebrauchsgegenstand, der das Existierende nur verwaltet. Hier die richtige Balance zu finden, ist eine weitere Kernherausforderung unserer Zeit.

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Dieser Beitrag stammt aus DSAG Blaupause 02/14