Kontrollmaßnahmen am Beispiel des Langener Softwarehauses der Bull AG

In Schritten zur planmäßigen Sicherung der Qualitätsnormen

10.04.1992

Das Langener Softwarehaus der Bull AG, Köln, hat als eines der ersten Unternehmen in Deutschland von der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung von Qualitätssicherungs-Systemen mbH (DQS), Frankfurt, für sein Verfahren zur Qualitätssicherung (QS) bei der Software-Entwicklung ein Zertifikat gemäß der internationalen Norm ISO 9001 erhalten. Der folgende Beitrag von Hennig Mosel* erläutert die Zielsetzung und die Vorgehensweise des Softwarehauses zur Erlangung des Zertifikats.

Es begann Ende 1990 mit einer Informationsschrift der

DQS, die an die Verantwortlichen des Bull-Softwarehauses (SWH) in Langen gerichtet war. Mit der DQS einigte man sich schnell auf Normierungen, die erstrebenswert schienen. Das war in erster Linie die Norm DIN ISO 9001 (Qualitätssicherungs-Nachweisstufe für Entwicklung und Konstruktion, Produktion, Montage sowie Kundendienst). Dazu kam im Laufe des Zertifizierungsprozesses als Meßlatte noch der ergänzende Leitfaden für die Zertifizierung von Software-Entwicklungsunternehmen, DIN ISO 9000, Teil 3, hinzu.

Bald konnten die Beteiligten die Intention der Norm erkennen: Gegenstand ist nicht das Qualitätssicherungs-System im engeren Sinn, meist mit den unbeliebten, aber notwendigen Fehlerzähl- und Überprüfungsaktionen gleichgesetzt, sondern der gesamte SW-Entwicklungsprozeß mit seinem begleitenden Qualitäts-Management.

Das Zertifikat bescheinigt einem Unternehmen (beziehungsweise einem Teilbereich) seine Qualitätsfähigkeit, das heißt die Fähigkeit, seinen Kunden hochwertige SW-Produkte zu liefern. Nicht so sehr die Qualität des Einzelproduktes steht im Vordergrund, vielmehr geht es um die Qualität des Software-Entwicklungsprozesses selbst.

Die Beantwortung einer DQS-Frageliste - sie umfaßt 40 Fragen zu den 20 QS-Elementen der Norm - als erster Schritt im Zertifizierungsprozeß zwang die Beteiligten im SWH zur Beantwortung der softwaretechnologischen Gretchenfrage: Wie halten wir es mit der Qualität?

Konkret: Hat es Sinn, die nächsten Schritte, also die Bewertung der QS-Unterlagen und das Zertifizierungs-Audit des QS-Systems durch die DQS, einzuleiten?

Man fand früh heraus, daß wichtige Elemente der Norm bereits erfüllt waren. QS wurde eine eigenständige Abteilung. In regelmäßigen Abständen kam der Arbeitskreis QS zusammen, und pro Projekt wurden für Maßnahmen zur Qualitätssicherung projektexterne QS-Mitarbeiter eingesetzt.

Die Auswertung der Frageliste durch die DQS Ende März 1991 bestätigte den Softwerkern in Langen ihre Selbsteinschätzung: Die DQS empfahl die Fortführung der Zertifizierungsaktivitäten.

Bei der Eigenbeurteilung der Zertifizierungsvoraussetzungen mittels der DQS-Frageliste wurde deutlich, in welchen Bereichen Verbesserungen erfolgen mußten. Es entstand eine Liste von Aktivitäten, die bis zum Abschluß zu erledigen waren.

Aufgrund des Vor-Audits durch den Rheinisch Westfälischen TÜV (RW-TÜV) im Juni 1991 und der Bewertung der an die DQS eingereichten QS-Unterlagen wurde die Aktivitätenliste ergänzt. Im wesentlichen mangelte es an einer normgerechten Dokumentation und an der Durchführung regelmäßiger Audits. So entstand im Zuge der Zertifizierung ein Qualitätshandbuch.

Zur Erstellung und Aktualisierung von Richtlinien und Standards zu wichtigen Prozessen gehörte auch als höchste Stufe des (notwendigen) und sinnvollen Formalismus die Definition einer "Richtlinie zur Erstellung von Richtlinien". Insgesamt sind zur Zeit etwa 30 Richtlinien gültig: Programmierrichtlinien, Schätzverfahren, Konfigurations-Management, Fehlerverfolgungsverfahren etc.

Das QS-Element "Lenkung der Dokumente" zwang zur Beantwortung folgender Fragen:

- Wer erstellt und ändert Dokumente sowie Richtlinien?

- Wer genehmigt sie?

- An wen werden sie verteilt?

- Wie stellt man die aktuelle Version fest, und wie wird sie gesicherte?

Dazu wurde ein werkzeuggestütztes Konfigurations-Management für Dokumente eingeführt. Dieser Dokumentenbaum entstand als geeignete Darstellungsform aller für das QS-System relevanten Dokumente in einem Unternehmen. Die wichtigsten für das SWH wurden hierarchisch dargestellt, vom Bull Quality Management System, Projekt-Management-Handbuch über das Projektphasen-Handbuch, den QS-Leitfaden bis hin zu den Checklisten für Code-Inspektionen.

Die Norm fordert zur Aufrechterhaltung des Zertifikats die Einberufung von Audits zu ausgewählten QS-Elementen durch die oberste Leitung. Eine entsprechende Planung liegt vor, sie sah im vergangenen Jahr die Durchführung von vier Audits in unterschiedlichen Bereichen des Softwarehauses vor.

Welche Effekte haben die Aktivitäten im Zertifizierungsprozeß gebracht? Weil wesentliche Elemente der Norm bereits zu Beginn des Zertifizierungsprozesses erfüllt waren, ließ sich die Zertifizierung in einem knappen Jahr mit einem Aufwand von weniger als einem Mannjahr erreichen.

Die Arbeitsabläufe und -prozesse wurden kritisch durchleuchtet, sie erschienen dadurch transparenter. Verbesserungen flossen - wo möglich - ein, wo nötig wurde die Dokumentation angereichert. Die entstandene und aktualisierte Dokumentation soll neuen Mitarbeitern die Einarbeitung erleichtern. Der Zertifizierungsprozeß ist in der Bedeutung mit der Einführung des Qualitätsverbesserungsprozesses und formaler Qualitätssicherung gleichzusetzen.