In Groupware und Workflow-Systeme integrierbar Electronic Books gewaehren den Zugriff auf grosse Datenmengen

10.06.1994

Dokumente werden dem Leser am besten direkt am Arbeitsplatz zur Verfuegung gestellt. Fuer die Online-Praesentation finden elektronische Buecher zunehmende Verbreitung. Sind deren Dokumente erst online verfuegbar, so eroeffnen sich neue Moeglichkeiten der Informationsaufbereitung und -vermittlung.

Die schnelle und vollstaendige Verfuegbarkeit von relevanten Informationen hat sich inzwischen zu einem strategischen und wirtschaftlichen Erfolgsfaktor entwickelt, der sich auch in der Organisationsstruktur der Unternehmen niederschlaegt. Innerhalb des Komplexes "Dokumenten-Management" existieren vier Bereiche mit unterschiedlichen Aufgaben:

- Archivierung von Informationen. Sie betrifft vor allem die sogenannte "non-coded Information". Unterlagen, die urspruenglich nicht in maschinenlesbarer Form vorliegen, werden auf elektronischen oder optischen Datentraegern archiviert.

- Retrieval von Informationen. Das zielsichere und rasche Wiederfinden von einmal erfassten Informationen wird insbesondere bei grossen Dokumentenbestaenden schnell zu einem wichtigen Faktor fuer unternehmerischen Erfolg.

- Workflow und Groupware. Die Organisation von Arbeitsablaeufen und die Anpassung der Software-Architektur sind wichtige integrative Faktoren fuer den unternehmensweiten Informationsfluss.

- Electronic Books. Dieser noch recht neue Pfeiler des Dokumenten- Managements gewinnt rasch an Bedeutung fuer die Verwaltung und Distribution einer bestimmten Art von Dokumentenbestaenden. Dazu gehoeren zum Beispiel Handbuecher fuer Software, die den Benutzern zusammen mit einem Anwendungsprogramm zur Verfuegung gestellt werden, Trainingsunterlagen und Arbeitsan- weisungen, Sammlungen von Organisationsrichtlinien und Qualitaetsvorschriften, Styleguides und Projekthandbuecher bei der Software-Entwicklung und im Anlagenbau. Diese Dokumente werden von einer Gruppe von Spezialisten verfasst und danach einer bestimmten Gruppe von Benutzern zur Verfuegung gestellt.

Sinnvoll eingesetzt werden Electronic Books, elektronisch praesentierte Dokumente, immer dann, wenn eine oder mehrere der folgenden Bedingungen gegeben sind: Rationalisierungs- moeglichkeiten bei Logistik und Distribution der Dokumente durch rechnergestuetzte Systeme (inklusive der Reduzierung der Papierdokumentation), kurze Aenderungszyklen oder die Beruecksichtigung von Sicherheitsaspekten (Zugriffsrechte). Und der Benutzer hat direkt von seinem Arbeitsplatz aus effiziente Zugriffsmoeglichkeiten auf grosse Datenmengen. Fuer die Darstellung komplexer Sachverhalte stehen den Autoren nun auch neue Praesentationsmoeglichkeiten offen.

Werden Dokumente von einer Gruppe verfasst und an anderer Stelle und von anderen Benutzern gelesen, stellt sich immer ein logistisches Problem: Eine groessere Anzahl von Benutzern muss mit aktuellen Informationen versorgt werden - und zwar bei jeder Ergaenzung oder Aenderung aufs neue.

Hier kommen Electronic Books zum Einsatz, die die Praesentation der Dokumente auf dem Rechner uebernehmen, und Bookserver, auf denen die Dokumente innerhalb des Unternehmens zentral gehalten werden. Eine Client-Server-Architektur innerhalb des Unternehmens erlaubt zum Beispiel den Abruf der Dokumente auf einem zentralen Unix- oder VMS-Server von den einzelnen PC-Arbeitsplaetzen oder auch von Terminals aus.

Neben der Verteilung kann auch der komplette Zyklus der Erstellung und Bearbeitung der Dokumente weitgehend rechnergestuetzt erfolgen - mit erheblichem Rationalisierungspotential. Einzelne Schritte des traditionellen Arbeitsablaufs wie das Erfassen, Layouten, Drucken, Binden, Lagern, Ausliefern und schliesslich auch das Vernichten der Altdokumente werden zusammengefasst, vereinfacht oder entfallen vollstaendig. Die bisherigen Unterlagen lassen sich in ihrem Umfang erheblich verringern.

Die Zeiten, in denen sich Anwender bei jeder Neuauflage einer Dokumentation mit mehr oder weniger hohen Papierbergen konfrontiert sahen, sind vorbei. Handliche Datentraeger wie CDs genuegen, um selbst umfangreiche Dokumentationen weiterzugeben. Die Benutzer der Dokumente profitieren von dieser einfacheren und schnelleren Distribution. Sie erhalten oefter neue Versionen mit aktueller Information.

Jeder Benutzer kann problemlos auf ganze Bibliotheken zugreifen und Informationen suchen - wenn er die Zugriffsrechte dafuer besitzt. Erleichtert wird die gezielte Suche durch entsprechende Funktionen und Navigationsmechanismen der Electronic Books wie beispielsweise Hypertextlinks (Querverweise) oder Fulltext- Retrieval.

Auch in Electronic Books werden die bekannten Strukturen wie Gliederung des Textes in einzelne Kapitel, Verweise auf andere Kapitel oder Abschnitte, Inhalts- und Abbildungsverzeichnis sowie Index verwendet. Der Benutzer sollte dabei auch die Moeglichkeit haben, sich Notizen zu machen, Texte zu kopieren und eigene Lesezeichen als Suchhilfe zu verwenden. Je staerker die Analogie zum gedruckten Buch, desto leichter gestaltet sich der Einstieg auch fuer DV-Neulinge.

Es werden bekannte Stukturen verwendet

Komplexe Sachverhalte lassen sich informativ praesentieren. Die Autoren elektronischer Buecher muessen sich nicht allein auf Wort und Bild beschraenken, sondern haben die Moeglichkeit, die Dokumente durch Still- und Bewegtbilder, Sound oder interaktive Arbeitsschritte zu ergaenzen. Service- und Verkaufsunterlagen koennen zum Beispiel durch anschauliche CAD-Zeichnungen und erklaerende Videos ergaenzt werden. Auch bereits vorhandene Dokumente lassen sich ueber den Weg der elektronischen Erfassung entsprechend aufbereiten und integrieren.

In der Praxis gibt es schon jetzt eine ganze Anzahl von Systemen, die als Electronic Books eingesetzt werden. Die National Gallery in London bietet Besuchern ein elektronisches Galerie- Informationssystem an, in dem sich Informationen zu den einzelnen Kunstwerken abrufen lassen, die durch Echtfarbbilder der einzelnen Werke in verschiedenen Groessen ergaenzt werden. Die Bedienerfuehrung ueber Touch-Screen ist hier einfach gehalten und fest vorgegeben, da weder Erfahrung im Umgang mit dem System noch entsprechendes fachliches Wissen der Besucher vorausgesetzt werden kann. Gesucht wird anhand weniger definierter Stichworte (Kuenstler, Werk, Epoche). Auch die Lufthansa verwendet ein System namens Doc Man, um ihre umfangreichen Handbuecher (zwischen fuenf und 50 000 Seiten) bei jeder Aktualisierung an Hunderte von Flughaefen zu verteilen. Eine Pruefung auf Validitaet und Konsistenz wird dabei automatisch durchgefuehrt. Hier sind Experten mit entsprechendem fachlichem Spezialwissen die Benutzer des Systems, so dass mit Hilfe von exakt definierten Strukturen und speziellen Indizes innerhalb der Dokumente navigiert und gesucht werden kann. Auch grafische Anwendungsprogramme lassen sich durch Electronic Books sinnvoll ergaenzen. Ueber rudimentaere Fehlermeldungen und Hilfetexte hinaus wird den Benutzern die komplette Produktdokumentation online angeboten. Produktdokumentation und Hilfetexte werden nicht mehr doppelt erstellt und gepflegt, sondern beide Systeme greifen auf einen einzigen Quelltext zurueck. Auf diese Art lassen sich kontextsensitive Online-Hilfen realisieren.

Fuer das Erstellen von Electronic-Book-Systemen werden verschiedene Loesungen angeboten, die zum grossen Teil plattformspezifisch sind. Gerade auf den Unix- und VMS-Workstations gibt es meist proprietaere Viewer, die nicht kompatibel zueinander sind und zum Teil nur fuer die Anzeige von Betriebssystem-Dokumentation verwendet werden. Zu den Vendor-spezifischen Loesungen zaehlen beispielsweise HP Help View, IBM Info Explorer, SUN Help Viewer, DEC Book- reader und auch Microsoft Win- dows Help.

Daneben existiert eine Gruppe von Werkzeugen, die Dokumentationen plattformuebergreifend zur Verfuegung steht. Darunter fallen der Dynatext Bookreader, Oracle Book, Interleaf World View, Frame Viewer/Frame Reader und das ISA Documentation System.

Fuer die Erfassung von Texten fuer Electronic-Book-Systeme lassen sich drei Realisierungswege unterscheiden. Bei der manuellen Erstellung werden Papier- und Online-Dokumentation getrennt verfasst und gepflegt - derzeit ein noch sehr weitverbreiteter Ansatz, der doppelten Aufwand erfordert. Der halbautomatische Ansatz generiert die Online-Dokumentation automatisch aus dem Textsystem, mit dem die Papierdokumentation erfasst wurde. Hier wird nur ein Quelltext, das heisst die Papierdokumentation, gewartet und gepflegt.

Die dritte Alternative ist die gemeinsame Verwendung einer neutralen Quelle, aus der sowohl Papier- als auch Online- Dokumentation vollautomatisch generiert werden. Der hohe Einstiegsaufwand relativiert sich bei einem entsprechenden Dokumentationsumfang recht schnell.

Neben den inhaltlichen Elementen eines Dokuments, die sich recht unproblematisch aus Textsystemen uebernehmen lassen, ist fuer die Online-Praesentation die strukturelle Information eines Dokuments wichtig. Damit koennen die wichtigsten Informationen auf den ersten Blick praesentiert und sinnvolle Navigationsmoeglichkeiten innerhalb des Dokuments, zum Beispiel anhand von Inhaltsverzeichnis, Index oder Querverweisen, angeboten werden. Im Gegensatz zum "Makeup", der praesentationsorientiert allein die Darstellung des Dokuments beschreibt, enthaelt ein "Markup" dessen strukturelle Beschreibung. Fuer die Online-Praesentation sollten der Uebersichtlichkeit halber moeglichst wenige Gestaltungsmerkmale eingesetzt werden, um die Gliederung des Textes, einzelne Textstellen, Querverweise etc. hervorzuheben.

Gerade in diesem Bereich gewinnt der ISO-Standard SGML (Standard Generalized Markup Language) zunehmend an Bedeutung, indem er Erstellung und Austausch strukturierter Dokumente zwischen verschiedenen Dokumenten gewaehrleistet. Erreicht wird dies durch die Definition einer logischen Dokumentstruktur in Form von DTDs (Document Type Definition). SGML legt dabei die prinzipielle Art der logischen Struktur, die Syntax der Strukturdefinition und des Dokuments fest. SGML bestimmt jedoch nicht die Interpretation der Struktur bezueglich Typografie und Semantik oder einen bestimmten Satz von Strukturelementen. Die so festgelegte Struktur einer Dokumentenklasse laesst sich nun, mit der entsprechenden Semantik versehen, fuer die gedruckte Dokumentation und die Online- Praesentation entsprechend umsetzen.

ISO-Standard SGML gewinnt an Bedeutung

Trotz der grossen Schnittmenge, die Papier- und Online- Dokumentation gemein ist, verfolgen beide Loesungen unterschiedliche Zielsetzungen. Ein Online-Dokument ist in erster Linie als Nachschlagewerk gedacht, das die wesentlichen Informationen kurz und praegnant auf einer Bildschirmseite darstellt. Im Gegensatz dazu dient die Papierdokumentation oft zu Lernzwecken; die Texte sind entsprechend ausfuehrlich, Beispiele erlaeutern die Texte naeher. Gelesen wird in erster Linie linear, das heisst Seite fuer Seite, und schliesslich spielt auch der aesthetische Anspruch eine Rolle. Niemand sollte den Versuch machen, durch Electronic Books jede Art von Papierdokumentation ersetzen zu wollen. Dazu sind die Zielsetzungen der beiden Systeme zu unterschiedlich. Wichtig ist jedoch, Electronic Books nicht als Stand-alone-Loesung zu sehen, sondern diesen Pfeiler des Dokumentations-Managements in bereits vorhandene Workflow- und Groupware-Systeme zu integrieren.