Challenger-Unfall zeigt, wie man‘s nicht macht

In fünf Schritten aus der Projektkrise

23.10.2013
Von 
Dr. Hans Stromeyer ist Geschäftsführer von Stromeyer und Partner Consulting sowie Vertreter des IAPM. Er managte verschiedene Raumfahrtprojekte, beispielsweise MIR‘97.
Zeit- und Kostendruck sowie unterschiedliche Interessen machen Projekt-Managern den Alltag schwer. Und wenn dann etwas Unerwartetes passiert, brennt der Baum. Was dann zu tun ist, lässt sich am Beispiel des „Challenger“-Unglücks zeigen.

Am 28. Januar 1986 explodierte im Kennedy Space Center der NASA das Space Shuttle Challenger etwa eine Minute nach dem Abheben von der Startrampe. Sieben Astronauten verloren bei dem Unfall ihr Leben. Die nachfolgende Überprüfung durch eine Regierungskommission ergab: Ein Dichtungsring einer der Feststoffraketen war undicht geworden - ein Konstruktionsfehler, der den beteiligten Ingenieuren seit langem bekannt war.

Foto: Mike Brown, Fotolia.com

Das ist ein prominentes Beispiel dafür, wie Krisen entstehen und was geschehen kann, wenn die folgenden fünf Schritte für erfolgreiches Krisen-Management nicht eingeleitet werden:

1. Einen kühlen Kopf bewahren

Gerade in ernsthaften Situationen besinnt sich der Mensch von einem Moment zum anderen automatisch wieder auf seine Urinstinkte: Weglaufen oder Kämpfen. Egal, wie oft man für den Ernstfall trainiert hat: Psychisch reagiert jeder anders auf kritische Ereignisse. Die physische Reaktion ist bei allen dieselbe: Der Körper schüttet eine hohe Menge an Adrenalin aus. Die Folgen sind Schockstarre, Angriffsverhalten oder Flucht; der Betroffene verhält sich in der Regel impulsiv.

So auch bei der NASA: Als das Space Shuttle in einem Feuerball verschwand, legte sich zunächst eine große Lähmung über alle Beteiligten. Und diese Starre hielt an: sämtliche Verantwortliche, ja die gesamte Organisation der NASA tauchte zunächst unter und versuchte, keine Informationen nach außen dringen zu lassen.

Im Anschluss an diese Phase begann dann das "Finger Pointing" : Die verschiedenen Verantwortlichen versuchten, die Schuld jeweils auf den anderen zu schieben. Eine Pressekonferenz fand niemals statt. In der Folge brodelte die Gerüchteküche. Statt gemeinsam das Projekt in ruhigeres Fahrwasser zu ziehen, verschärften die Projektbeteiligten durch ihr Verhalten die Krise in beträchtlichem Ausmaß.

2. Einen geeigneten Krisen-Manager berufen

Folgerichtig ist die Auswahl des passenden Krisen-Managers das A und O bei der Krisenbewältigung. Im Idealfall ist das eine Person, die in der Lage ist, trotz der angespannten Situation eine durchdachte Strategie zu entwickeln, zu ihrer Umsetzung alle Stakeholder wieder an einen Tisch zu bringen und das Projektteam neu zu motivieren. Das kann, muss aber nicht der derzeitige Projektleiter sein.

Wichtig ist - gleich zu Beginn des Krisen-Managements - die Frage, wie mit dem derzeitigen Projektleiter verfahren wird. Ablösen oder nicht? Die Antwort darauf ist ein wichtiges Teilergebnis der Untersuchung. Soll der Projektleiter abgelöst werden, muss möglichst schnell ein Nachfolger in das Aufgabenfeld eingeführt werden. Die Verantwortung dafür liegt entweder direkt bei der Unternehmensführung oder beim zuständigen Lenkungsausschuss.

Der Krisen-Manager kann aus dem eigenen Unternehmen rekrutiert werden oder ein externer Berater sein. Dem Internen ist das Unternehmen mit seinen Prozessen und Kommunikationswegen vertraut, und er ist im Idealfall stark vernetzt; gleichzeitig unterliegt er der Unternehmensraison und scheut sich häufig, Probleme offen anzusprechen. Der Berater dagegen darf das; dafür sind ihm Mitarbeiter und Unternehmensspezifika fremd.

Im Challenger-Fall wurde nach kurzer Zeit deutlich, dass die Probleme nicht innerhalb der Organisation zu lösen waren. Folgerichtig wurde eine Kommission berufen, die den Unfall und seine Ursachen analysieren sowie Empfehlungen aussprechen sollten, wie solche Katastrophen künftig zu vermeiden wären. Die "Rogers-Kommission" bestand aus einer Reihe anerkannter Fachleute. Den Vorsitz hatte Sally Ride, die erste amerikanische Astronautin im All.

Ob interner oder externer Krisen-Manager - es muss sich unbedingt um eine Persönlichkeit mit umfangreicher Erfahrung im Projekt-Management handeln, die ihre Kompetenz in Sachen PM-Grundregelnnachweisen kann. Systematik und Vorgehen sind immer gleich - weshalb Branchenerfahrung zweitranging ist.

3. Ursachen analysieren, Schwachstellen identifizieren

Wie im Challenger-Fall sind Krisen in vielen Fällen selbst verschuldet und bereits bei Projektbeginn absehbar. Die häufigsten Gründe, aus denen Projekte in Schieflage geraten können, sind die folgenden:

  • Unzulängliche Projektplanung und ungenaue Spezifikationen;

  • Unklare oder nicht kommunizierte Projektziele;

  • Fehler im Projekt-Management;

  • Inkompetente oder führungsschwache Projektleitung;

  • Fehlendes Controlling;

  • Keine projektorientierte Unternehmenskultur;

  • Konflikte zwischen Linien- und Projektorganisation.

Einer der Gründe für eine Krise ist häufig fehlende oder mangelhafte Kommunikation innerhalb des Projekts. Vorausgehen sollte die Analyse der Stakeholder. So können alle Beteiligten eines Projekts - direkt oder indirekt - in die Abläufe einbezogen werden und haben notfalls Zugang zur Projektleitung. Das erlaubt ein frühzeitiges Erkennen möglicher Risiken und Krisen.

Bei der NASA kamen Schwachstellen in Organisationskultur und Entscheidungsprozessen zusammen. So war auf der unteren Management-Ebene bereits seit langem bekannt, dass das Design der Feststoffraketen bei den Dichtungsringen einen massiven Konstruktionsfehler aufwies - ein Problem, das nie behoben wurde. Auch die Störanfälligkeit des Space Shuttle bei niedrigen Temperaturen war bereits mehrfach bemängelt und nie angegangen worden. Politischer Druck hatte dafür gesorgt, dass keiner der Projektbeteiligten es gewagt hatte, die Schwachstellen beim Namen zu nennen. Ein externer Krisen-Manager darf dies tun - wenn auch nur rückwirkend mit Blick auf künftige Fehlervermeidung.

4. Mit den Stakeholdern reden und zusammenarbeiten

Die zentrale Aufgabe des Krisen-Managers besteht im Stakeholder-Management. Denn hier herrschen in der Regel Verunsicherung, Ungeduld und Angst. Deshalb setzt der Krisen-Manager zunächst alles daran, eine möglichst persönliche Beziehung zu den Haupt-Stakeholdern aufzubauen. Erst im zweiten Schritt gründet er ein Kernteam, in das er ausgewählte Beteiligte einbindet.

Am Anfang des Krisen-Managements stehen die Neumotivierung aller Projektbeteiligten und Stakeholder sowie eine umfassende Projektanalyse. Diese muss von allen unterstützt werden. Sie kann sich durchaus am "Deming-Zyklus" für Qualität orientieren (Planen - Ausführen - Überprüfen - Anpassen). Dabei sollten folgende unter anderen diese drei Fragen beantwortet werden:

  • Wurden die Projektziele klar definiert und kommuniziert?

  • Könnte die Krise durch fehlende oder unzureichende Einbindung des Kunden oder anderer Beteiligter, zum Beispiel der Zulieferer, entstanden sein?

  • Wie wurde Führungsverantwortung von der Projektleitung wahrgenommen?

  • Erst wenn die Antworten auf diese und andere Fragen zusammengetragen und aufbereitet wurden, kenn eine systematische Lösung angegangen werden.

5. Lösungen erarbeiten sowie umsetzen und dokumentieren

Eine wichtige Aufgabe des Krisen-Managers besteht darin, eine Empfehlung für das weitere Vorgehen oder Wege aus der Krise abzugeben. Grundsätzlich bieten sich folgende Handlungsalternativen an:

  • Weitermachen mit den notwendigen Anpassungen;

  • Radikale Umstellungen, zum Beispiel Austausch von Teammitgliedern und/oder Projektleitern;

  • Abbruch des Projekts

Das ist vor allem dann sinnvoll, wenn sich das Projekt auch mittelfristig nicht mehr rechnet oder die Ziele innerhalb eines realistischen Zeitrahmens nicht erreichbar sind. Hat der Krisen-Manager seine Handlungsempfehlung abgegeben, ist seine Aufgabe meist beendet. Die Verantwortung für das weitere Vorgehen liegt beim Auftraggeber.

Die NASA entschied sich übrigens fürs Weitermachen. Dazu gab die "Rogers-Kommission" einen umfangreichen Katalog mit Empfehlungen ab. Diese wurden jedoch nicht vollumfänglich umgesetzt. Von der NASA verworfen wurde auch die wichtigste Empfehlung der Kommission - die Einrichtung eines externen und unabhängigen Sicherheitsbüros mit weitreichenden Entscheidungsbefugnissen.

2004 verunglückte wieder ein Space Shuttle. Beim Landeanflug riss eine der Haupttragflächen der Raumfähre Columbia ab. Wieder waren massive Konstruktionsfehler das Problem, wieder waren diese seit langem bekannt, und wieder waren sie nicht adäquat angegangen worden.

Fazit: Lessons learned erarbeiten - und Fehler nicht wiederholen

Am Ende eines Projekts sollte immer eine Abschlussveranstaltung stehen, bei der man sich das Projekt in seiner Gesamtheit noch einmal vor Augen führt - und sich fragt:

  1. Was ist in den einzelnen Phasen passiert, wo lagen die Probleme und Fehler, was kann und sollte verbessert werden?

  2. Was war gut und sollte beibehalten oder sogar ausgebaut werden?

  3. Welche Hilfen sollte man künftigen Projekten mitgeben?

  4. Wie kann man die "Lessons learned" künftigen Projekten zugänglich machen?

Eine Krise ist immer auch eine Chance: Die Alarmstimmung unterbricht den Alltagsrhythmus und motiviert dazu, gründlich zu prüfen, wo Fehler und Schwachstellen liegen. Allerdings muss die Bereitschaft dazu vorhanden sein, die ursächlichen Fehler zu benennen und anzugehen. (qua)

Checkliste für das Krisen-Management

1. Projekt-Management im Allgemeinen:

  • Wie wurden die Projektziele definiert und kommuniziert?

  • Wie nimmt die Projektleitung ihre Führungsverantwortung wahr?

  • Wie wurde mit dem Team umgegangen:

    a) vom Projektleiter,

    b) den Linienvorgesetzten,

    c) dem Unternehmen?

  • Wie erfolgte der Umgang mit den Ressourcen (Finanzen, Logistik etc.)?

  • Wie wurden die Prozesse im Projekt-Management gehandhabt? Wurden allgemeingültige PM-Regeln befolgt?

2. Projektergebnisse in der Krise:

  • Könnte die Krise durch fehlende oder unzureichende Einbindung des Kunden entstanden sein?

  • Oder durch mangelhafte Einbindung anderer Beteiligter wie Zulieferer oder Stakeholder mit wenig Einfluss auf das Projekt?

  • Wie ist der gegenwärtige Projektstatus?

  • Wo liegen die Probleme und deren Ursachen?