Lizenzabkommen zwischen IBM und Microsoft läuft aus

In die nächste Runde: Windows versus OS/2

05.06.1992

SAN MATEO (IDG) - Steven Ballmer, Microsofts Executive Vice-President, erklärte in der vergangenen Woche, daß das Joint-Development-Agreement mit der IBM über die Nutzung neuer Windows-Codes für OS/2 "in gut einem Jahr" auslaufe. Damit ist eine neue Runde der Marketing-Schlacht zwischen der Gates-Company und Big Blue eingeläutet: Will doch Microsoft den Anwender verunsichern, indem man den von IBM mit OS/2 in Aussicht gestellten Wachstumspfad für Windows-Anwender zur Sackgasse erklärt.

Der Überbringer der schlechten Nachricht ließ sich in der CW-Schwesterzeitschrift "Infoworld" zitieren: "Die Lizenz läuft in etwas mehr als einem Jahr definitiv aus, und bislang habe sich IBM nicht um eine Verlängerung des Abkommens bemüht. Die Armonker gaben sich nicht nur weniger auskunftsfreudig und verweigerten jeden Kommentar über die Einzelheiten des Vertrages, sondern grollten nur: "Wenn Microsoft-Verantwortliche öffentlich über die Details reden, dann brechen sie das Abkommen", erklärte ein IBM-Sprecher.

Tatsächlich darf Big Blue aber laut Ballmer alle Lines of Code auch nach Auslaufen des Vertrages benutzen, die vor Beendigung des Lizenzabkommens auf den Markt kommen. Damit behält die IBM aller Voraussicht nach die Nutzungsrechte für Windows 3.0, 3.1 und wahrscheinlich auch für Microsofts NT.

Allerdings kann keine Zeile Windows-Code mehr in OS/2 integriert werden, die nach dem Auslaufen des Vertrages auf den Markt gebracht wird.

Wird die Geltungsdauer des Vertrages nicht verlängert, ist Microsoft übrigens ebenfalls betroffen, schließlich dürfen die Windows-Entwickler nach dem Auslaufdatum auch keinen OS/2-Code mehr benutzen.

Obwohl Ballmers Aussage Unsicherheit bei den Anwendern hervorrufen dürfte, verweigert Microsoft jeden weiteren Kommentar. Ein Sprecher von MS-Deutschland bestätigte lediglich, daß Ballmer diese Aussage gemacht habe, verwies im übrigen aber auf die Vertraulichkeit des Joint-Development-Agreements. Wirklich handfesten Streit mit dem Computergiganten scheut Microsoft offenbar, denn der Executive beeilte sich zu erklären, daß Microsoft die Auslieferung von NT keineswegs bis nach Vertragsende herauszögern wolle, um IBM die Nutzungsrechte vorzuenthalten: "Wir liefern Produkte aus, wenn sie fertiggestellt sind, und selbstverständlich wird unsere Entscheidung darüber nicht durch das Lizenzabkommen beeinflußt."

Einige Beobachter befürchten, daß OS/2-Nutzer von künftigen Windows-Verbesserungen ausgeschlossen bleiben könnten. "Besonders große Unternehmen müssen sich Sorgen machen", erklärte der Herausgeber des "Windows Watcher", Jesse Berst. Endet das Lizenzabkommen, stehen der IBM laut Windows Watcher nur zwei Möglichkeiten zur Verfügung: Entweder sie nutzt Portierungssoftware wie "Mirrors" von Micrografx, oder sie bemüht sich mit Hilfe von Reverse-Engineering darum, ein Pendant zu Windows zu schaffen. Zwar könnten die Armonker mit Microsoft neu verhandeln, doch Ballmer glaubt nicht an den Erfolg eines solchen Versuches.

IBM-Insider sehen dagegen nicht unbedingt eine Gefahr für den Windows-Rivalen: "Wenn IBM den Windows-Code nicht mehr nutzen kann, dann wird sie in typischer Manier Windows für tot und OS/2 zum Gewinner erklären. Die Armonker werden für den Anwender die Möglichkeit schaffen, seine eigene Windows-Kopie zu benutzen. Das ist nicht so schwierig, und Big Blue müßte keine Gebühren mehr für jede ausgelieferte OS/2-Version an Microsoft entrichten."