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In Deutschland sind 130.000 IT-Arbeitsplätze durch Offshoring bedroht

19.02.2004

Es geht aber noch weiter: Eine A.T.Kearney-Studie vom vergangenen Jahr zur Situation bei Banken und Versicherungen in Deutschland hatte das Potenzial der Verlagerung von nicht IT-spezifischen Tätigkeiten ins Ausland untersucht. Danach könnten noch einmal rund 100.000 Arbeitsplätze etwa nach der EU-Osteuropa-Erweiterung am 1. Mai 2004 nach Polen, Tschechien, Ungarn (so genanntes Nearshoring), aber auch nach Indien verlagert werden. Allerdings fehlt mehr als 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland bislang eine konkrete Strategie, um auf diese Herausforderung zu reagieren. Buchta: "Wir hatten bisher ja zudem das Glück, das wir mental noch nicht das Äußerste denken, dass die Telekommunikationskosten zu hoch waren und dass die IT technisch noch zu wenig weit entwickelt war." All dies ändere sich jetzt und das wiederum bestärke den Trend zum Offshoring weiter.

A.T.Kearney stellt in seiner Studie vier Schlüsselthesen auf, die in der gegebenen Situation von Politik, Wirtschaft, Industrie und den Ausbildungsstätten abgearbeitet werden müssen, um die negativen Folgen der Offshoring-Tendenzen abzufedern:

  • Lokale IT-Dienstleister müssten sich jetzt strategisch richtig positionieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Wenn sich Offshoring erst etabliert hat, schreiben die Management-Berater, würden die Marktanteile der lokalen IT-Dienstleister stark zurückgehen. Gleichzeitig drängten international aktive Anbieter mit bewährten Offshoring-Modellen auf den deutschen Markt. IT-Outsourcing-Anbieter hätten dann eine Chance, wenn sie sich als Mittler zwischen Unternehmen und Offshore-Anbietern positionieren.

  • Der IT-Branche in Deutschland droht ein massiver Beschäftigungsrückgang, der allerdings durch die richtigen Weichenstellungen abgemildert werden kann. Die lokalen IT-Dienstleiter könnten einen massiven Beschäftigungsrückgang nur dann abwenden, wenn sie jetzt die richtigen Skills aufbauen oder sich spezialisierten.

  • Deutsche Unternehmen könnten die Potentiale von Offshoring zu ihrem Vorteil nutzen. Dazu müssten sie ihre IT-Prozesse allerdings auf den Stand der Technik bringen, ehe sie die Vorteile durch Offshoring realisieren können. Derzeit sei, so A.T.Kearney, der internationale Wettbewerb diesbezüglich jedoch klar im Vorteil.

  • Last, but not least würde Offshoring ganze neue Anforderungen an die IT-Ausbildung stellen. Die bestehenden akademischen Inhalte deckten diese Anforderungen (noch) nicht ab. Ein Großteil der Absolventen deutscher Informatikausbildungen werde zukünftig im Inland keinen Arbeitsplatz finden. Es bedürfe einer Neuausrichtung der Lerninhalte.

Auch die deutsche Informatik-Ausbildung hat den Offshoring-Trend noch nicht wahrgenommen, sagt Buchta. Deutsche Hochschulen produzierten Absolventen mit Qualifikationen, die in Offshoring-Zielen (wie z.B. Indien) relevant sind, aber in Deutschland nicht mehr gefragt sein werden. Im Klartext: Deutsche Hochschulen würden immer noch zu viele "reine" Informatiker, also Programmierer, ausbilden - O-Ton Buchta: "Der klassische auf Programmierung ausgelegte Informatikstudent". Viel zu wenige Informatik-Hochschulabgänger hätten Zweitqualifikationen beispielsweise als Medizin-, Bio- oder Betriebswirtschaftsinformatiker. Entsprechend müssten die Lerninhalte dringend überprüft und neu ausgerichtet werden.(jm)