Web

In der Startup-Szene lässt die B2C-Euphorie nach

08.11.2000
Die Online-Branche in Deutschland ist ernüchtert, aber nicht resigniert. Aktuell wird die Zahl der Startups auf bis zu 4500 geschätzt. Favorisierten die Online-Pioniere jedoch bisher das Business-to-Consumer-Geschäft, so verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf die Softwareproduktion für das E-Business.

Von CW-Redakteurin Riem Sarsam

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Online-Branche in Deutschland ist ernüchtert, aber nicht resigniert. Aktuell wird die Zahl der Startups auf bis zu 4500 geschätzt. Favorisierten die Online-Pioniere jedoch bisher das Business-to-Consumer-Geschäft, so verlagert sich der Schwerpunkt zunehmend auf die Softwareproduktion für das E-Business.

Bereits zum zweiten Mal hat die Beratungsfirma Bain & Company im Rahmen ihrer Studie "One Economy" die Szene unter die Lupe genommen. In einem ersten Schritt musterten die E-Commerce-Experten rund 220 Unternehmen mit Gründerteams zwischen durchschnittlich vier bis sechs Personen und führten anschließend mit Vertretern von 72 Firmen intensivere Gespräche.

An der Umfrage durften nur deutsche Startups mit einem Geschäftsmodell teilnehmen, das erst durch die Internet-Technik ermöglicht wurde. Außerdem sollte ein Börsengang nicht vor 2001 geplant sein. Companys, die sich als reine Dienstleister für das Internet positionieren, waren aus der Untersuchung ausgeschlossen. Mit Hilfe eines gemeinsam mit der COMPUTERWOCHE erweiterten Fragenkatalogs wurden neben den Geschäftskonzepten auch Faktoren wie die Bildungsabschlüsse der Firmengründer, ihre Lebensläufe sowie die Finanzierung des Unternehmens abgeklopft.

Was die Geschäftsmodelle betrifft, so lässt sich eine deutliche Tendenz zu den "Schaufelherstellern", den so genannten Web-Enablern, feststellen. Diese liefern die Software für das E-Business und profitieren dabei vom wachsenden digitalen Engagement traditioneller Firmen der Old Economy. Eher zu den "Verlierern" zählen dagegen die Betreiber von Online-Plattformen für Konsumenten. Spätestens seit Companys wie Boo.com baden gingen, werden die Business-Pläne von B2C-Startups wesentlich kritischer beäugt. Trotzdem stellen sie mit rund 44 Prozent noch immer die größte Gruppe innerhalb der Gründerszene dar. Noch vor einem halben Jahr lag der Anteil allerdings bei gut 50 Prozent.

Als Stolperstein erwiesen sich hier nicht nur sinkende Werbeerlöse, sondern auch die Umsetzung von ehrgeizigen Internationalisierungsplänen. "Europaweit Fuß zu fassen ist sehr schwierig", erläutert Gerald Haslhofer, Projektleiter der Studie. "Viele B2C-Anbieter mussten einsehen, dass eine Expansion kompliziert wird, wenn auf einmal auch Offline-Komponenten mit ins Spiel kommen." Der Aufbau von Lagern, einer einheitlichen Informationsstruktur sowie die dazugehörige Logistik war von einigen deutlich unterschätzt worden. Daher wundert es wenig, dass der Anteil der Betreiber von Online-Shops schmolz und statt dessen die Menge der Web-Enabler von 28 Prozent auf mittlerweile rund 36 Prozent kletterte. Im B2B-Sektor (Business-to-Business) dagegen änderte sich in den letzten sechs Monaten wenig, Firmengründungen in diesem Bereich machen weiterhin rund ein Fünftel in der Internet-Landschaft aus.

Der Blick auf die Menschen, die hinter den Startups stehen, zeigt, dass ein Großteil dieser frischgebackenen Unternehmer einen "exzellenten" Bildungshintergrund besitzt. Mehr als 80 Prozent haben ein Studium abgeschlossen, über ein Drittel davon mit Promotion oder MBA. Mehr als die Hälfte der Personen kommt aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Bereich, knapp ein Viertel hat eine technische Universitätsausbildung in Informatik beziehungsweise Ingenieurwissenschaften genossen. Zwölf Prozent der Gründer besitzen Abitur und nur acht der 359 Befragten haben einen Hauptschulabschluss beziehungsweise die Mittlere Reife. In den seltensten Fällen kommen die Startup-Gründer direkt von der Universität, immerhin 41 Prozent wiesen eine vier- bis achtjährige Berufserfahrung auf, rund 22 Prozent sogar zehn bis 20 Jahre.

Doch das Etikett "Berufserfahrung" allein sagt noch nichts über ausreichende praktische Erfahrung beim Aufbau eines Unternehmens aus. Die Bain-Experten gestehen den Gründern zwar genug Fähigkeiten für den Aufbau eines Unternehmens zu, raten jedoch zu "älterem" Management-Know-how, wenn es später darum geht, eine auf mittelständische Größe angewachsene Firma zu lenken. Was das Know-how für die Gründung eines Unternehmens betrifft, können sich die Deutschen noch eine Scheibe von den Amerikanern abschneiden. Während sich im Silicon Valley mittlerweile eine regelrechte Gründerszene herausgebildet hat - Firmen werden aufgebaut, verkauft und wieder neu gegründet - wagen unter den befragten Gründern in Deutschland beinahe zwei Drittel zum ersten Mal den Sprung ins kalte Wasser. Dennoch machten die Bain-Berater die Erfahrung, dass sich vor allem in Firmen, die mit der Unterstützung von Großunternehmen wie Banken oder Versicherungen gegründet wurden, "ein beeindruckendes Management-Know-how" findet. Laut Bain wechselte beispielsweise eine Reihe von Unternehmensberatern im vergangenen Jahr zu einem Unternehmen der New Economy, wovon rund zehn Prozent mehr als zehn Jahre Berufserfahrung mitbrachten.

Als Motiv für den Weg in die Selbständigkeit wird der zu Unrecht belächelte Spaßfaktor angeführt: Gerade er gilt vielen Gründern als ernst zu nehmendes Unterscheidungsmerkmal zwischen Old und New Economy. Und er zeigt Sogwirkung. Nicht selten verlassen Manager ihren sicheren Posten in einem etablierten Unternehmen, um eine Internet-Firma aufzubauen und zum Erfolg zu führen. Oft ist der Anfang mit einem hohen Risiko verknüpft. Denn die frühe Umsetzung der Geschäftsidee, also die Phase, bevor Business Angels oder Venture-Capital-Geber auf den Plan treten, wird in über 40 Prozent der Fälle aus der eigenen Tasche finanziert. Bain-Mann Haslhofer vermutet, dass es sich dabei um eine durchschnittliche Größenordnung von rund einer Million Mark handelt. Bei einem Gründerteam mit rund fünf Leuten bringt demnach der Einzelne im Schnitt rund 200 000 Mark auf. "Das ist schon ein großes persönliches Wagnis", wertet Haslhofer, "denn das Geld wird über Friends und Family zusammengekratzt." Selbstverständlich spielt auch der monetäre Reiz, mit dem Erfolg des eigenen Unternehmens den Einsatz mehrfach wieder zurückzubekommen, eine wesentliche Rolle.

Doch allein mit Geld lässt sich die Gründerwelle nicht begründen. Wichtig ist auch der Wunsch, aus verkrusteten Strukturen auszubrechen. Das zeigt sich auch an der Personalorganisation: 60 Prozent der Befragten sagten, bei ihnen gebe es keine Mitarbeitervertretung in Form von Betriebsräten oder Gewerkschaften. Startups lehnen diese Organisation der Beschäftigten als "geschwindigkeitshemmend" ab, so das Ergebnis. Lediglich eine von 72 Companys gab an, gewerkschaftlich organisierte Mitarbeiter zu beschäftigen, 24 Firmen machten dazu überhaupt keine Angaben. Man darf spekulieren, ob dies mit einem anderen Resultat der Studie zusammenhängt. Wie Bain herausfand, zahlt nämlich keines der befragten Startups tariflich festgelegte Gehälter. Nur wenige sind bereit, ihre Mitarbeiter über Durchschnitt zu entlohnen. Die meisten, 45 Prozent, setzen auf eine Zusatzleistung in Form von Aktienoptionen, während ein Fünftel rein erfolgsabhängig zahlen.

Bain fragte die Firmen auch nach ihrer technischen Kompetenz. Auf den ersten Blick erscheinen die Antworten bezüglich der hausinternen IT plausibel: Software und Office-Pakete werden selten gemietet und meistens gekauft, während die Hardware öfter geleast wird, um die Kosten nicht explodieren zu lassen. Überraschend ist jedoch, dass sich ein Viertel der Befragten zu dem ganzen Thema überhaupt nicht äußerte. Vermutlich war den Teilnehmern an der Umfrage nicht klar, woher das Equipment stammt, mit dem sie arbeiten. Haslhofer schließt daraus auf Schwächen dieser Unternehmen: "Da gibt es anscheinend gewisse Probleme in der internen Organisation".