In der Schul-DV von Techniken zu Inhalt finden

14.08.1986

Professor Dr. Walther L. Fischer, Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Nürnberg-Erlangen

Die Diskussion um die Einführung des Computers in den Unterricht in den Unterricht wird weltweit geführt - weltweit vielfach mit der gleichen Emphase und den gleichen Argumenten. Es gibt leidenschaftliche Gegner und ebenso leidenschaftliche Befürworter - die öffentliche Meinung ist polarisiert durch Skepsis auf der einen Seite und Euphorie auf der anderen Seite.

Der Einzug der Computer in den Unterricht der verschiedenen Schularten wirft Probleme auf der sachlichen, der didaktischen und der methodischen Ebene auf - und weltweit sind es die gleichen Fragen: die Frage nach der geeigneten Hard- und Software, nach der didaktischen Konzeption der Inhalte und Ziele, nach der methodischen Organisation und Gestaltung der informationstechnischen Grundbildung (ITG)

beziehungsweise einer darüber hinausgehenden Integration der Computer in den Unterricht der verschiedenen Fächer.

Weltweit fehlt die unterrichtspraktische Erfahrung auf breiter Ebene und über längere Zeiten - weltweit fehlen die entsprechenden didaktischen und methodischen Konzeptionen für einen sinnvollen Einsatz der Computer im Unterricht soweit er über den traditionellen Computerunterricht hinausgeht; fehlt die entsprechende Begleitforschung,

die nicht nur die Bedingungen, die Möglichkeiten und Grenzen, die möglichen pädagogischen Funktionen eines solchen Einsatzes untersucht, entsprechende Vorschläge begründet, sondern darüber hinaus eine Mittlerrolle zwischen Schule und Industrie übernimmt.

Bislang wurden die Entwicklung in der Industrie und im schulischen Bereich relativ unabhängig voneinander vorangetrieben.

Es gibt eine Fülle von Einzelprogrammen und von Unterrichtsvorschlägen für die Lösung von sehr speziellen Aufgabenstellungen. Vielen der Vorschläge fehlt freilich die Einbettung in ein didaktisches Konzept und das gilt für die von der Industrie gelieferte vorkonfektionierte Software ebenso wie vielfach für die von Lehrern erstellten Programme.

Weltweit mangelt es an einem Erfahrungs- und Wissensaustausch zwischen Schule und Industrie im Bereich der neuen Technologien. Zusammenarbeit existiert meist nur zwischen Hochschule und Industrie auf dem Gebiet der Technologieentwicklung.

Hard- und Softwarehersteller führen einen Kampf um Marktanteile - auch auf dem Feld der Schule. Pädagogische Gesichtspunkte spielen dabei naturgemäß keine Rolle. Diese liegen jenseits des vordergründig wirtschaftlichen Interesses der Firmen. Die Industrie stellt Geräte und Software her; die Schule soll die vorkonfektionierte Ware übernehmen. Im allgemeinen werden Geräte mit einigen als werbewirksam erachteten Programmen für sehr spezielle - schulisch meist höchst belanglose - Aufgaben vorgeführt. Echte Beratung der Kunden, der Lehrer oder Schülereltern fehlt, kann wohl auch vielfach nicht erfolgen, weil die Firmen über die speziellen Belange der einzelnen Schularten und Schulstufen zu wenig unterrichtet sind.

Was ist zu tun? Zunächst müssen die Berührungsängste zwischen Schule, Hochschule und Industrie weiter abgebaut werden, müssen sich die Beteiligten und Betroffenen zunehmend einander öffnen. In letzter Zeit haben sich zwar hier und dort Partnerschaften zwischen genannten Interessenvertretern etabliert; diese müssen aber in eine Form der Zusammenarbeit überführt werden, aus der nicht nur allgemein gehaltene Empfehlungen an die Schule resultieren, sondern Konzeptionen und Vorschläge, die vor Ort, und das heißt in die Unterrichtspraxis, umsetzbar sind.

Auch die Industrie wird sich mit ihrem vielfältigen technischen Know-how der Schule öffnen müssen.

Der Einsatz der Computer im Unterricht darf nicht dazu führen, daß in der Schule eine weltferne Sondersituation geschaffen wird. Der Computer eröffnet die Chance, aus einer idealisierten Scheinwelt heraus die Wirklichkeit der außerschulischen Welt als Problemfeld in die Schule hereinzuholen. Die Computer wären also in der Schule völlig fehl eingesetzt, würden sie nur als Rechen- oder Steuergeräte Verwendung finden. Der Einsatz der Computer in der Welt der Wirtschaft, der Technik und der Wissenschaft sollte in der Schule simulierbar sein.

Diese Voraussetzung hat ihre Konsequenzen. Sie impliziert zunächst, daß an die Schule nicht nur Auslaufmodelle preiswert abgegeben werden dürfen.

Es sollten vielmehr Geräte, die sich im Alltag der Arbeitswelt bewährten, für die Zwecke der Schule abgemagert oder umgerüstet werden.

Damit der Umgang mit den Geräten einen - eigentlich noch zu definierenden - Bildungsauftrag erfüllen kann, ist auch die Software wesentlich zu verbessern. Die von der Industrie angebotene allgemeine Anwendersoftware ist für die Schule im allgemeinen nur begrenzt von Nutzen; sie ist für die schulischen Belange ebenfalls häufig zu dürftig oder zu vielfältig, meist bar jeder didaktischen Relevanz. Für die Schule muß die Software auf spezielle Inhalte und Ziele abgestimmt werden. Eine Fülle von Inhalten, die mit dem Computer didaktisch flexibler und anschaulicher aufbereitet werden können als mit anderen Unterrichtsmedien, ist an die Verfügbarkeit einer Software gebunden, die von Lehrern nicht (und schon gar nicht von Schülern) ohne weiteres (oder nur mit großem Zeitaufwand) programmiert werden kann. Neben der eigenen Erstellung von Programmen macht der Einsatz professioneller Routinen den Bezug zu echten Anwendungen in der außerschulischen Welt erst möglich.

Die Industrie muß also der Hardware zugleich entsprechende Basissoftware anbieten: Textverarbeitung, Datenverarbeitung, gute Grafik sollten selbstverständlich verfügbar sein. Auch hier muß also die Industrie ihr Know-how der Schule zur Verfügung stellen. Um Lehrer und Schüler nicht zu sehr in ihrer Kreativität einzuschränken, bedürfen wir vielfach nicht nur einer Software, die auf einzelne Unterrichtsinhalte, auf Einzelprobleme zugeschnitten ist, wir brauchen Programmpakete, die als Menü ganze Bereiche von Inhalten im Rahmen von Unterrichtssequenzen überdecken. Softwaremodulen, die in Entsprechung zu den Software-Tools für industrielle Anwendungen vielseitig ersetzbar, kombinierbar, und dann vielseitig einsetzbar sind, wird in der Schule die Zukunft gehören.

Voraussetzung für die geforderte Entwicklung ist eine pädagogisch abgesicherte didaktische Konzeption, die eine Verselbständigung des Computereinsatzes im Unterricht und der informationstechnischen Bildung verhindert, die vielmehr beide in eine flächenübergreifende Bildung einbettet.

Die Information ist ein Rohstoff der Zukunft. Neben die Werkstoffe verarbeitende Maschine tritt die informationsverarbeitende Maschine. Fertigkeiten - zum Beispiel im Programmieren - werden als Qualifikation zunehmend weniger gefragt sein als die Fähigkeit zur Analyse von Systemzusammenhängen. Im Rahmen der ITG werden wir uns in der Schule weniger um Techniken als um solche Inhalte kümmern müssen. Die Datenverarbeitung wandelt sich derzeit zum Procedure-Processing und wird um die Jahrtausendwende zum Cognitive-Processing werden. Relational-Understanding wird dabei bedeutsamer sein als Computational-Understanding.