Bei allem Lamentieren, dass die digitalen Märkte US-dominiert seien und deutsche Konzerne hinterherhinkten, wird ein Punkt häufig übersehen: "Industrie 4.0 ist ein riesiger Exportschlager", sagt Sebastian Pfotenhauer, Professor für Innovationsforschung an der Technischen Universität München. Pfotenhauer sprach im Rahmen einer Diskussion bei der Fraunhofer Academy in München zum Thema "Bereit für den Job der Zukunft?" Komplexe Modelle und integrierte soziotechnische Systeme, wie der Wissenschaftler das Zusammenspiel von Technologie, Mensch und Organisation nannte, seien etwas, das Deutschland gut gestalten könne.
Um weiter voranzukommen, sei es aber notwendig, die Interdependenzen zwischen Technologie und Mensch zu durchdringen und Antworten auf zwei Fragen zu finden: Was bedeutet die Digitalisierung kurzfristig für bestimmte Berufsbilder? Und welche Fähigkeiten sind mittelfristig für zukünftiges Arbeiten erforderlich? Diesen Fragen ging die Fraunhofer Academy im Dezember in ihrer ersten "Open Discussion" nach.
Roboter übernehmen viele Arbeiten
Welche Konsequenzen Digitalisierungsprojekte für die Arbeitswelt haben, analysierte David Kremer vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO. Moderne Sensorik führe beispielsweise zu einem viel höheren Niveau der Qualitätskontrolle - basierend auf Big Data. Auswertungsalgorithmen überwachen laut Kremer unterschiedlichste Prozesse und Parameter, identifizieren Fehlerquellen und leisten eine umfassende Qualitätsüberwachung. Eine roboterassistierte Produktion mit verbesserten Sensoren und Sicherheitssystemen könne die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine auf ein neues Niveau heben, aber auch immer mehr Aufgaben selbständig abarbeiten. "Roboter haben jetzt das Potenzial, Tätigkeiten von Menschen zu übernehmen - gerade bei manuellen Arbeitsvorgängen etwa in der Montage", bilanzierte Kremer.
Das habe Folgen für die Qualifikationsprofile der Mitarbeiter: "Die Sensorik liefert so viele Daten, dass viele Tätigkeiten in der klassischen Qualitätssicherung wegfallen können", so Kremer. Das Gleiche gelte für monotone Tätigkeiten in der Fertigung. Mitarbeiter müssten künftig eher in der Lage sein, diese Systeme und Maschinen zu steuern, Daten zu analysieren und daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Kremer machte auch deutlich, dass einzurichtende Fertigungsanlagen zunehmend digital simuliert und so schon vor der Inbetriebnahme optimal eingerichtet werden können. Neuerungen ließen sich damit schnell umsetzen und implementieren. Zudem rücken die Dienstleister in der Lieferkette näher an die Produktion heran. Ein intelligentes Supply-Chain-Management, das Echtzeitdaten der Partner bereitstellt, hilft Unternehmen, Probleme in der Wertschöpfungskette früh zu bemerken.
"Unternehmen möchten früh erkennen, wenn der vierte Lieferant in der Kette hustet und ihm ein Teil ausgeht. Sie möchten berechnen können, wann das zu einem Engpass bei ihnen führt", sagte Kremer. Dann könne die Fertigung frühzeitig umdisponieren und den Engpass vermeiden.
Aus diesen und weiteren Trends leitet Kremer ein paar allgemeine Anforderungen an Mitarbeiter ab. Absehbar sei, dass die verschiedenen Abteilungen in den Unternehmen enger zusammenarbeiten werden. Das bedeutet, dass sich Mitarbeiter "Komplementärkompetenzen zu ihrem eigenen Bereich" aufbauen müssen - Kenntnisse also, die sie zu einer übergreifenden Zusammenarbeit befähigen. Hinzu kommt Systemkompetenz: "Systeme werden immer komplexer und interagieren miteinander. Der Mensch muss in der Lage sein, das nachzuvollziehen."
Lernen muss arbeitsplatznäher werden
Wie können sich Mitarbeiter die notwendigen Kompetenzen aneignen? "Ich glaube, dass die Digitalisierung eine große Chance für die Weiterbildung ist", sagte Schulungsberater Jochen Robes. Dazu müsse sich Weiterbildung aber neu definieren - weg von Standardkursen und hin zu Ansätzen, die digitale Instrumente und Plattformen bieten. "Lernprozesse werden digitaler. Damit meine ich aber nicht E-Learning", so Robes. Es gehe darum, Menschen in jeder Phase ihres Lernprozesses digital zu unterstützen.
Menschen werden demnach verstärkt selbstorganisiert an ihren Arbeitsplätzen lernen. Dabei werden sie auf Plattformen und Services zurückgreifen, die sie kennen. Wenn sich Kollegen in Whatsapp- oder Social-Media-Gruppen austauschen, dann sollten Weiterbildungsangebote ebenfalls diese Kanäle nutzen. Und auch die Unternehmenskultur muss sich laut Robes ändern. Selbstbestimmtes Lernen sei das A und O, der Weg müsse daher "von einer Personalentwicklung, die sich für die Entwicklung von anderen verantwortlich fühlt, hin zu einer Ermöglichungsdidaktik führen". Mitarbeiter wissen selbst am besten, welche Kompetenzen sie brauchen. In Absprache mit den Personalverantwortlichen müssen sie diese aufbauen können.
Auch Digitalwelt braucht Kreativität und Sozialkompetenz
Neben technischem Know-how kristallisierten sich in der Diskussion andere grundlegende Fähigkeiten heraus, die die Digitalisierung der Arbeitswelt erfordert. Sie sind nicht neu: Kreativität, Flexibilität, Dialogfähigkeit, soziale Kompetenz sowie die Fähigkeit zu analytischem und nuanciertem Denken zählen zu den Grundbausteinen. Hinzu kommt die Kenntnis agiler Methoden - nicht einfach nur als Konzept zur Produktentwicklung, sondern auch als Denkmodell. Diese Skills befähigen dazu, nicht nur die Transformation der Arbeitswelt zu bewältigen, sondern auch die Vorteile dieses Wandels nutzen zu können.(hk)