Die Zukunft von ERP/Krise bringt Herausforderungen für Standardsoftware-Hersteller

In der ERP-Szene bleibt alles anders

28.02.2003
Die Zurückhaltung vieler Unternehmen bei Investitionen hat auch die Softwarebranche hart getroffen. Für einige Anbieter kam 2002 das Aus. Eine grundlegende Veränderung des heterogenen Standardsoftware-Marktes ist jedoch nicht in Sicht. Von Hartmut Lürßen und Thomas Lünendonk*

Konnten Standardsoftware-Unternehmen im Jahr 2001 noch vergleichsweise leicht neue Kunden gewinnen und den Umsatz mit hohen Wachstumsraten kontinuierlich steigern, hat sich die Situation im vergangenen Jahr grundlegend gewandelt. Inzwischen läuft ein Verdrängungswettbewerb, der auch vor bekannten Namen wie Bäurer oder Brain nicht halt macht.

Innerhalb des Marktes für Standardsoftware hat Enterprise Resource Planning (ERP) in der Vergangenheit eine wichtige Rolle gespielt. Dafür, dass sich das in absehbarer Zeit ändert, gibt es derzeit keine Anzeichen. In der Lünendonk-Studie 2002 "Führende Standard-Software-Unternehmen in Deutschland" erscheint ERP in der Liste der wichtigsten Anwendungsgebiete der aktuellen Geschäftstätigkeit auf Platz zwei. Lediglich das Thema Customer-Relationship-Management (CRM) schätzten die Standardsoftware-Anbieter als wichtiger ein. Die Daten wurden im ersten Quartal 2002 erhoben.

Ende des Wachstums bei großen Installationen

Angesichts der Tatsache, dass viele ERP-Anbieter ihr bestehendes Produktportfolio um die Kernanwendungen herum sukzessive erweitern und mit CRM einen Wachstumsmarkt identifiziert haben, dürfte sich auch 2003 nicht viel an der Bedeutung von ERP ändern. In den meisten Fällen bildet eine ERP-Lösung die Grundlage für eine CRM-Anwendung oder ist zumindest mit ihr verknüpft.

Die forcierten Mittelstandsinitiativen großer Anbieter wie SAP, Microsoft oder jüngst Oracle deuten auf ein Ende des Wachstums bei großen ERP-Installationen hin, obwohl in den nächsten Jahren noch etliche Altinstallationen abgelöst werden müssen.

Mittelständler sind sehr anspruchsvoll

Damit verfolgen gerade die großen Anbieter den logischen Top-down-Ansatz. Sie müssen sich dabei jedoch auf die besonderen Regeln des Mittelstandsmarktes einstellen, wenn sie im Mittelstand Erfolg haben wollen. Zwar haben Konzerne bessere Möglichkeiten, gute Konditionen auszuhandeln, was prinzipiell gegenüber einem Mittelstandskunden ein Verhandlungsvorteil ist. Aber viele Mittelständler sind sehr anspruchsvoll. Aus Sicht des Herstellers verringert sich beispielsweise der Beratungsaufwand bis zum Abschluss bei niedrigerem Umsatz pro Kunde häufig nur unwesentlich.

Zudem sind potenzielle Kunden im Mittelstand wesentlich schwieriger zu identifizieren und direkt zu binden, weil der Kontakt häufig in den Händen eines Vertriebspartners liegt. Insofern stellt der Mittelstand für die großen Hersteller eine besondere Herausforderung dar.

SAP: Mehr Wettbewerb mit den Kleineren

Microsoft hat 2002 die Integration der Navision-Produkte im Geschäftsbereich Microsoft Business Solutions vorangetrieben. Aufgrund der breiten Navision-Kundenbasis in Verbindung mit dem etablierten Partnernetz hat Microsoft - bildlich gesprochen - den Fuß bereits fest in der Tür.

SAP versucht, mit den Lösungspaketen "Business One" und "All in One" im Mittelstand stärker Fuß zu fassen. Gleichzeitig soll das für den Mittelstand konzipierte Vertriebskonzept für einige bestehende Vertriebspartner neue Betätigungsfelder eröffnen und so einen Konflikt zwischen den Vertriebskanälen vermeiden. Aufgrund der Marktposition und etablierten Basis von SAP in deutschen Großunternehmen müssen kleinere Anbieter zukünftig mit einem stärkeren Wettbewerb aus Walldorf rechnen.

Oracle dagegen hat den Kraftakt "Vertriebsnetz im Mittelstand" noch vor sich. Bis zur CeBIT 2003 sollen jedoch die ersten Partner zertifiziert sein, die die so genannte Special Edition der E-Business-Suite 11i dann auch implementieren dürfen.

Wenn sich durch das Mittelstands-Engagement der großen Player die heterogene Marktstruktur in Deutschland grundlegend veränderte, wäre das sehr überraschend. Das gilt sowohl für den Standardsoftware-Markt als Ganzes als auch für den Teilmarkt ERP. Der deutsche Standardsoftware-Markt hatte im Jahr 2001 nach Berechnungen von Diebold ein Volumen von 14,1 Milliarden Euro. Zusammen decken die drei Unternehmen mit dem größten Inlandsumsatz weniger als ein Viertel des gesamten Inlandsbedarfs.

Das größte Unternehmen (SAP) erzielt lediglich ein Zehntel des deutschen Gesamtmarktes. Das an zweiter Stelle liegende Unternehmen, Microsoft, hat in Deutschland nur einen einstelligen Marktanteil (neun Prozent). Bereits ab Rang fünf liegen die jeweiligen Marktanteile unter der Ein-Prozent-Marke.

Geht man von dieser Konstellation aus und berücksichtigt, dass der Mittelstand als Kundensegment nur einen verhältnismäßig geringen Teil des Gesamtmarktes ausmacht, sind tief greifende Veränderungen der Marktstruktur nicht zu erwarten.

Dass große Anbieter nun ihre Aufmerksamkeit auf den Mittelstand richten, ist indes sehr zu begrüßen. Er ist nicht nur der größte Arbeitgeber in Deutschland, er bietet den zahlreichen Softwareanbietern auch die lukrativen Nischen, in denen gerade kleinere Softwarehäuser bisher krisensicher gute Geschäfte machen konnten. Darüber hinaus ist er ein guter Gradmesser für die wirtschaftliche Gesamtlage im Lande.

Der Mittelstand hat ein Finanzierungsproblem

Die Investitionszurückhaltung, die im Jahr 2002 deutlich zugenommen hat, ist gerade im Mittelstand stark verbreitet. Es wird derzeit fast ausschließlich in Projekte investiert, die für das operative Geschäft unbedingt notwendig sind, und in solche, die eine kurze Amortisationszeit versprechen.

Das stärkt zwar die Verhandlungsposition der Anwenderunternehmen gegenüber den Softwareanbietern. Sinkende Projektvolumen oder höhere Zusatzleistungen zum gleichen Preis beispielsweise auch bei den Systemintegrationshäusern zeigen das.

Allerdings - nicht jeder Mittelständler, der investieren will, kann sein Vorhaben auch tatsächlich umsetzen: Immer häufiger verweigern Banken die notwendigen Kredite und Finanzierungsangebote für Projekte, die sich nicht aus dem Cashflow finanzieren lassen. Dabei nutzen Banken das Argument "Basel II" immer mehr als Ausrede und Vorwand, um Kredite abzulehnen. Hier würden möglicherweise große Hersteller profitieren, weil sie eigene Finanzierungsangebote machen können.

Wie lange die Banken bei ihrer restriktiven Politik gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen bleiben, ist schwer zu beurteilen. Vieles deutet auf eine Überreaktion auf die enormen Verluste der Dotcom-Pleitenwelle hin. Bleibt zu hoffen, dass die Verunsicherung im Bankgewerbe bald vergeht und Basel II praxisnah angewendet wird.

Technologisch gesehen werden die Themen, die 2002 eine wichtige Rolle gespielt haben, auch 2003 einen hohen Stellenwert einnehmen. Das gilt insbesondere für CRM und ERP. ERP bildet weiterhin die Grundlage für Technologien wie CRM, E-Procurement oder Supply-Chain-Management. Deren Bedeutung wird mit großer Wahrscheinlichkeit weiter zunehmen, weil sie der Verbesserung der firmenübergreifenden Geschäftsprozesse dienen, was Effizienz und Kosten betrifft. Das sind Ziele, die jedes erfolgreiche Unternehmen verfolgt - egal welcher Größe. (bi)

*Hartmut Lürßen ist Senior Consultant und Thomas Lünendonk Geschäftsführer der Lünendonk GmbH in Bad Wörishofen.