Niedrige Stundensätze garantieren noch lange keine gute Ausbildung

In der DV-Ausbildung fehlt die nötige Qualitätssicherung

23.03.1990

Zunehmender Fachkräftemangel bei steigender Arbeitslosigkeit in der Datenverarbeitung - wie kommt das? Arbeitsämter und Ausbildungsinstitute vergeuden öffentliche Gelder für praxisferne Umschulungen, wird behauptet. Zum Teil zu Recht. Was dringend nötig wäre, sind arbeitsmarktrelevante Qualitätsstandards für die Ausbildungsmaßnahmen.

Kaum ein Thema aus dem Bereich Weiterbildung ist in den vergangenen zwei Jahren ähnlich kontrovers diskutiert worden, wie das der Fortbildung und Umschulung für Berufe in der Datenverarbeitung. In Tages- und Fachpresse sorgten einander widersprechende Artikel für reichlich Verwirrung.

Kontroverse um DV-

Studie aus Nürnberg

Die ganze Diskussion erinnert an die Sufi-Geschichte von den drei Blinden und dem Elefanten. Der erste Blinde befühlte den Rüssel des Elefanten und schloß, ein Elefant müsse aussehen wie eine riesige Schlange. Der Zweite tastete sich an den Füßen hoch und meinte, das Tier habe eine Gestalt wie ein uralter Baum. Der dritte Blinde faßte an den Leib des Elefanten und stellte ihn sich darauf wie eine hohe, breite Wand vor. Überschriften, wie "Kaum noch Chancen für Umschüler" bis zu "Gute Aussichten in DV-Berufen" und sogar eine Studie mit dem Titel "Die rosigen Zeiten sind vorbei", die sich auf eine sehr dünne Datenbasis stützt, gaben wohl eher die Sicht des jeweiligen Verfassers, nicht aber die tatsächliche Situation wieder. Die Kontroverse wurde ausgelöst, als Werner Dostal eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung mit dem Titel "Die Datenverarbeiter - Ende des Booms?" vorlegte. Die Studie enthält neben der Darstellung des Berufsbereiches "Datenverarbeitungs-Fachkräfte" eine Tabelle mit der Struktur der arbeitslosen Datenverarbeiter im September l 988.

Offensichtlich war einigen der Verfasser der genannten Artikel nicht bekannt, daß auch im Bereich der "verwöhnten Computeure" schon immer Arbeitslose zu finden waren. Daß dieser Trend im Zuge der von der Bundesanstalt betriebenen "Qualifizierungsoffensive" noch verstärkt wurde, war für Kenner der Szene nur natürlich. Trotz eines erheblichen Fehlbestandes an DV-Fachkräften (seit Jahren veröffentlichen die Bundesanstalt für Arbeit, der VDMA und andere ungeprüft eine Zahl zwischen 20 000 und 40 000) war die Industrie nicht bereit, Absolventen mit beliebigen, marktfernen Qualifikationen

aufzunehmen.

Dennoch ist unbestritten, daß die Datenverarbeitung - qualitativ hochstehende Ausbildung vorausgesetzt - auch für Umschüler noch immer beste Chancen bietet. Dies belegt auch die aktuelle Arbeitsmarktanalyse der SCS Personalberatung Hamburg. Im Jahresvergleich 1988/89 ergibt sich für den Bereich Organisation/Datenverarbeitung eine überdurchschnittliche Steigerungsrate von 20 Prozent.

Während Dostal noch das "Ende des Booms" hinterfragte und zusammenfassend schrieb: "Alle diese Argumente lassen einen Einbruch in der Beschäftigung für Datenverarbeiter als wenig plausibel erscheinen", machten sich einige Journalisten keine große Mühe, suchten und fanden selbstverständlich Kritiker und mit ihrer Umschulung Unzufriedene. Schon war das Thema eingekreist: "Absturz aus hochfliegenden Träumen", "AFG-Gelder werden sinnlos vergeudet", so und ähnlich lauteten die Überschriften. Ausbildungsinstitute und Arbeitsämter wurden angeklagt, sie würden mit den Sozialversicherungsgeldern leichtfertig umspringen.

Der Rubel rollt

Zweifellos haben sich zu Zeiten, in denen die Gelder der Qualifizierungsoffensive sprudelten, auch einige "Dünnbrettbohrer" unter die DV-Ausbilder gemischt. Mit Billigdozenten, veralteter Hardware und mit häufig nichtlizenzierter Software schulten sie munter darauflos. Hauptsache, das ganze hatte mit Computern zu tun. Waren die Inhalte auch offenkundig veraltet bis hin zu hanebüchenem Unsinn, der Rubel rollte trotzdem.

Für Umschüler, die selten genügend Marktkenntnisse mitbringen, um die Qualität eines Angebotes beurteilen zu können, ist und bleibt dies das Hauptproblem: Hinter wohlklingenden Abschlußtiteln verstecken sich nur zu oft simple bis unbrauchbare Lehrinhalte. Die Absolventen haben es dann auszubaden. Das bittere Erwachen folgt bei der Jobsuche.

Die geschilderten Diskussionen veranlaßten das Arbeitsamt München, Vertreter von Software-Unternehmen, Universitäten und privaten Schulungseinrichtungen zu einem Gespräch an einen Tisch zu holen. Diese in der Bundesrepublik bisher einmalige Initiative des Münchener Fachvermittlungsdienstes (FVD) ist mehr als verständlich, wenn man bedenkt, daß die Bundesanstalt jährlich zirka sechs Milliarden Mark für Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen aufwendet.

Es ging vor allem um den Vorwurf, die Arbeitsämter würden Maßnahmen finanzieren, die an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes vorbeigingen. Werner Brendli, Berater beim Fachvermittlungsdienst und Organisator der Veranstaltung: "Für unsere Arbeit war es wichtig, Vertreter mit unterschiedlichen Standpunkten und vor allem Repräsentanten der Unternehmen gemeinsam über dieses Thema diskutieren zu lassen. Wir wollten erfahren, was an den Vorwürfen dran ist".

Mangelnder Praxisbezug bei vielen Hochschulen

Keinerlei grundsätzliche Kritik an den Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen sowie an deren Absolventen kam von den Softwarehäusern. Tatsächlich wird, wie auch Werner Dostal vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung betonte, die DV-Arbeitswelt mittlerweile sehr stark von Personen geprägt, die an einer derartigen Fortbildung oder Umschulung teilgenommen haben.

Probleme, so Dostal, entstünden eher für Universitäts- oder Fachhochschulabgänger, die häufig Schwierigkeiten hätten, sich in die Berufswelt zu integrieren. Unter anderem bereite ein mangelnder Praxisbezug der Hochschüler den Softwarehäusern Sorgen. Im Gegensatz zu Fortbildungs- und Umschulungsmaßnahmen, die sich stark an den Erfordernissen des Arbeitsmarktes orientieren müssen, um den Teilnehmern einen erfolgreichen Berufseinstieg zu ermöglichen, sei das Informatikstudium sehr theorielastig. Abbruchquoten bis zu 70 Prozent seien deshalb nicht ungewöhnlich.

Professor Manfred Broy verteidigte die theoretische Ausrichtung des Universitätsstudiums, indem er die langfristigen Aspekte der Informatikausbildung an den Hochschulen herausstellte: "Wir liefern die Grundlagen für die Zukunft und bilden unsere Studenten für die nächsten 30 Jahre aus".

Mehrere Diskussionsteilnehmer klagten, wie schwer es sei, bei einer Halbwertzeit des DV-Wissens von zwei bis drei Jahren den Anschluß zu behalten. Peter Littig, Leiter der Qualifizierungsberatung beim größten unabhängigen deutschen DV-Bildungsträger, dem Control Data Institut (CDI), kritisierte in diesem Zusammenhang die staatliche Bildungspolitik. Sie schaffe es nicht, sich bei der Informatikausbildung am Bedarf des Stellenmarktes zu orientieren.

Einig waren sich die Gesprächsteilnehmer vor allem darin, daß die DV-Ausbildung, egal ob an Hochschulen oder privaten Instituten, viel stärker das Training fachübergreifender Qualifikationen einbeziehen müsse. Generell sollte vor dem Beginn der Ausbildung ein aussagefähiger Eignungstest absolviert werden, wie er bei ernstzunehmenden Instituten längst vorgeschrieben sei.

"Wir werden diese Gespräche mit Unternehmen und Experten aus dem EDV-Sektor auch weiterhin fortsetzen", versprach Dr. Rademacher, Leiter des Arbeitsamtes München, und bekundete damit ein langfristiges Interesse. Werner Brendli vom Fachvermittlungsdienst bestand darauf, daß zumindest beim Arbeitsamt München die Fortbildungs- und Umschulungsgelder gut eingesetzt seien. Schließlich fänden über 90 Prozent der auf diesem Weg Qualifizierten einen Arbeitsplatz.

Quantitäten sind gut - Qualitäten entscheiden

Soll es nicht bei gegenseitigem Schulterklopfen bleiben, muß die Diskussion weitergeführt werden. Es reicht nicht, die offensichtlichen Probleme bei der DV-Umschulung rein quantitativ zu analysieren. Die vom Bundesinstitut für berufliche Bildung (BIBB) in Berlin angeregte Qualitätsdiskussion

muß schnellstens wieder aufleben, damit endlich arbeitsmarktrelevante Qualitätsstandards für DV-Ausbildungs- und -schulungsmaßnahmen entwickelt werden. Diese Diskussion müßte von der Bundesanstalt für Arbeit - als treuhänderischem Verwalter der Beiträge der Versicherten - ausgehen.

Edgar Sauter, Projektleiter im Berliner Bundesinstitut, hat bereits einen umfassenden Katalog vorgelegt. Diesen Katalog gilt es nun in praktikable, zumindest bei jedem Landesarbeitsamt anwendbare Richtlinien zu verdichten. Dieses Instrumentarium zur Verbesserung der Qualität einer Umschulung kann in mehreren Teilschritten ausgearbeitet werden.

1. Quantitative und qualitative Analyse des regionalen Arbeitsmarktes.

Ganz grob läßt sich sagen, daß offene Stellen zu je einem Drittel über Stellenanzeigen, unternehmensinterne Wege und über das Arbeitsamt besetzt werden. Die Anforderungen, die an die Bewerber gestellt werden, sind der Arbeitsverwaltung also bereits zu einem Drittel bekannt. Die Anforderungen aus den Stellenanzeigen lassen sich problemlos aus der Zeitung erfahren. Das restliche Drittel kann man bei Expertengesprächen von den Unternehmensvertretern erfragen.

2. Erstellung von "Pflichtenheften".

Wie in anderen Bereichen längst üblich, müßten auch hier klar strukturierte Leistungsverzeichnisse als Kalkulationsbasis verbindlich vorgegeben werden. Dabei sind auch die Kriterien festzulegen, mit deren Hilfe nach dem Abschluß einer Maßnahme der Erfolg überprüft wird. Sinnvolle Curricula mit einem bewährten Mix aus Unterricht, Praktikum und praxisnahen Fallstudien wären die Basis dieser Leistungsverzeichnisse.

3. Vorgabe von Standard-Kalkulationsschemata

Damit läßt sich schnell feststellen werden, ob und bei welchen Einzelpositionen Abweichungen auftreten (sie können bei höherer Qualität durchaus gerechtfertigt sein).

4. Vergabe einer Umschulungsmaßnahme an den Anbieter mit dem wirtschaftlichsten Angebot

Die derzeitige Orientierung der Arbeitsämter an Stundensätzen führt sicher nicht zum Ziel. Durch eine Erhöhung der zugrundegelegten Teilnehmerzahl beziehungsweise durch eine Verringerung der tatsächlich geleisteten Stunden kann die Wettbewerbssituation total verzerrt werden.

5. Aktivitäten während der Durchführung der Umschulungsmaßnahme

Für diese Phase existiert bei den Arbeitsämtern ein umfangreicher Prüfkatalog, der in der täglichen Praxis allerdings kaum jemals in der geplanten Form eingesetzt wird. Stattdessen- müßten strenge Kontrollen durchgeführt werden, etwa stichprobenartige Gespräche mit Teilnehmern, nicht angekündigte Unterrichtsbesuche, Überprüfung der Praktikumsanteile, Beurteilung der eingesetzten Bildungsmittel und der Qualität der tatsächlich eingesetzten Dozenten.

6. Aktivitäten nach Beendigung einer Umschulungsmaßnahme

Hier geht es insbesondere darum, daß die Absolventen verpflichtet werden, dem Arbeitsamt Informationen über ihren weiteren beruflichen Erfolg zur Verfügung zu stellen.

Nur diese individuellen Erfolgsstatistiken können das wirkliche Bild zeigen. Geschönte Statistiken, wie einige Anbieter sie für Werbezwecke einsetzen, sind wenig hilfreich.

Gegen ein solches Vorgehen kann man einwenden, es sei zu teuer und zu aufwendig. Wer sich jedoch klarmacht, daß es allein bei den DV-Umschulungen um jährlich 600 bis 800 Millionen Mark geht, wird nicht umhin können, sie zu akzeptieren.

Es gibt natürlich eine Alternative: Das Arbeitsamt sorgt dafür, daß auf diesem Markt tatsächlich ein freier Markt herrscht. Dann werden sich Anbieter mit einem qualitativ hochstehenden Angebot, wirtschaftlicher Gestaltung und Durchführung der Maßnahmen und einem guten Teilnehmererfolg durchsetzen. Die Aufgabe des Arbeitsamtes bestünde dann lediglich darin, für eine umfassende, aktuelle und neutrale Information der Interessenten zu sorgen.

*Paul Maisberger ist Geschäftsführer der Maisberger & Partner Gesellschaft für strategische Unternehmenskommunikation mbH, München.