Der Ausgang von DV-Streitfällen bleibt jeweils unvorhersehbar

In Brasilien entscheidet das Ministerwort über Produktchance

19.01.1990

RIO DE JANEIRO - Unix, Superminis und Glasfasern hatten bei der Zulassung am brasilianischen Markt unterschiedlichen Erfolg. Möglicherweise wird die neue Regierung des Landes bei der Einfuhr und Lizenzierung solcher High-Tech-Produkte liberaler als bisher verfahren. Gute Beziehungen und gute Anwälte brauchen ausländische Anbieter aber auch dann noch, berichtet Lorenz Winter*

Auf den ersten Blick mochte es scheinen, als würden die Auf sichtsgremien des brasilianischen DV-Marktes verwandte Probleme mit zweierlei Maß messen. Kurz vor Jahresschluß 1989 nämlich errang die zur Bankengruppe Itau gehörige Firma Itautec bei der Sonderbehörde für Informatikprodukte (SEI) die Genehmigung zum Nachbau von zwei Modellen der erst kürzlich von IBM am Weltmarkt eingeführten Supermini-Serie AS/400.

Konflikt bei der Unix-Lizenzierung

Nur einen Tag zuvor jedoch untersagte der Nationale Rat für Informatik und Automatisierung (Conin), ein Gremium von Ministern und Verbandsfunktionären, der italienischen Pirelli-Gruppe die Mehrproduktion von Glasfasern in Brasilien. Dabei fällt dieses Erzeugnis strenggenommen - gar nicht unter die Bestimmungen des protektionistischen Informatikgesetzes von 1984. Und Postminister Antonio Carlos Magalhaes persönlich räumte ein, das einheimische Angebot an solchen Fasern reiche nicht zur Bedarfsdeckung.

Komplizierter als bei AS/400 und Glasfasern liegen die Verhältnisse im Streit um die Lizenzierung des Betriebssystems Unix. Dieser Konflikt brachte gleichzeitig auch eine bemerkenswerte Neuheit für die brasilianische DV-Politik: Zum ersten Mal durften die interessierten Parteien bei einer Conin-Sitzung ihre Argumente direkt vortragen, während das Gremium bisher stets hinter verschlossenen Türen aufgrund der Aktenlage Beschluß faßte. Wäre auch in Sachen Unix so verfahren worden, hätte der Conin seine Lizenzbewilligung wohl rundheraus verweigert. So aber wurde der Entscheid nur erst einmal vertagt.

Freigabe auch für einen Nixdorf-Partner

Das AT&T-Erzeugnis hatte die SEI bereits Anfang 1989 zur Einfuhr nach Brasilien durch fünf einheimische Softwarefirmen freigegeben, darunter auch der Nixdorf-Partner Labo (siehe COMPUTERWOCHE Nr. 40, S. 117). Diese Genehmigung weckte jedoch den Zorn des staatlichen Programmfabrikanten Cobra Computadores, der nach eigenen Angaben für 65 Millionen Dollar Entwicklungskosten ein "ähnliches" Betriebssystem namens Sox geschrieben hat. Cobra-Präsident Ivan da Costa Marques ging sogar noch weiter und erklärte in einem offenen Brief an den Conin: Wenn der SEI-Entscheid über die Zulassung von Unix tatsächlich in Kraft trete, verliere Brasilien "eine aus eigener Kraft geschaffene Softwaremarke und einen wichtigen Devisenbringer".

Hatte der Cobra-Chef mit soviel Eigenlob den Mund zu voll genommen? Immerhin erfüllt das Erzeugnis seiner Firma 60 Prozent der Netzwerk-Funktionen von Unix und erhielt deshalb kürzlich das offizielle Gütesiegel des X/Open-Verbundes. Trotz dieser Qualitätsbescheinigung mag der Markt es aber für ein vom technischen Standard her bereits wieder überholtes Produkt halten und stattdessen lieber doch mit dem US-Original arbeiten.

Wohl deshalb rief eines der einflußreichsten Conin-Mitglieder, Heeresminister Leonidas Pires Goncalves, zu einem auch handelspolitisch wichtigen Kompromiß in der Streitfrage auf. Sox sollte nach Ansicht des Ministers vornehmlich bei Kunden der öffentlichen Hand installiert werden, Unix dagegen in der Privatwirtschaft. Auch gegen diese Empfehlung gab es aber hinhaltenden Widerstand von Seiten des konservativen Flügels im Fachverband Abicomp. Läßt sich also der von Pires Goncalves vorgeschlagene Kompromiß in den nächsten Wochen nicht irgendwie juristisch festzurren, muß die neue Regierung Brasiliens wiederum in den Streit eingreifen.

Auch Unix erhält eine faire Chance

Nach der Wahl Fernando Collors zum Staatspräsidenten kann dabei zwar angenommen werden, daß Unix späterhin eine faire Chance zur Bewährung erhält. Collors Technologie-Berater Eyaldo Alves jedenfalls meinte kürzlich, daß es "hierzulande noch kein ausreichendes Angebot an hochentwickelter Software gibt und daher ein ungesättigter Bedarf auch an Importerzeugnissen dieser Branche besteht". Nur würde sich die definitive Zulassung von Unix bei einer erneuten - und diesmal günstigen Conin-Prozedur wahrscheinlich noch bis Ende 1990 hinschleppen.

Gelaufen sind die -Dinge dagegen für Itautec und seinen Lizenzgeber IBM. Ab dem zweiten Halbjahr 1990 wollen die Brasilianer zwei Modelle der Baureihe AS/400 am Markt einfuhren; "Big Blue" sorgt für Personalschulung, technischen Kundendienst beim Start und Nachschub an bestimmten Bauteilen, die nicht in Brasilien hergestellt werden. (In etwa drei Jahren sollen die AS/400-Modelle zu 85 Prozent aus nationaler brasilianischer Fertigung entstehen.)

Itautec will in den nächsten fünf Jahren 65 Millionen Dollar in den Lizenzbau investieren herauskommen sollen während der gleichen Zeit Umsätze von etwa einer halben Milliarde Dollar. Stückzahlenmäßig wirkt der Deal freilich eher bescheiden: 1990 würden bestenfalls 50 Geräte installiert, in den kommenden fünf Jahren insgesamt vielleicht 1000.

Dennoch besitze der Vertrag mit IBM zwei gewichtige qualitative Vorzüge, meint Itautec-General Carlos Eduardo Correa da Fonseca: Zum einen sei es eine fast schon sensationelle Neuerung, daß IBM Vereinbarungen dieser Art und für Produkte dieses Standards in Brasilien und anderen Teilen der Welt Oberhaupt abschließe. Und zum anderen bekomme Itautec damit kurzfristig Zugang zu einer kommerziell noch sehr jungen Technik.

Einspruch gegen die SEI-Genehmigung

Einspruch gegen die SEI-Genehmigung blieb jedoch auch hier nicht aus. Nachdem Itautec zuvor mit einem Supermini aus eigener Entwicklung am Markt gescheitert war, sei es "schon ein starkes Stück, den Fehlschlag nun nicht nur einfach nachträglich noch zu belohnen, sondern zu diesem Zweck auch die Vorschriften des Informatikgesetzes zu umgehen", rügt Antonio Didier Vianna, Präsident der Firma Microlab in Rio.

Seine eigene Firma bietet zwar keine "nationalen" Superminis an, doch gebe es andere brasilianische Unternehmen, die durch die Itautec-Lizenz geschädigt würden. Da wäre es "logischer und wirtschaftlich sinnvoller gewesen, meint der Microlab-Chef, IBM die Herstellung von AS/400 in Brasilien doch gleich selber zu gestatten. "Dann allerdings würde nicht nur das Informatikgesetz, sondern wahrscheinlich auch Itautec endgültig von der Bildfläche verschwinden", vermutet Didier Vianna süffisant.

Furcht vor der Ausrottung einer Firma oder Branche kann es freilich kaum gewesen sein, die beim dritten Genehmigungsantrag die SEI und Innenminister Joao Alves als Berichterstatter des Conin zu ihrem gemeinsamen Nein veranlaßte. Brasilien verbraucht derzeit jährlich etwa 50 000 Kilometer Glasfasern (genauer gesagt: Fasern aus optisch leitfähigem Quartz). Dabei tritt als Hauptabnehmer der staatliche Fernmeldekonzern Telebras auf.

Da der einzige einheimische Anbieter, die Firma ABC-Xtal, diese Nachfrage häufig nicht zu decken vermochte, schrieb das Postministerium schon Ende 1988 einmal eine internationale Lieferung von 35 000 Kilometern aus, die damals Philips gegen harte Konkurrenz von AT&T, Hitachi, Sumitomo, Telecom (Canada), Pirelli und Siecor (Siemens) gewann.

Italien biß jetzt auf Granit

Als die Italiener sich jetzt aber erboten, ihre vorhandene brasilianische Fertigungskapazität von (nach eigener Aussage) knapp 10 000 Kilometer pro Jahr auf 25 000 zu erweitern, bissen sie auf Granit.

Minister Alves behauptete in seinem Gutachten, Pirelli habe 1984 die damals auch nichtbrasilianischen Firmen eröffnete Chance, sich am Glasfasermarkt zu beteiligen, verfallen lassen und könne sich nun nicht nachträglich auf dieses Recht berufen.

Dieses Argument weist Ludgero Pataro, technischer Direktor der brasilianischen Pirelli-Tochter, mit dem Hinweis zurück, sein Unternehmen habe ja "schon vor Erlaß des Informatikgesetzes von 1984 einheimische und ausländische Kunden in Brasilien mit Glasfasern beliefert".

Pirelli will in die Berufung gehen

Da diese Tatsache wohl auch Minister Alves bekannt war (und Glasfasern eigentlich kein DV-Produkt sind), zog er sich in seinem Gutachten schließlich auf die Floskel zurück, solche Fasern gälten in allen Ländern mit entsprechenden Herstellungskapazitäten als "strategisches" Erzeugnis und ihre Produktion werde vielfach staatlich beaufsichtigt. Brasilien bilde in diesem Punkt also keine Ausnahme.

Pirelli will gegen den SEI- und Conin-Entscheid vorsorglich erst einmal juristische Berufung einlegen. Pattaro: "Wir gehen, wenn nötig, durch alle Instanzen, um unserer Auffassung Recht zu verschaffen. "Insgeheim hoffen die Italiener aber wohl, daß die nächste Regierung sich genau wie im Streit um Unix vielleicht noch erweichen läßt.