Agiles Führen

In agilen Projekten müssen Führungskräfte loslassen

06.05.2015
Von 
Alexandra Mesmer war bis Juli 2021 Redakteurin der Computerwoche, danach wechselte sie zu dem IT-Dienstleister MaibornWolff, wo sie derzeit als Head of Communications arbeitet.
Viele agile Projekte scheitern daran, dass sie nicht mit Unternehmensstrukturen, die auf Befehl und Kontrolle basieren, vereinbar sind. Wer die Vorteile von Scrum für seine Organisation nutzen will, muss Führung neu denken.

Fingerspitzengefühl nennt Martin Sturzenhecker als wichtigste Kompetenz, die eine Führungskraft in agilen Projekten braucht. Sturzenhecker befasst sich seit sechs Jahren mit Scrum und anderen agilen Entwicklungsmethoden und leitet bei der Münchner IT-Beratung MaibornWolff den Bereich ­Agile Consulting und Engineering.

15 Minuten täglich tauschen sich Martin Sturzenhecker (rechts im Bild) und sein Scrum-Team über den Projektstatus aus: Was haben wir gestern geschafft? Was steht heute an? Wo braucht jemand Hilfe?
15 Minuten täglich tauschen sich Martin Sturzenhecker (rechts im Bild) und sein Scrum-Team über den Projektstatus aus: Was haben wir gestern geschafft? Was steht heute an? Wo braucht jemand Hilfe?
Foto: MaibornWolff

Ob beim täglichen Meeting (Daily Standup) oder bei der Retrospektive am Ende eines jeden Sprints, in agilen Projekten tauschen sich die Teammitglieder ständig aus. Fortschritt und letztlich Erfolg eines Projekts hängen auch davon ab, ob die Teammitglieder offen sagen können, was schiefläuft oder wo sie Hilfe brauchen. Gemeinsam gilt es zu überlegen, was im Projekt besser gemacht werden kann. "Als Moderator braucht der Scrum Master viel Fingerspitzengefühl. Er muss auch mal Aussagen entschärfen und positiv ummünzen", sagt Sturzenhecker. Ein Scrum Master steuert das Gespräch weniger durch Vorgaben als durch Moderation, er stellt die Sache in den Vordergrund und nimmt jedes Feedback ernst.

Programmieren im Doppelpack

Aber nicht nur hinsichtlich der Kommunikationskultur funktionieren agile Entwicklungsprojekte anders, auch die Herangehensweise und die Arbeitsauffassung der Teammitglieder unterscheiden sich deutlich von herkömmlichen Vorgehensweisen. Statt einer stark arbeitsteiligen Organisation, in der Spezialisten nur ihr Teilgebiet im Blick haben, schauen die Mitglieder agiler Teams nach links und rechts, sprechen mit Fachabteilungen oder programmieren sogar zu zweit, um bessere Lösungen zu erreichen und voneinander zu lernen. Dazu Sturzenhecker: "Mit einer agilen Organisation opfert man einen Teil der Effizienz der Arbeitsteiligkeit. Stattdessen verteilt man das Wissen auf viele Köpfe und erreicht kürzere Durchlaufzeiten und Time-to-Market."

Martin Sturzenhecker, MaibornWolff: „In einer agilen Organisation müssen Führungskräfte nicht mehr jede Kleinigkeit selbst steuern. Stattdessen ver­trauen sie dem Team, dass es die Auf­gabe hinbekommt.“
Martin Sturzenhecker, MaibornWolff: „In einer agilen Organisation müssen Führungskräfte nicht mehr jede Kleinigkeit selbst steuern. Stattdessen ver­trauen sie dem Team, dass es die Auf­gabe hinbekommt.“
Foto: MaibornWolff

Schon oft hat der Manager im Einsatz bei Kunden erlebt, dass Menschen hinter arbeitsteiligen Strukturen verschwinden, nicht greifbar sind und sich dadurch die Prozesse verlang­samen. Noch zäher wird die Angelegenheit, wenn die Spezialisten in Indien oder anderswo sitzen und Ticket-Systeme jede persönliche Abstimmung verhindern. "In agilen Projekten haben alle nicht nur ihre Aufgabe, sondern auch das große Ganze im Blick. Sie fühlen sich verantwortlich für das Ziel und brennen dafür. Dadurch, dass wirklich alle Spezialisten zusammenarbeiten, entsteht echte Teamleistung", sagt Sturzenhecker. "Man ärgert sich schon auch mal, aber man wirft die Aufgabe nicht zum Nächsten über den Zaun, sondern packt mit an, um ­Ärgernisse ­gemeinsam aus dem Weg zu schaffen."

Für die Führungskraft ergeben sich daraus mehrere Aufgaben. Zunächst gelte es, inter­disziplinäre Teams zusammenzustellen, in ­denen Entwickler mit Architekten, Testern, Konzeptern, Designern oder Redakteuren zusammenarbeiten. Zudem müssen Führungskräfte ­Freiräume schaffen, damit das Team sich eigenverantwortlich organisieren kann. Es steckt sich selbst kurzfristige Ziele, etwa für die nächsten zwei Wochen, und entscheidet, wer was in welcher Reihenfolge tut und ob zum Beispiel das neue Formular für die Web-Anwendung im Pair Programming entwickelt wird. Komplett zurückziehen darf sich die ­Führungskraft dennoch nicht, betont Sturzenhecker: "Manchmal muss ich als Scrum Master die Mitarbeiter auch vor sich selbst schützen, damit sie nicht zu viel arbeiten. ­Zumal auch der Code schlechter wird, wenn man regelmäßig 14 Stunden programmiert."

Schutzschild gegenüber Management

Als Schutzschild sollte sich ein Scrum Master auch gegenüber dem Management verstehen. Zum agilen Selbstverständnis gehört es, dass die Teammitglieder während eines Sprints, der zwischen einer und vier Wochen dauern kann, von äußeren Einflüssen unbehelligt bleiben. Fordert der CEO einen Feature-Request ein, muss er sich bis zum nächsten Sprint gedulden. Im Alltag kann man solche politischen Interventionen nicht ganz abstellen, sondern nur einschränken, räumt Sturzenhecker ein: "Loslassen ist für Führungskräfte das Schwierigste, vor allem, wenn sie bisher eine Command- und Control-Struktur gewohnt sind. In einer agilen Organisation müssen sie nicht mehr jede Kleinigkeit selbst steuern. Stattdessen vertrauen sie dem Team, dass es die Aufgabe hinbekommt. Lässt sich eine Führungskraft darauf ein, bekommt sie mehr Spielraum für andere Führungsaufgaben, etwa Mitarbeiter weiterzuentwickeln oder sich mit strategischen Fragen auseinanderzusetzen."

Für Sturzenhecker ist klar, dass "jeder seinen eigenen agilen Weg finden muss, da jede Organisation und jedes Team anders sind. Es lohnt sich, mit einer bewährten Methode wie Scrum anzufangen, ständig dazuzulernen und zu erkennen, was man besser anders macht als im Lehrbuch. Agile Methoden haben durch die Feedback-Schleifen eine Autokorrektur eingebaut."

Fünf Leitsätze zum Führen agiler Teams

Volker Maiborn, Geschäftsführer der Münchner IT-Beratung MaibornWolff, hat die Erfahrung gemacht, dass die Transformation zum agilen Unternehmen eine Führungsaufgabe ist. Manager, die mit agilen Teams erfolgreich arbeiten wollen, sollten Folgendes berücksichtigen:

Volker Maiborn, Geschäftsführer MaibornWolff: "Der Scrum Master steuert Gespräche und Meetings durch Moderation statt durch Vorgaben."
Volker Maiborn, Geschäftsführer MaibornWolff: "Der Scrum Master steuert Gespräche und Meetings durch Moderation statt durch Vorgaben."
Foto: MaibornWolff GmbH
  • Konstruktive Feedback-Kultur etablieren: Der Scrum Master steuert Gespräche und Meetings durch Moderation statt durch Vorgaben. Er macht sich eine offene und sachorientierte Haltung zu eigen und nimmt jedes Feedback ernst. Konstruktive Rückmeldungen sind die Basis, um etwas Fehlendes oder Ausbaufähiges diskutieren zu können.

  • Das richtige Team bilden: Vielfalt ist im Scrum-Team ein Schlüssel zum Erfolg. Um die Projektanforderungen gemeinsam abzudecken und mit wenig Reibungsverlust zu arbeiten, sollten neben Entwicklern auch Architekten, Tester, Konzepter, Designer oder Redak­teure eingebunden werden.

  • Führung schafft Freiraum: Ein Team- oder Abteilungsleiter, der agile Methoden lebt, schafft Freiraum, in dem sich das Team eigenverantwortlich organisieren kann. Er motiviert ­jeden Einzelnen. Statt Leistung zu erzwingen und Schlechtleistung zu sanktionieren, beseitigt er Demotivatoren, ähnlich wie der Scrum Master.

  • Den Einzelnen fördern: Ein verantwortungsbewusster Vorgesetzter erkennt individuelle Leistungsgrenzen und fördert durch aufmerksames Coaching eine realistische Selbsteinschätzung. Eigenverantwortliches Arbeiten darf auch nicht zum Vehikel für eine Unter­nehmensagenda werden, etwa indem es als Mittel zur Produktivitätssteigerung und Kostenreduzierung umdefiniert wird.

  • Brückenkopf zum Management: Der Scrum Master stärkt dem Product Owner den Rücken, wenn dieser Entscheidungen von der Business-Seite oder Geschäftsführung für den nächsten Sprint verlangt. Er übernimmt zudem Controlling- und Reporting-Aufgaben, versteht sich als Brückenkopf für die Koordination mit anderen Abteilungen und Projekten und hilft, personelle Engpässe zu überbrücken. Im Unterschied zum klassischen Projektleiter nimmt der Manager im agilen Umfeld eine moderierende, unterstützende Rolle ein.