Kolumne

"Immer wieder überraschend"

20.12.1996

Warum kommt Weihnachten immer so plötzlich? Ganz einfach, große Ereignisse werfen ihre Schatten so weit voraus, daß sie im Dunkeln verschwinden. Weil jeder weiß, daß sie stattfinden, denkt niemand darüber nach und ist schwer überrascht, wenn sie kurz bevorstehen.

Daß dieses Verhalten nicht nur für das Fest gilt, läßt sich daran erkennen, wie manche IT-Anwender auf die geplante Einführung des Euro oder das immer dringlicher werdende Jahr-2000-Problem reagieren. Sie schwanken - genauso wie beim Weihnachtseinkauf - zwischen Aktionismus und Apathie.

Microsofts Reaktion auf das Treiben von Netscape und anderen Newcomern im Internet-Markt stellt sich dagegen im nachhinein als planvoll heraus. Seitdem Bill Gates im März dieses Jahres nach einigen vergeblichen Versuchen, in diesem Geschäft Fuß zu fassen, eine Internet-Division gründete und den Microsoft Explorer in der Version 3.0 herausbrachte, weiß jeder, worauf Microsoft aus ist: Netscape und allen, die sich anheischig machen, mit Hilfe von Internet-Technologien die Dominanz des Softwareriesen zu brechen, soll das Wasser abgegraben werden.

Dieser Schlagabtausch zwischen den Redmondern und dem Rest der Branche ist nicht nur die interessanteste Auseinandersetzung des zu Ende gehenden Jahres, sondern sie hat auch Bedeutung für die Zukunft. Der aus diesen "Internet-Kriegen" hervorgehende Gewinner dürfte in den kommenden Jahren die Anwendung von IT-Technologie am stärksten beeinflussen. Dabei dienen Internet-Front-ends, -Server oder -Tools als Katalysatoren für Veränderungen. Wie groß das Potential der Internet-Technologien sein kann, beweist die schnelle Aufnahme, die Intranets in Unternehmen gefunden haben. Das hat Auswirkungen auf Applikationen, Datenbanken, Betriebssysteme und Hardware. Deshalb überrascht es kaum, wenn sich Anwender, die ihre DV-Umgebung umstellen wollen, nicht an die Verlierer dieses Krieges wenden.

Es bleibt abzuwarten, ob die bisherigen Internet-Zögerer noch kurz vor Ladenschluß erkennnen, was die Stunde geschlagen hat, oder den Anwender im nächsten Jahr ohne Internet-Gaben für sich gewinnen wollen. 1997 - bitte vormerken - ist wieder Weihnachten, und bis dahin dürften die Strukturen dieses Marktes klarer geworden sein.