Keine Frage der Hardware, sondern der Organisation

Image Processing koennte die Papierflut im Buero eindaemmen

12.03.1993

Trotz einer mittlerweile allgemein und breit eingefuehrten DV und der immerhin mildernden Wirkung von Mikrofilm-Systemen zur Eindaemmung papierener Sintfluten liegen derzeit noch rund 95 Prozent aller in Unternehmen und Organisationen anfallenden Informationen auch oder allein auf Papier vor. Bei der zu erwartenden Zunahme dieses altbeliebten Traegermediums werden die Kosten weiter in die Hoehe schnellen.

Nach Analysen des Beratungsunternehmens Andersen Consulting betragen die Aufwendungen fuer die Aufbewahrung einer einzigen DIN- A4-Seite bis zu 50 Pfennig im Jahr.

Ebenso liegen die Anforderungskosten mit fuenf bis zehn Mark pro Vorgang unerfreulich hoch. Ein weiteres Ergebnis der Andersen-Analysen ist der Befund, dass bei gleichzeitig steigenden Kosten fuer die Papierbewaeltigung die Produktivitaet im Buero zusehends abnimmt, was sich mit durchschnittlichen sechs Prozent im Jahr beziffern laesst.

Diese Gegenlaeufigkeit von steigenden Kosten und abnehmender Produktivitaet kommt freilich zu einem denkbar unguenstigen Zeitpunkt. Unternehmen sind nicht erst seit der soeben vollzogenen Eroeffnung des europaeischen Wettbewerbs mehr denn je dem Zwang ausgesetzt, sich von Konkurrenten durch mehr Kundennaehe, effektivere Betreuung und schnelleren Informationszugriff abzuheben.

Mit herkoemmlichen Mitteln koennen aber bestenfalls Kompromisse realisiert werden. Das reine Papierarchiv ist wohl endgueltig aus der Gunst der Verantwortlichen verschwunden und lediglich bei einem ueberschaubaren Informationsaufkommen ueberhaupt noch praktikabel.

Neuere technische Loesungsansaetze fuehren aber allmaehlich zu einer akzeptablen Grundlage fuer eine vorgangsorientierte Sachbearbeitung. Sie ist statt des bisher verbreiteten funktionsorientierten Vorgehens die Empfehlung und das Gebot der Stunde.

Auf die erforderlichen Schluesseltechnologien fuer ein papierarmes Buero muss nicht laenger gewartet werden: Optische Speichermedien, Laserdrucker sowie leistungsfaehige und skalierbare Netzwerkstrukturen mit Anbindung an Weitverkehrsnetze sind neben erschwinglichen Bildschirm-Arbeitsplaetzen und vielseitigen Scannern in brauchbarer Qualitaet und Leistung verfuegbar.

Aussagekraeftig ist die Musterrechnung, wonach ein Jukebox- Speichersystem von der Groesse eines Schreibtischcontainers mit 200 000 Mark Anschaffungskosten ungefaehr eine Million Seiten papierene Information aufzunehmen imstande ist. Fuer die gleiche Summe koennen jedoch nur zirka 100 000 Seiten auf herkoemmliche Weise ein Jahr lang aufbewahrt werden.

Spaetestens bei den Anforderungskosten aber liegen die Unterschiede zwischen elektronischer und papierener Bereithaltung in einem beinahe astronomischen Bereich. Hinzu kommt, dass im Unterschied zu einer lediglich komprimierten Form der Ablage digitalisierte Informationen sich auch wesentlich flexibler und vielseitiger nutzen lassen.

So sind mehrere Personen gleichzeitig in der Lage, Dokumente ueber Stockwerks- und Landesgrenzen hinweg aus dem elektronischen Aktenschrank zu holen. Der Zeitaufwand fuer das Holen und Zurueckbringen der Dokumente ist deutlich geringer.

Im Zusammenhang dieser neuen Technologien taucht der Begriff Image Processing, Bildverarbeitung, auf. Image Processing sollte jedoch nicht als modische Allroundfloskel fuer eine wie auch immer gestaltete reine Archivierungsloesung missverstanden werden. Denn man darf den zweifellos wichtigen Aspekt der Archivierung keinesfalls isoliert betrachten.

Ein haeufiges Missverstaendnis in Sachen Image Processing ist, dass es sich um ein technisches Konzept handle. Das ist jedoch ganz und gar nicht der Fall. Es sind vielmehr zunaechst und in erster Linie organisatorische Aspekte, um die es geht. Aus diesem Grund lautet die erste Frage fuer Interessenten nicht, was fuer eine Hardware- Ausstattung man kaufen sollte, sondern wie sich die organisatorischen Ablaeufe eines Unternehmens gestalten lassen.

Neben dem Aufbau eines komplexen Systems des Informations- Managements naemlich besteht das Hauptziel beim

Image Processing in einer integrierten, ganzheitlichen und automatisierten Vorgangsbearbeitung. Durch solche Workflow- Loesungen lassen sich Experten zufolge ausserordentliche Einsparungen erreichen.

Mitarbeiter von Andersen Consulting errechneten auf der Grundlage von 100 durch sie betreuten Einfuehrungen von Image Processing einen Rueckgang der Bearbeitungszeiten um bis zu 90 Prozent, der mit einer Verringerung der Gesamtkosten von bis zu 25 Prozent einhergegangen sei.

Diese Zahlen muessen jedoch richtig gelesen werden. Fuehrt man Image Processing auf separaten, isolierten Bildverarbeitungs- Stationen oder nur in begrenzten Pilotabteilungen ein, so wird man sich sicher schwer-

tun, nennenswerte Erfolge zu erzielen.

Wenn ein Sachbearbeiter beispielsweise ein Dokument auf den Bildschirm holt und danach ein Formular von Hand ausfuellen muss, dazu aber noch eine Information aus einem anderen System benoetigt, ist mehr verloren als gewonnen. Der Sachbearbeiter muss vielmehr neben Bearbeitungsvorschriften saemtliche vorgangsrelevanten Informationen elektronisch verfuegbar haben.

Um Fehlentscheidungen zu vermeiden, ist ein finanziell und auch strukturell umfassendes Projekt wie die Einfuehrung von Image Processing und integrierter Vorgangsbearbeitung sehr sorgfaeltig zu planen. Bedeutende Veraenderungen, zu denen man die Einfuehrung von Image Processing sicher zaehlen darf, bergen die Gefahr kapitaler Fehlschlaege. Ein behutsames Vorgehen liegt daher nahe. Zu bevorzugen ist ein schrittweises Vorgehen mit den Abschnitten Einsatzbewertung, Machbarkeitsstudie, Konzeption, Realisierung und Anwendungsunterstuetzung. Loesungskonzepte sind nach Branchen und Aufgaben unterschiedlich.

Ganz am Anfang aller Bemuehungen sollte nach Ansicht der Anderson- Berater eine Potential- und Nutzenanalyse stehen. Sie soll herausarbeiten, was Image Processing den einzelnen Abteilungen bringt und wie hoch der entgangene Gewinn waere, wenn es nicht zum Einsatz kaeme. Dieser erste Schritt ist so wichtig, weil er mit relativ geringem Aufwand eine fruehe Abschaetzung der Vor- und Nachteile der Umstellung ermoeglicht.

Zur Erfassung und Bewertung unternehmensrelevanter Prozesse und Prozessketten sowie papiergebundener Ablaeufe hat es sich als zweckmaessig herausgestellt, ein Projektteam zu bilden. In einem weiteren Schritt folgt die Analyse der in Sachgebiete und Teilprozesse aufgegliederten Prozessketten.

Die fuer eine Umstellung auf Image Processing prinzipiell in Frage kommenden Sachgebiete werden danach hinsichtlich Eignungs- und Zeiteinsparungs-Potential bewertet. Ersteres ermittelt man durch Vergleich mit realisierten Image-Processing-Projekten, letzteres laesst sich durch eine Kennzahlen-Analyse repraesentativer Geschaeftsvorgaenge je Sachgebiet ermitteln.

Der potentielle Image-Processing-Anwender erhaelt schliesslich messbare Resultate fuer jedes Sachgebiet und kann sich dadurch ein differenziertes Bild des moeglichen Nutzens fuer seine Organisation machen. Darueber hinaus ist es nun auch sehr einfach, die fuer die Einfuehrung vielversprechendsten Sachgebiete in eine Reihenfolge zu bringen.

Zusammenfassend laesst sich mit Bestimmtheit festhalten: Image Processing ist ein Feld mit Expansionschancen, wie sie in der DV aufgrund der starken Marktsaettigung selten geworden sind. Jaehrliche Zuwachsraten von 30 bis 40 Prozent sind mit Standardtechnologie nicht mehr zu erreichen.

* Stefan Heuel ist Geschaeftsfuehrer der Prolog Public Relations GmbH, Muenchen.