Im PPS-Bereich verdrängen DV-User oft die Wahrheit:"Computer-Erstanwender wollen betrogen werden"

15.11.1985

"Es wird in keiner Branche so viel gelogen wie in der Computerbranche", ist ein oft zu hörender Satz, der verständlicherweise von dem immer größer werdenden Heer "DV-Geschädigter" kolportiert wird. Sicherlich ist es richtig, daß es gerade in dieser Branche, wie in allen "Boom-Branchen" zu allen Zeiten, eine ganze Menge "schwarzer Schafe" gibt. Dennoch soll hier folgende provokante These gewagt und zur Diskussion gestellt werden: "Computer-Erstanwender wollen betrogen werden, oder dezenter ausgedrückt, keine Zielgruppe ist weniger an der Wahrheit interessiert als gerade diese."

Verkäufer, die diese Erstanwender betreuen und nicht mit "Halbwahrheiten" oder dem Weglassen von Wahrheiten operieren, haben oft nur wenig Chancen, zu Abschlüssen zu gelangen. Ein exemplarisches Beispiel soll die Situation aus der Sicht eines Verkäufers oder Beraters verdeutlichen: Termin bei einem dieser "Archetypen" des deutschen Mittelstandes, zirka 60 bis 65 Jahre alt . . . Pragmatiker . . . kaum Selbstzweifel, weil seit über 25 Jahren mal mehr, mal weniger erfolgreich ... durch und durch Patriarch . . . das Chefzimmer gediegen . . . vier Quadratmeter Schreibtisch . . .

Das Gespräch entwickelt sich zunächst gut: "Man muß Zukunftssicherung betreiben ... man braucht endlich auch einen eigenen Computer ..."; deshalb will man im kritischen Bereich der Fertigungsorganisation mit einem Partner arbeiten der schon viele Jahre im Markt ist. Natürlich ist man mit dem vorliegenden Angebot noch nicht ganz zufrieden . . .

Der Berater bedankt sich für das in sein Unternehmen gesetztes Vertrauen und versucht das Gespräch auf ein andere Ebene zu bringen, um klarzumachen, daß der Computer im Moment, hier seiner Erfahrung nach, noch "nichts bringt", weil eine ganze Reihe Basisvoraussetzungen fehlen.

Es folgen Ausführungen über Stücklistenstrukturen, Arbeitsplanung, Ungereimtheiten im Nummernsystem und auch über Klassifizierungsschlüssel. Aber bereits nach kurzen Ausführungen werden die Erläuterungen abrupt mit der Bemerkung unterbrochen: "Ihr Programm scheint ja unheimlich kompliziert aufgebaut zu sein, Ihr Wettbewerber hat uns da eine bedeutend einfachere Alternative geboten, bei der wir das alles so im Detail nicht benötigen und die gleichen Ergebnisse erzielen." Der Verkaufsstratege fühlt sich in seinem Element und beginnt, seine Erwiderung und Ausführung über die Grenzen und Möglichkeiten des Computereinsatzes anzubringen. Er versucht, klarzumachen; daß der Computer lediglich als Werkzeug der Organisation zu dienen hat, aber es ist offensichtlich - er ist in die Defensive geraten.

Man rettet sich dann über die letzten Minuten des Gesprächs mit dem Austausch einiger Höflichkeitsfloskeln, denn ein Neueinstieg in die Organisationsproblematik ist nicht mehr möglich.

Bei einem Telefonanruf nach etwa 14 Tagen wird dann mitgeteilt, daß man sich für einen Wettbewerb entschieden hat.

Nach einiger Zeit gehört auch dieser Kunde dem bereits angesprochenen Heer der "DV-Geschädigten" an, die permanent den Einstiegssatz dieses Artikels im Munde führen. Nun wird versucht, über das Einschalten von Juristen und das Bemühen von Gerichten doch noch "Recht" zu erhalten.

Um den hier geschilderten "Pionier-Unternehmern" nicht Unrecht zu tun, darf nicht unerwähnt bleiben daß auch mit ansonsten gut ausgebildeten "smarten" Manager-Erfolgstypen ähnliche Gesprächsverläufe gang und gäbe sind. Diese Fehleinschätzungen führen zu Investitionsruinen, die einem die "Haare zu Berge" stehen lassen, wenn man den volkswirtschaftlichen Schaden analysiert. Solche Mißkalkulationen im Computerbereich machen allein in Westdeutschland nach unserer Schätzung mehr als 10 Milliarden Mark aus.

Woher kommt nun dieses Multimilliarden-Mißverständnis? Schaltet der Nicht-Computerfachmann abends seinen Fernseher an, schlägt er seine Tageszeitung auf oder liest er einen Bericht in seiner Clubzeitschrift, er bekommt immer die Information, daß Computer in der Lage seien, alles viel besser, schneller und exakter zu erledigen als Menschen.

Denn immerhin steuern Computer zentimetergenau Space Shuttles in den Weltraum und wieder zurück und computergesteuerte Roboter die mittlerweile "denken" gelernt haben, erledigen alle Schmutzarbeit mit Bravour und ohne zu klagen.

Warum soll nun ausgerechnet ein solcher "Alleskönner" nicht auch im eigenen Unternehmen in der Lage sein, endlich die Ordnung zu schaffen, die man sich schon lange wünscht?

Deshalb ist es allzu verständlich, daß Verkäufern, die dieses Weltbild bestätigen oftmals mehr geglaubt wird als denen, die daran appellieren, daß erst nach mühsam geleisteter Vorarbeit die "Früchte" geerntet werden können.

Was ist zu tun, um nicht "betrogen" zu werden? Man muß den beschwerlichen Weg gehen, die eigene Organisation auf den erforderlichen Stand zu bringen, damit das Werkzeug Computer überhaupt nutzbar ist. Man muß darüber hinaus bereit sein, sich auf diesem Sektor nach keinem "Lieferanten" sondern rechtzeitig nach einem Partner umzusehen, der in der Lage ist, nicht nur "Bits und Bytes" zu sortieren, sondern der die organisatorischen Zusammenhänge klar sieht.

Man muß darüber hinaus auch bereit sein, für diese Partnerschaft adäquate Preise zu zahlen (das Feilschen um 1000 oder auch 5000 Mark bei der Installation der Erstanlage ist meistens tödlich für eine solche Partnerschaft).

Und last but not least sollte sich ein Erstanwender mindestens zwei Referenzen aus seiner Branche zeigen lassen, bevor er eine Partnerschaft eingeht. Nach dem Besuch in diesen Unternehmen klärt ein separates Telefonat mit dem jeweiligen Kollegen der Referenzfirma - ohne Beisein des Anbieters - oftmals eventuelle Ungereimtheiten.

Wenn sich die Erstanwender in der hier beschriebenen Weise "emanzipieren", wird das Image der DV-Branche schlagartig besser.

*Gerhard Schmitt ist Geschäftsführer der Weigang-Organisation GmbH, Würzburg.

Einige unumstößliche Wahrheiten

Nur wer die Facts, die sich bei vielen Computer-Installationen bewahrheitet haben, möglichst exakt beachtet, kann sicher sein, daß ihm der Einsatz des Computers im Produktionsplanungs- und -steuerungsbereich hilft, Geld zu gewinnen.

1. Mit dem Einsatz des Computers kann ein Unternehmen maximal zwei Organisationsstufen überspringen. Nach unserer Erfahrung kann man deutsche Betriebe heute in zwölf verschiedene Stufen einteilen. Die erste Stufe bildet die sogenannte Organisation, bei der alles auf Zurufen funktioniert, und die zwölfte Stufe ist die, bei der alle organisatorischen Regelkreise computergesteuert geschlossen sind.

2. Bevor man Abläufe DV-kompatibel gestaltet, muß man sie Hirn-kompatibel gemacht haben. Ohne den mühevollen Weg zu gehen, alle organisatorischen Abläufe auf Plausibilität hin überprüft zu haben, ist der Computer als Hilfsmittel nicht wirtschaftlich sinnvoll einzusetzen.

3. Der bisherige positive Einsatz von "klassischen" Organisationsmitteln, wie Karteien oder Plantafeln, bietet die größte Gewähr, daß der Umstieg auf Computer zügig gelingt.

4. Da der Einsatz des Computers in der ersten Stufe nicht arbeitsentlastend wirkt, sondern Mehrarbeit nötig macht, ist er erforderlich, einen Mitarbeiter für diese Arbeit freizustellen und ihn mit den Vollmachten eines verantwortlichen Projektleiters auszustatten.