E-Commerce-Modelle am Beispiel von Amazon

Im neuen Vertriebskanal Internet lauern altbekannte Probleme

25.09.1998

Das Internet weckt die Phantasie der Anleger. Hohe Geldbeträge werden in Firmen investiert, die keine Vergangenheit haben - was zählt, sind die Zukunftsaussichten. Der Web-Buchhändler Amazon ist ein gutes Beispiel für diese Entwicklung, sein Nasdaq-Börsenkurs verzehnfachte sich im letzten Jahr. Marktforscher der amerikanischen Icegroup analysierten die Amazon-Geschäftszahlen und leiteten daraus Erfolgsfaktoren für den Online-Verkauf ab.

Dazu zählt nach Meinung der Icegroup-Analysten das reine Handelsvolumen. Die Geschäftsregel, daß Verluste bei einzelnen Transaktionen durch die steigende Anzahl der Bestellungen ausgeglichen werden können, läßt sich auch auf Amazon anwenden. So konnte das Unternehmen die prozentuale Einbuße in den beiden Vergleichsquartalen bei steigenden Umsätzen zurückfahren. Bislang jedenfalls glauben die Aktionäre der Rechnung - in der Hoffnung, daß das Unternehmen irgendwann profitabel wird. Wann dieser Zeitpunkt eintritt, ist fraglich. Aus den Zahlen errechneten die Analysten den Break-even bei einem Quartalsumsatz von 235 Millionen Dollar. Wenn sich Amazon gleichbleibend entwickeln würde, ließe sich der Punkt im ersten Quartal des Jahres 2000 erreichen. Doch eine Milliarde Dollar Jahresumsatz sind nicht nur für einen Online-Buchhändler eine Menge Geld, zumal gewichtige Konkurrenten wie Barnes & Noble auf den Markt drängen. Amazon müsse folglich den Hebel bei seinen Gewinnspannen ansetzen.

Die Marge ist ein weiterer Erfolgsfaktor für den Online-Handel. Mehr als sieben Dollar verliert der Buchhändler gegenwärtig pro Bestellung, so Icegroup. Um das Problem in den Griff zu bekommen, gibt es verschiedene Ansätze: Die Kunden müßten mehr bestellen oder aber die Kosten im Unternehmen reduziert werden. Amazon hat entsprechende Schritte in beide Richtungen eingeleitet.

Der Web-Buchhändler wandelt sich inzwischen zu einem All- in-one-Shopping-Center. Neben Büchern lassen sich dort inzwischen auch CDs erwerben, andere Artikel wie Videos sollen folgen. Durch die Übernahme von Web-Dienstleistern wie Planetall und Junglee sollen darüber hinaus die Käufer auf der Homepage zusätzlichen Mehrwert erhalten. Dabei läuft die Firma jedoch Gefahr, daß ihre Kunden nicht mehr Artikel, sondern mit dem gleichen Budget lediglich andere Waren kaufen.

Stand bei den bisherigen Erfolgsfaktoren der Kunde im Mittelpunkt des Interesses, betrifft der nächste Punkt allein das Unternehmen. Die IT- und Logistikkosten werden von vielen E-Commerce-Firmen unterschätzt. Es reicht nicht aus, lediglich in Hard- und Software für den elektronischen Handel zu investieren. Die laufenden Aufwendungen für den Vertriebskanal sind hoch, zusätzlich drücken neue Preismodelle auf die Einnahmen. Ferner haben die Kosten für Partnerschaften und Werbung im Web, zumindest in den USA, inzwischen astronomische Höhen erreicht.

Schwerer wiegt nur noch der logistische "Alptraum", so die Analysten der Icegroup. Durchschnittlich 26000 Bestellungen pro Tag fallen bei Amazon an, was dazu geführt hat, daß der Posten eines Chief Logistics Officer geschaffen wurde. Zu seinen Aufgaben zählen die Kontrolle der Bestellungsaufnahme, der Auslieferung und der Zahlungsabwicklung ebenso wie die Bestandsverwaltung. Gerade Start-up-Companies, die im Internet direkt an den Endverbraucher verkaufen, seien hier auf erfahrene Manager aus dem Einzelhandel angewiesen.

Neu sind die Probleme nicht, mit denen Online-Händler konfrontiert werden. Weder Unternehmen noch Investoren dürfen den Implementierungsaufwand unterschätzen, denn ein Rechner und die passende Software-Suite machen noch kein E-Business. Gelingt es, zumindest einige Faktoren zu kontrollieren, kann das Geschäft im Internet nach Aussage der Icegroup florieren. Bewältigt ein Unternehmen den Sprung, verfügt es über eine gute Ausgangsposition für das nächste Jahrtausend.

Abb: Laut Icegroup gingen fast 2,4 Millionen Bestellungen im zweiten Quartal 1998 auf der Web-Site von Amazon ein. Allerdings sind schwarze Zahlen noch nicht in Sicht. Quelle: Icegroup