Euro-Umstellung

Im Namen der Einheit: Ein Großprojekt mehr

28.11.1997

CW-Bericht, Ludger Schmitz

Wer nach einer handfesten Bestätigung für die beginnende Umstellung auf den Euro forscht, braucht zumindest in grenznahen Städten nicht lange zu suchen. In München finden sich beispielsweise immer mehr Geldautomaten, die neben der Mark auch Schilling, Franken oder Lire ausgeben. Die zweite Währung wird in einigen Jahren nicht mehr die eines Nachbarlandes sein, sondern der Euro.

Die Möglichkeit, nach Belieben mit der Heimwährung oder dem Euro umzugehen, ist ein wesentlicher Schritt bei der Umstellung auf das neue westeuropäische Einheitsgeld. Der Schritt ist erforderlich, weil wohl nicht nur "die Oma in Husum" Schwierigkeiten hätte, von heute auf morgen im Alltag mit den neuen Münzen und Scheinen zu haushalten. Wie nicht anders zu erwarten, macht diese Erleichterung an anderer Stelle einen Kraftakt notwendig.

Rund 14 Milliarden Mark dürfte die Umstellung nach einer Schätzung des Europäischen Bankenverbands allein die Finanzinstitute kosten. Neue Geldautomaten, neue Formulare, Mitarbeiterschulungen etc. bilden dabei noch den geringsten Kostenpunkt. Über die Hälfte der Summe, 7,6 Milliarden Mark, gehen ausschließlich für die Anpassungen und Umstellungen in der informationstechnischen Infrastruktur drauf.

Die Dresdner Bank beziffert ihre Kosten für die Euro-Umstellung mit rund 150 Millionen Mark, auch hier entfällt der Löwenanteil von 54 Prozent auf die DV-Maßnahmen. Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp spricht von rund 200 Millionen Mark Gesamtaufwand, um erstmals 1999 einen Geschäftsbericht in der neuen Währung vorzulegen. Für ihn kein Grund zu klagen; denn er rechnet damit, dank Euro künftig jährlich 100 Millionen Mark einsparen zu können: vor allem weil im europäischen Geschäft Verluste durch Devisenumrechnungen und -schwankungen entfallen.

Die Zustimmung zum Euro teilen in der Wirtschaft längst nicht alle. Viele Unternehmen werden sich auf die neue Währung vor allem deswegen einstellen, weil ihre Großkunden es mehr oder minder explizit verlangen. Wenn ein Automobilhersteller wie Daimler-Benz ankündigt, das Rechnungswesen auf den Euro umzustellen, zwingt er mehr als 1000 Zulieferfirmen auf denselben Kurs.

Doch der Mittelstand hat in der Regel nicht so ausgeprägt internationale Geschäftsbeziehungen wie einige Großkonzerne. Entsprechend weniger optimistisch sind bei gleichwohl hohen Umstellungskosten die Hoffnungen auf Einsparungen. Und entsprechend geringer ist das Interesse am Euro, wie eine Umfrage bei mehr als 25000 deutschen Unternehmen belegt.

Die Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHT) ergab, daß Anfang dieses Jahres erst ein Fünftel der Unternehmen mit der Vorbereitung auf den Euro begonnen hatten. Nur jedes zehnte Unternehmen mit weniger als 200 Beschäftigten hat Umstellungsmaßnahmen eingeleitet, bei den Firmen mit mehr als 1000 Angestellten sind es hingegen 40 Prozent. Je kleiner der Betrieb, desto eher wünschen sich die Chefs, der Euro möge gar nicht oder wenigstens später kommen.

Mittelstand im Sog der Multinationalen

Immerhin ist das "Euro-Wissen" unter Managern in letzter Zeit deutlich gestiegen. Der Sog der Entwicklung bei großen Unternehmen zeigt Wirkung. Übereinstimmend berichten alle Marktforschungsunternehmen, daß sich die Verantwortlichen in den Firmen zunehmend als hinreichend informiert sehen. Inzwischen findet, wie beispielsweise Ergebnisse der Meta Group und von Neaman Bond Associates (NBA) belegen, der Euro unter deutschen Managern eine mindestens ebenso hohe Aufmerksamkeit wie das DV-Problem der Umstellung von zwei- auf vierstellige Jahreszahlen.

Solch ein Ergebnis ist auf den ersten Blick einigermaßen erstaunlich. Schließlich würde eine verspätete Umstellung auf die neue Währung allenfalls bessere wirtschaftlichen Aussichten verbauen. Wer sich aber zwei Nullen statt der Jahreszahl 2000 in seinen Computersystemen erlaubt, riskiert mit einiger Wahrscheinlichkeit, sein ganzes Unternehmen auf Null zu fahren. Doch für den Euro wirkt eine einfache, aber höchst zugkräftige Motivation: das Geld.

Der Jahresbonus ist nun einmal wichtiger als der Glückwunsch zum Geburtstag. Der Euro bringt was, die Jahreszahlen-Umstellung gilt, so Meta-Group-Analyst Robert Schafer, als "notwendiges Übel", als ärgerlicher Kostenfaktor.

Dabei scheinen manche Zahlen zunächst das Gegenteil zu belegen. So bekundeten in einer europaweiten NBA-Umfrage drei Viertel der IT-Verantwortlichen, zum Problem 2000 eine Strategie zu haben, was in puncto Euro nur 35 Prozent bejahten. Doch die Zahl der Euro-Abstinenzler in der DV ist in den Ländern außerordentlich hoch, die nicht zum Teilnehmerkreis der ersten Stunde gerechnet werden, nämlich in Großbritannien, Dänemark, Italien und Spanien.

In Deutschland hingegen behaupten mehr als die Hälfte der Anwender, eine Strategie für die Umstellung auf den Euro zu haben. Ähnlich das Ergebnis in der Gewichtung der Aufgaben: Europaweit gilt das Problem 2000 bei 54 Prozent als wichtiger als der Euro (zwölf Prozent), hierzulande fühlt sich nur die Hälfte (27 Prozent) vom Doppel-Null-Problem mehr bedrängt.

Analog fallen die Zahlen beim Stand der Arbeiten in Sachen Euro und Problem 2000 aus. Europaweit haben mehr Unternehmen mit Umstellungen der Jahreszahlen (41 Prozent) als der Währungseinheiten (21 Prozent) begonnen. Auffälliger Unterschied: Beim Euro behaupten gleich 47 Prozent der deutschen IT-Verantwortlichen, über die Planungsphase hinausgekommen zu sein. 14 Prozent wollen das Projekt schon abgeschlossen haben, in anderen Ländern sind es acht Prozent.

Solche Zahlen dürften auch wirtschaftliche Verhältnisse und Interessen widerspiegeln. Deutsche Unternehmen haben im europäischen Vergleich eine relativ ausgeprägte Exportorientierung. Sie versprechen sich vom Euro Gewinne durch geringere Währungsverluste. Ähnliches würden beispielsweise Detailzahlen über die Einstellungen in der französischen Industrie zeigen. Je Export, desto Euro - auch in Sachen DV.

Die vorliegenden Angaben weisen aber noch auf zwei weitere Aspekte hin: Zum einen konkurrieren inzwischen zwei DV-Projekte um die Budgets, die Jahr-2000- und die Euro-Umstellung. Zum anderen ist auch in puncto Euro die Zahl der Unternehmen erschreckend hoch, die erst in der Anfangsphase der Umstellung stecken. Laut Meta Group haben in Deutschland 13 Prozent der Unternehmen noch gar nichts unternommen.

Auffallend ist ebenfalls die regelmäßig hohe Zahl der "Weiß nicht"-Antworten bei detaillierteren Fragen in allen Erhebungen. NBA weist ausdrücklich auf "Unstimmigkeiten" in den Anworten hin. So hatten drei Viertel der Befragten angegeben, über eine Strategie zu verfügen, aber nur ein Viertel wußte, wieviel Programmcode betroffen sei. Da sich weitere Widersprüche dieser Art finden, ist laut NBA anzunehmen, daß die tatsächliche Kenntnis der Probleme viel geringer als angegeben ist.

Denselben Befund hat die Meta Group gemacht. Das Urteil: "Sich selbst ein schlechtes Zeugnis auszustellen liegt offensichtlich nicht im Sinne der befragten IT-Verantwortlichen." Ihre Analysten kommen zu einem ähnlichen Schluß wie die von Neaman Bond Associates: Der Euro und das Problem 2000 werden gleichermaßen unterschätzt.

Was da mit dem Euro auf die europäischen Unternehmen und Verwaltungen zugerollt kommt, werde für die tatsächlich, so erläuterte die Gartner Group vor wenigen Wochen anhand neuer Untersuchungen auf einer Konferenz in Cannes, "genauso teuer wie das Jahr 2000". 116 Milliarden Dollar nämlich soll allein die DV-technische Umstellung auf die künftige Einheitswährung kosten - wobei die Ausgaben für PC-Umgebungen nicht einmal mitgerechnet sind.

Die Gartner-Studie bestätigt die früheren Befunde anderer Marktforschungsunternehmen: Die Aufmerksamkeit für das Euro-Problem lasse trotz aller Fortschritte sehr zu wünschen übrig. Finanziell und personell stünden die IT-Abteilungen vor einer "challenge". 70 Prozent von ihnen meinen, weitere DV-Spezialisten einstellen zu müssen, aber 50 Prozent klagen jetzt schon über unbesetzte Stellen. Wer wie der öffentliche Dienst besonders Altlasten-befrachtete und unmoderne Umgebungen habe sowie kaum flexible attraktive Gehälter anbieten könne, so die Analysten, werde als erster vom Zug fallen.

Die IT-Abteilungen seien mit den Arbeiten zur Bewältigung der Euro-Umstellung dermaßen überlastet, daß es bei kurzatmigen Notmaßnahmen bleibe. Es reiche am Ende nicht einmal, um angemessene DV-Programme zu schreiben, mit denen sich die wirtschaftlichen Möglichkeiten aus der Einheitswährung nutzen ließen. Dies könnte nach dem bisherigen Schlingerkurs der Euro-Einführung und neben zahlreichen terminlichen und legislativen Unwägbarkeiten ein weiteres dazu beitragen, das Vertrauen in die Währung a priori zu erschüttern.

Die Gartner Group warnt - wie die Mehrheit von DV-Beratern und erfahrenen Projektleitern (siehe auch Praxisserie in CW Nr. 44, Seite 47, Nr. 45 Seite 70 und Nr. 46 Seite 67) - davor, die Umstellungsprojekte Euro und 2000 miteinander zu verknüpfen: "Dies wird die Kosten und die Risiken aufgrund der unterschiedlichen Projektcharakteristika erhöhen."

Gartner-Analyst Nick Jones warnt vor Fehlern der Väter: "30 Jahre IT-Entwicklung haben schmerzlich vor Augen geführt, daß das Risiko eines Projekts eine nichtlineare Funktion seiner Größe ist. Wachsende Projektgröße und zunehmende Implementierungszwänge machen Ausrutscher wahrscheinlicher." Die beiden Aufgaben seien "nicht einmal ähnliche Projekte". Selbst Teilabschnitte und Tools seien über enge Grenzen, zum Beispiel Datenbank-Reorganisation und Scanning, hinaus nicht in beide Richtungen zu nutzen.

Jones empfiehlt im Zwiespalt zwischen Jahr-2000- und Euro-Projekten "Verhandlungen", wenn auch recht einseitige: "Das Jahr 2000 ist absolut nicht verhandlungsfähig, während die Details der europäischen Währungsunion und sogar ihr ganzer Zeitplan in Diskussionen zwischen Industrie und Regierungen modifiziert werden könnten..

Kein Euro-PC

Die Umstellung auf den Euro trifft die PC-Gemeinde - anders als beim Problem 2000 - nicht weniger hart als die Mainframer und Midranger. Schon auf den ersten Blick: Auch auf den neuen Windows-95-Keyboards gibt es keine Taste mit dem Euro-Symbol, einem zweifach gestrichenen großen C. Druckern mit internen Schriftfonds könnte das Zeichen fehlen. Aber vor allem in der Software stellen sich dieselben Probleme wie in größeren Rechnern.

Damit ergeben sich auch für die PC-Klientel dieselben Aufgaben wie andernorts: Problemeinschätzung, Risikoanalyse, Planung, Budgetierung, Modifikationen, Konvertierung von Altdaten, Neuinstallationen, Testläufe und Anwenderschulung stehen auf dem Programm. Und das mit einem Nachteil: Änderungen lassen sich oftmals nicht von einer zentralen Institution aus durchführen. Die PCs sind häufig in ein und derselben funktionalen Abteilung so anwenderspezifisch konfiguriert, daß die Aussicht auf Programmkollisionen beträchtlich ist. Dies läßt sich nur durch eine intensivere Einbeziehung der PC-User einschränken.

Die Gartner Group hat ausgerechnet, daß (bei einem Basisansatz von 2500 PCs) die Kosten pro Arbeitsplatz je nach Ausstattung zwischen mindestens 147 und 745 Dollar liegen dürften.

In neueren Microsoft-Programmen findet sich ein das Euro-Symbol im "Insert"-Menü. Es läßt sich bei Word mit einer Tastaturkombination belegen und per Affengriff aufrufen. Es hat das "Unicode assignment" 20AC. Microsoft will das Symbol den Win- dows-Codepages hinzufügen. Informationen unter http://www.microsoft.com/typography/faq/.