Für Big Blue ist jede seiner Midrange-Linien unverzichtbar\

Im Midrange nichts Neues - IBM bleibt ihren Linien treu

06.11.1992

Getrennt marschieren, vereint schlagen. Mit dieser Strategie und vier verschiedenen Produktlinien versucht IBM, den zersplitterten Markt der Mittelgewichts-Rechner zu erobern. Auch wenn diese sich dabei gegenseitig ins Gehege kommen, wird sich daran so schnell nichts ändern, glaubt Joachim H. Niedereichholz *.

Zwei grundsätzliche Tatsachen beherrschen die Unternehmenspolitik von IBM bei den Midrange-Systemen:

Erstens: Das System AS/400 war und ist als Nachfolger der S/38- und S/36-Systeme weiterhin der Kern des Angebotes. Dies wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern.

Zweitens: Die interne Konkurrenz ist mit ES/9000 (bis dato: 9370), RS/6000 und PS/2 zu stark ausgeprägt. Auch dies wird sich vorerst nicht ändern.

Die AS/400 - Wunderkind, Selbstläufer und Goldesel

Das System AS/400 hat sich in seinem dritten Lebensjahr (nach dem Vorleben als S/38) und mit seinen etwa 100000 Installationen weltweit gut etabliert - gut im Vergleich zu den Installationszahlen anderer Anbieter (außer DEC) weniger gut im Vergleich zu der ursprünglichen Vorgabezahl von etwa 300000, die nicht eingehalten werden konnte.

Bekanntlich ist die Umstellung von einem S/38 auf eine AS/400 wegen der großen Ähnlichkeit der Systemarchitektur bedeutend einfacher als die von einem S/36. Deshalb hat die S/38-Kundschaft bereitwilliger und in höherem Prozentsatz bereits Umgestellt als die S/36-Kundschaft. Genaue Zahlen erhält man natürlich nicht, doch stehen immer noch zehntausende S/38-Installationen und ein Vielfaches an S/36-Installationen an, um in die weit geöffneten Arme der AS/400-Welt auf genommen zu werden.

An diesen Armen vorbeizukommen ist schwer. Ihnen zu entgehen, falls man sie etwa als eine Art Krakenarme sehen würde, erfordert Mut - zum Beispiel den Mut zu Unix. Die Frage zu welchem denn kann im Augenblick noch klar beantwortet werden: System V.4 hat einen eindeutigen Vorsprung vor den noch nicht existierenden OSF-Angeboten.

Bislang jedoch ist es nur eine Minderheit von Unix-Dissidenten aus der S/3X-Welt, die den Armen der AS/400 entgeht und sich eine neue herstellerunabhängigere DV-Landschaft aufbaut.

Man braucht nicht IBMs Chefstratege oder Professor der Wirtschaftsinformatik zu sein, an sich braucht man nur einen klaren Verstande um zu folgern, daß sich IBM diesen Ast nicht absägen wird.

Wenn noch zigtausende Kunden automatisch den Weg zur AS/400 finden werden, braucht IBM eigentlich gar nichts zu tun. Da dies in unserer hyperaktiven DV-Welt verboten ist, muß man Action zeigen: Arrondieren, ergänzen, Trampelpfade anlegen, mächtig viel ankündigen und damit die Benutzer und Interessenten so beschäftigt halten, daß sie keine mehr Zeit finden, über andere Lösungen nachzudenken.

Migrationspfade zeigt man zum Beispiel mit den drei 9402-Modellen - AS/400 C04 und C06 sowie AS/Entry Y10 - wovon das Y10-Modell eine verkappte S/36 mit einem 5363-Prozessor ist, das unter SSP, Release 6, zum Einsatz kommt und sich durch Board-Austausch in eine C06 umrüsten läßt, die dann nur OS/400 oder SSP im Emulationsmodus unter OS/400 fahren kann.

Diese Modelle ersetzen die B10 und B20, so wie die C25- und C35-Modelle die B30 und B40 ersetzen. Modell 70 kann nun mit 192 MB statt 96 MB Hauptspeicher ausgeliefert werden - ein schönes Beispiel, die Flexibilität und Ausbaufähigkeit und damit die Zukunftsträchtigkeit der AS/400 zu demonstrieren. Wegen der von Anfang an auf 48 Bit ausgelegten Adresse kommt auch niemals die Gefahr eines Extended Addressing auf oder die Notwendigkeit einer XA - und schon gar nicht die Notwendigkeit einer nochmaligen Erweiterung der XA in Form von ESA.

Alles perfekt also - auf absehbare Zeit entstehen IBM kaum Kosten bei der AS/400-Truppe, um beispielsweise Grundgegebenheiten der Basisarchitektur zu ändern; alles geschieht außen herum, im SAA-Rahmen. Warum sollte Big Blue ein so adrett und zukunftsträchtig gebautes System aufgeben? Es gibt absolut keinen Grund dafür und so sollte man die AS/400 als einen langfristigen Bestandteil der IBM-Welt ansehen.

Während die AS/400-Systeme 1989 mit etwa einer Milliarde Dollar beachtlich viel zu IBMs Nettogewinn von knapp vier Milliarden Dollar beigetragen haben, kann man Vergleichbares von den RS/6000- oder deren Vorgängermodellen 6150 nicht gerade sagen: Allzu bescheiden und für IBM-Verhältnisse nahezu beschämend waren die knapp 1,8 Prozent Marktanteil an dem boomenden RISC-Workstation-Markt - und dies, obwohl man das RISC-Prinzip erfunden hat!

Dies ist ungerecht und höchst bedenklich. Also muß man Zeichen setzen, zum Beispiel durch ein Preis-Leistungs-Verhältnis, das den Suns, HPs, Mips und DECs so die Sprache verschlägt, daß sie möglichst nicht mehr akquirieren können. Wiederum gehört keine übermenschliche Geisteskraft dazu, sich die Entscheidungslandschaft vorzustellen: Wenn der RISC-Markt blüht, die 6150 aber nicht, dann gibt man entweder auf oder man gibt Gas. Ein gutes Preis-Leistungs-Verhältnis wirkt aber auch als Verstärkung der internen Konkurrenz, weshalb man die 6000-Systeme hauptsächlich auf die technisch-wissenschaftliche Vertriebsschiene setzt, und ganz behutsam nur auf die für betriebswirtschaftliche Anwendungen. Nun gibt es aber heutzutage mehr gute und bedienerfreundliche Unix- und AIX-Anwendungspakete, als man sich vorfahren vorstellen konnte, so daß nicht mehr zu verhindern ist, daß manch ein Anwender sich dieser Möglichkeit zuwendet. Das ist zwar immer noch besser, als wenn er zur Konkurrenz ginge, aber durchaus bedenklich, wenn der VB ausgesandt wurde, eine kleinere ES/9000 loszuschlagen und statt dessen mit einem RS/6000-Auftrag zurückkehrt. Man muß dann versuchen, die Produktlinien noch besser zu separieren (aber auch gleichzeitig zu integrieren). Dies wird bereits sehr geschickt praktiziert, geschickter jedenfalls als bei vielen Konkurrenten: In ein Netz von mehreren installierten 6000-Systemen kann man doch zum Beispiel eine AS/400 als Nicht-Unix-Datenbankserver stellen, der Unix-Systeme bedient; man muß eben den Weg der Interoperabilität gehen.

Wir kommen zurück zum Stichwort "Gas geben", das uns zu der Aussage bringt, daß die gerade gestarteten 6000-Systeme zusammen mit den intensiven OSF-Bemühungen dem IBM-RISC-Projekt sicher eine lange Lebenszeit bescheren und keinesfalls die interne Konkurrenz verringern helfen.

Ein weiterer Mitbewerber ist das PS/2. Sein Gewinnbeitrag 1989 war sehr gering, obwohl es sich dabei um Universalrechner handelt, die in jedem Anwendungsgebiet zum Einsatz kommen können: als Server, als Personal Computer, als Abteilungsrechner, als Institutsrechner, als Vorort-System, als Arbeitsplatz-System. Ein gut ausgebautes PS/2-System ist durchaus ein interner Konkurrent für eine AS/400 oder eine Einstiegs-ES/9000, und das wird sich auch in absehbarer Zeit nicht ändern.

Schließlich noch die kleinen ES/9000, die Nachfolger der glücklosen 9370. Die Verkaufszahlen sind hinter den Sollzahlen zurückgeblieben (eine Art Gesetzmäßigkeit bei DV-Herstellern). Ihr Plus ist, daß sie den Einstieg in eine Rechnerwelt bieten, die enorme Aufstiegsmöglichkeiten (samt den bekannten Umstellschwierigkeiten - pardon: Migrationsstufen) eröffnet. Zigtausende Installationen gibt es in IBMs Haupt-Rechnerwelt der höheren 360-/370-/390. Überproportional viele Installationen gehen hierbei auf das Konto der kleinen und mittleren Systeme (4361, 9370, 4381) und zumal der VSE-Systeme. Diesen Zweig abzusägen, der Hoffnungsträger für lukrative MVS/SE/SP/XA/ESA-Installationen war, ist und sein wird, verbietet sich natürlich von selbst. Somit steht am Ende nur die beruhigende Aussage: "Es bleibt alles, wie es ist." Wie gut, daß wir uns schon daran gewöhnt haben.