WAN-Übertragungstechnik/Von LAN zu LAN im digitalen Netz der Telekom

Im ISDN bereitet TCP/IP-Transfer die wenigsten Probleme

16.08.1996

Das ISDN-Netz der Telekom ist wie ein modernes Rechnernetz aufgebaut. Die einzelnen Teilnehmer sind an digitale Ortsvermittlungsstellen (DIVO) angeschlossen und diese an digitale Fernvermittlungsstellen (DIVF). Die DIVF sind weiterhin untereinander vernetzt. Durch die Trennung der Datenflüsse in Steuerdaten (D-Kanal) und Nutzdaten (B-Kanal) ist es unter anderem möglich, Kanäle von Vermittlungsknoten zu Vermittlungsknoten dynamisch zuzuweisen. Dies hat den Vorteil, daß sich durch Routing innerhalb des ISDN-Netzes ein Ersatzweg bestimmen läßt, wenn ein Weg nicht zur Verfügung steht.

Kanalbündelung macht Schwierigkeiten

Was für die Telekom ein Vorteil ist, kann sich jedoch auf Anwenderseite als Nachteil entpuppen: So ist es möglich, daß ein B-Kanal von München über Karlsruhe und Dortmund nach Hamburg geroutet wird, während ein zweiter B-Kanal von München über Nürnberg und Hannover nach Hamburg geroutet werden kann. Im schlimmsten Fall tritt beim Empfang der Daten eine Verzögerung bis zu einigen Sekunden auf. Bei Kanalbündelung (Zusammenschaltung mehrerer B-Kanäle) sind deshalb nur verbindungslose Protokolle (etwa TCP/IP) problemlos einsetzbar, da sie nicht erwarten, daß die Reihenfolge der gesendeten Datenpakete eingehalten wird. Damit läßt sich über jeden B-Kanal, der gerade frei ist, ein Datenpaket schicken, die richtige Reihenfolge der Pakete wird beim Empfänger automatisch wiederhergestellt. Bei verbindungsorientierten Protokollen ist eine Kanalbündelung nicht möglich, es sei denn, es wird eine entsprechende Software zum Sortieren der Datenpakete zwischengeschaltet. Eine mögliche Lösung bietet hier das Multi-Line PPP (Point-to-Point Protocol), das ein Datenpaket in mehrere Häppchen aufteilt (etwa entsprechend der Anzahl der verfügbaren B-Kanäle) und diese parallel über die B-Kanäle versendet. Vom Multi-Line PPP der Gegenseite werden diese wieder zusammengesetzt. Allerdings wird dieses Protokoll noch nicht von allen ISDN-Routern unterstützt.

Allgemein kann die Kopplung von LANs auf verschiedene Weise erfolgen, so daß ein Router nicht zwingend erforderlich ist. Im wesentlichen hängt das von den verwendeten Netzwerkprotokollen ab. Werden mehrere Protokolle mit unterschiedlichen Adressierungsarten verwendet, kommt ein Gateway zum Einsatz. Bei gleichen Protokollen können Router oder Bridges eingesetzt werden. Eine Bridge dient nur zur Kopplung zweier Netztopologien, um die Netzlast auf die einzelnen Segmente zu begrenzen. Ein Router dagegen hat zusätzliche Informationen zur Verfügung und kann daher eine intelligentere Wegewahl für das Routen von Datenpaketen treffen. Routen bedeutet also das Weiterleiten von Datenpaketen auf Schicht 3 des OSI-Modells. Falls diese Schicht im Protokollaufbau fehlt, (wie etwa bei Netbios (IBM/Microsoft), DLC (IBM) und LAT (DEC), ist weder ein intelligentes Routing noch eine Unterteilung in Subnetze möglich.

Anders sieht es bei dem durch das Internet bekannt gewordene TCP/IP aus. Hier halten sich die Probleme beim Routing von IP-Paketen über WANs in Grenzen. Auch haben alle wichtigen Anbieter von Netzwerkprodukten und Protokollen ihre Anwendungen an den TCP/IP-Standard angelehnt. Daher liegt der Schwerpunkt im folgenden auf der Kopplung von LANs mit TCP/IP über Router. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten, zwei oder mehr LANs über Router miteinander zu verbinden.

Üblicherweise werden Einsteckkarten in PCs oder Workstations eingesetzt. Mittels entsprechender Software läßt sich dann zusammen mit ISDN- und Netzwerkkarte der Einsatz als Router realisieren. Nachteilig wirkt sich hierbei jedoch aus, daß der betroffene Rechner permanent laufen muß und als normale Arbeitsstation nicht mehr zur Verfügung steht.

Weiterhin besteht die Möglichkeit, mittels der CAPI-Schnittstelle vom entsprechenden Rechner aus weitere ISDN-Dienste zu nutzen, etwa Fax G3 (analog) oder Fax G4 (ISDN), und den Rechner als Anrufbeantworter zu betreiben. Mit entsprechender Software, die einen Remote-CAPI-Zugang bereitstellt, und analogen CAPI-DLLs für Windows-PCs oder anderer Schnittstellen-Software auf der Client-Seite besteht auch die Möglichkeit, die Einsteckkarte von anderen Rechnern aus wie eine eigene ISDN-Karte anzusprechen, etwa um Faxe zu senden beziehungsweise zu empfangen oder Verbindungen zu anderen Rechnern direkt ohne LAN-to-LAN-Kopplung aufzunehmen. Auf diesem Verfahren beruht beispielsweise das Odette File Transfer Protocol (OFTP), das in der Automobil- und Zulieferindustrie eingesetzt wird.

Was in der Theorie einfach klingt, gestaltet sich in der Praxis schwieriger, denn ISDN-Karten unterscheiden sich in ihrer Funktionalität und den unterstützten Diensten und Protokollen sehr. Preisgünstige PC-Karten (beispielsweise passive Karten, bei der der PC die Kommunikationsvorgänge selbst abwickeln muß) eignen sich nicht für alle ISDN-Anwendungen (OFTP). Zu empfehlen sind hier aktive Karten. Generell sollte deshalb eine genaue Anforderungsliste der benötigten Protokolle und Dienste erstellt werden, um damit die geeignete ISDN-Karte auszuwählen.

Im Gegensatz zu Einsteckkarten bieten Stand-alone-Geräte den Vorteil, daß sie Hardware-unabhängig in ein bestehendes LAN mit eigener Netzwerkadresse eingebunden werden. Damit ergeben sich keine Probleme, wenn auf einem Rechner ein Betriebssystem-Update gefahren wird oder ein Rechner durch einen anderen ersetzt werden soll. Die meisten Stand-alone-Geräte bieten allerdings nur reine LAN-to-LAN-Kopplung (beziehungsweise PC-to-LAN) an, so daß eine zusätzliche Nutzung freier ISDN-Kanäle durch PCs nicht möglich ist. Eine Ausnahme bildet hier die Stand-alone-Lösung Bianca/Brick der Firma Bintec Computersysteme und der Banzai!-ISDN/IP-Router von Commercial Link Systems. Für reine LAN-to-LAN-Kopplungen eignen sich so gut wie alle angebotenen Geräte, über Cisco, Miro bis zu TPS und anderen. Auch hier ist zu beachten, daß nicht jedes Gerät alle Protokolle beherrscht oder für jeden Netzwerktyp (Ethernet, Twisted Pair, Token Ring etc.) geeignete Schnittstellen-Module zur Verfügung stehen.

Beim Routen von Datenpaketen zwischen zwei TCP/IP-LANs kann man ein Transfernetzwerk verwenden, muß dies aber nicht, wenn die Router auf beiden Seiten eine Verbindung ohne Transfernetzwerk unterstützen. Netzadressen bezeichnen jeweils ein Interface und nicht, wie oft irrtümlich angenommen wird, einen Rechner. Router benötigen demnach im Normalfall für jedes Interface eine eigene Netzadresse.

Auf die Anbindung einzelner Rechner über ISDN braucht man hier nicht näher einzugehen, da dabei lediglich statt der Netzwerkadresse des entfernten LANs die vollständige IP-Adresse eines einzelnen Rechners angegeben wird (LAN-to-Host). Das Routing erfolgt ansonsten analog.

Routing mit Transfernetzwerk

Vom PC 200.200.200.1 in LAN 1 soll ein Datenpaket an die Workstation 199.199.199.12 im LAN 2 geschickt werden (siehe die Abbildung). Der PC schickt sein Datenpaket mit Zieladresse 199.199.199.12 an seinen Default-Router 200.200.200.99 (A), genaugenommen an das Interface des Routers 1, das sich im gleichen Netz wie der PC befindet. Anhand der eingetragenen Informationen wird nun eine ISDN-Verbindung zum Router 2 aufgebaut, und das Datenpaket von Router 1 wird an die Adresse 194.122.105.12, also an den nächsten Router weitergeleitet (B). Router 2 kann nun das Datenpaket an die Workstation 199.199.199.12 weitersenden (C). Da bei TCP/IP-Verbindungen auch Bestätigungen zurückgeschickt werden, ist für einen funktionsfähigen Verbindungsaufbau auch die andere Richtung einzurichten: Bei der Workstation 199.199.199.12 muß als Router für LAN 2 die Adresse 199.199.199.199 eingetragen sein, und Router 2 muß als nächstes Ziel die Adresse 194.122.105.11 im Transfernetzwerk kennen.

Beim Routen ohne Transfernetzwerk wird bei Router 1 die LAN-Adresse vom Router 2 (also 199.199.199.199) direkt eingetragen, umgekehrt bei Router 2 die LAN-seitige IP-Adresse von Router 1 (also 200.200.200.99). Die Konfiguration der Telefonnummern und die Zuordnung der einzelnen LANs, die sich über die installierten Schnittstellen erreichen lassen, müssen natürlich genauso konfiguriert werden wie beim Routing mit Transfernetzwerk.

Die Daten selbst, in diesem Fall IP-Pakete, werden vor der Übertragung noch in eine Art Umschlag gesteckt. Hierfür gibt es mehrere Möglichkeiten. Zu den wichtigsten gehören PPP (Point-to-Point Protocol) und LAPB (Link Access Procedure Balanced, auch als X.75 bekannt). Während LAPB Datenkompression nach V.42bis sowie Fehlererkennung und Korrektur zur Verfügung stellt, erlaubt PPP Multiprotokoll-Routing und eine zusätzliche Überprüfung durch den Austausch von Paßworten. Auch hierbei müssen mit der jeweiligen Gegenstelle das verwendete Protokoll und eventuell Paßworte vereinbart werden.

Ein weiteres sinnvolles Feature, das von vielen Routern unterstützt wird, besteht in der Einrichtung von Backup-Verbindungen. Damit läßt sich beispielsweise bei einem Ausfall einer ISDN-Standleitung die Verbindung automatisch auf eine eingerichtete Wählverbindung (eine Alternativroute) umstellen, bis die Standleitung wieder zur Verfügung steht. Außerdem besteht bei einem Verbindungsaufbau zur Fernwartung oder zur Übermittlung von Daten einer Zweigstelle an die Zentrale die Möglichkeit, daß der Angerufene nicht abhebt, sondern zurückruft (Callback). Dadurch werden alle anfallenden Leitungskosten auf einem Anschluß abgerechnet.

Angeklickt

Das Routing von LAN-Daten über mehrere B-Kanäle im ISDN-Netz führt zu Laufzeitverzerrungen. Nicht alle Protokolle können damit umgehen. Fehlt im Kommunikationsverfahren des LANs zudem die Schicht 3 des OSI-Modells, fällt auch die intelligente Wegewahl schwer. Das durch den Internet-Boom bekannt gewordene TCP/IP ist weit weniger empfindlich gegen derartige Probleme im ISDN-Netz.

*Holger Kipp ist EDI-Consultant bei der PM-Consulting in Heilbronn.