Breitbanddienste: Service-Provider und Ausrüster kämpfen mit der Nachfrageschwäche

Im Glasfasernetz ist es stockdunkel

20.07.2001
MÜNCHEN (CW/IDG) - Nichts geht mehr im US-Glasfasermarkt. In offenbar blindem Vertrauen auf den Internet-Boom vergruben Netzanbieter wie Qwest und Level 3 Glasfaserkabel weltweit, das 1500-fache des Erdumfangs allein in den USA. Doch der Internet-Boom stagniert, und das Interesse an Breitbandübertragungen von Daten korreliert in keiner Weise mit dem Angebot. Jetzt herrscht Katzenjammer - bei Service-Providern und Ausrüstern.

Nortel warnt, Corning warnt, Level 3 warnt - die Liste einschlägiger Hiobsbotschaften ließe sich beliebig fortsetzen. Angesichts der mehr als angespannten Lage am US-Glasfasermarkt werden, wie viele Analysten zuletzt einen historischen Vergleich bemühten, Erinnerungen an die Pionierzeit des nordamerikanischen Eisenbahnbaus Ende des 19. Jahrhunderts wach. Auch seinerzeit verschätzte man sich gewaltig bei der Vorhersage der Nachfrage nach verbesserten Transportwegen. Ob Menschen, Güter oder Daten, damals wie heute scheint die Begeisterung für neue Technologien den Blick auf die Realitäten zu verstellen. Zwischen 35 und 60 Milliarden Dollar wurden inoffiziellen Schätzungen zufolge in den vergangenen Jahren allein in den USA ausgegeben, um 62 Millionen Kilometer Glasfaserkabel unter die Erde zu bringen. Doch nach Ansicht der US-Investmentbank Merrill Lynch & Co. werden heute lediglich 2,6 Prozent dieser Kapazität genutzt. Zynische Kritiker sprechen deshalb immer häufiger vom "Dark Fiber".

Die Parallele zum Eisenbahnbau hat aber noch mehr Verästelungen, als man zunächst annehmen mag. Mitte der 90er Jahre entdeckte ein Milliardär aus Denver namens Philip Anschütz seine Begeisterung für die Glasfaserindustrie. Der Reichtum des Texaners gründet sich auf Bergbau und eben die Eisenbahn. Seine Southern Pacific Rail Corp. verfügte über ein ausgebautes Streckennetz. Eine Tochter der Southern Pacific, die SP Telecom, verlegte als Fremdfirma Kabel für die Telefongesellschaft AT&T, die damals noch den US-Markt neben Sprint und MCI dominierte. Anschütz verkaufte Southern Pacific, behielt aber SP Telecom, die er in Qwest umbenannte - und begann, auf eigene Faust Glasfasernetze zu betreiben. Anfang 1997 beschloss man, das bestehende Netz von 20800 Kilometern auf 29600 Kilometer auszubauen, und obwohl es zuerst danach aussah, als ob man sich zu viel zugemutet hätte, waren doch bald die Hälfte des Netzes für 3,6 Milliarden Dollar verkauft und so rund 90 Prozent der Ausgaben gedeckt. Binnen sechs Monaten verdoppelte sich der Aktienwert des Unternehmens.

Ebenfalls 1997 entschied sich ein Vorstandsmitglied von Qwest, Jim Crowe, die Company zu verlassen, um selbst im Glasfasermarkt tätig zu werden. Mit dem nötigen Kapital eines befreundeten Milliardärs und anderer Investoren im Rücken begann Crowe mit dem Aufbau seiner Firma Level 3. Crowe hatte große Pläne. Im Juli 1998 begannen die Arbeiten an einem 25 600 Kilometer langen Netz in den USA, anschließend verlegte man 7600 Kilometer in Europa, insgesamt wurden rund 14 Milliarden Dollar in der Erde verbuddelt.

Gewinne und Aktien im KellerDoch die Stars dieser noch jungen Industrie und vermeintlichen Zukunftsbranche sind arg ins Straucheln geraten. Der Bedarf an durch Glasfaser gegebene Bandbreite zur Übertragung großer Datenmengen bleibt, wie eingangs erwähnt, weit hinter den Erwartungen zurück. Infolgedessen sah sich beispielsweise Level 3 gezwungen, rund ein Viertel seiner knapp 6000 Mitarbeiter zu entlassen und eine Gewinnwarnung herauszugeben, da sich der Nettoverlust im ersten Quartal 2001 mit 535 Millionen Dollar gegenüber den ersten drei Monaten 2000 fast verdoppelt hat. Während im März letzten Jahres die Level-3-Aktie ihren Höchststand bei 130 Dollar hatte, dümpelt sie nun bei rund acht Dollar. Nicht viel anders lesen sich momentan die Bilanzen (und die Aktienkurse) weiterer Carrier wie Qwest, Metromedia Fiber Networks, RSL und Williams Commuications oder GTS. Unterm Strich bleiben heute den Aktionären dieser Breitbandnetz-Anbieter von jedem investierten Dollar durchschnittlich gerademal 40 Cent.

Bei den einschlägigen Ausrüstern herrscht die gleiche Tristesse: Nicht nur Marktgiganten wie Nortel und Lucent, sondern zuletzt auch Companies wie JDS Uniphase und Corning mussten der Financial Community unangenehme Wahrheiten auftischen, die da lauten: Gewinn- und Umsatzwarnung, die Entlassung Tausender Mitarbeiter, Aussetzung der Quartalsdividende, Abschreibung von Lagerbeständen in Milliardenhöhe. Doch es sind nicht nur Schwierigkeiten im operativen Geschäft, die der Branche angesichts von besagtem "Dark Fiber" drohen. Zumindest im Lager der Diensteanbieter tickt eine Bombe, die man an der Wallstreet so schildert: Die Investitionen haben den Cash-Flow der Industrie um ein Vielfaches überschritten und eine erdrückende Schuldenlast zurückgelassen - "Chapter 11" lässt grüßen! Kein Geringerer als Ravi Suria, Analyst bei Lehman Brothers, der vor Monaten durch sein vernichtendes Urteil über die Kreditwürdigkeit der New-Ecomomy-Ikone Amazon. com weltweites Aufsehen erregt hatte, prophezeite unlängst diesem Sektor des TK-Marktes einen "Kollaps".

Doch zurück zur Nachfrageschwäche und damit zur Frage, ob der Boom breitbandiger Internet-Dienste zu Ende ist, bevor er überhaupt begann. Momentan tragen noch verhältnismäßig wenige Fakten zur Klärung bei. So erwies sich zwar die Annahme als richtig, dass das Internet als Kommunikationsmittel weltweit nachhaltig an Bedeutung gewinnt, allerdings produzierte es wesentlich weniger Datenverkehr als erwartet. Denn wer mittels E-Mail kommuniziert, erzeugt weit geringere Datenmengen als bei einem Telefonat. Auch Web-Seiten und Attachments nehmen nicht viel Bandbreite in Anspruch. Vor allem aber setzte man auf den Massenkonsum an Bandbreite, etwa bei der Übertragung von Musik- und Videodaten, ohne sich Gedanken darüber zu machen, ob man auf einen Markt schielt, dem - nach langem juristischen Tauziehen um die Verwertung von Urheberrechten - nun der Ruf der Illegalität anhaftet.

Neue Killerapplikationen gesuchtDie Lösung sucht man jetzt in "Killer-Apps", äußerst datenaufwändigen Anwendungen. Broadwing zum Beispiel beginnt, Allianzen mit Broadband-Content-Providern einzugehen, unter anderem mit dem Computerspiele-Anbieter New Millennium Entertainment LLC. Dieser plant, Online-Spiele, an denen sich 100000 Spieler gleichzeitig beteiligen können, zu etablieren, welche dann tatsächlich die Bandbreite von rund 2,6 Gbit/s beanspruchen würden. Ein weiterer Breitbandanbieter, Williams Communications, half sich gleich selbst: Dort gründete man die Tochter Vyvx Broadband Media, die durch Übertragungen von Filmen, aber auch Kultur- und Sportereignissen den Datenverkehr im eigenen Glasfasernetz exorbitant steigern soll. Bereits letzten Herbst übertrug man vom Firmensitz in Tulsa, Oklahoma, den Film "Bounce" mit einer Rate von 45 Mbit/s in ein New Yorker Kino.

Durchhalteparolen allerortenDoch solche bis dato eher exotisch anmutenden Geschäftsmodelle ändern nichts daran, dass es auch beim viel zitierten Local Loop derzeit eher noch heißt: Dark Fibre. Noch bleibt den Netzbetreibern nichts als der Rückgriff auf zweckoptimistische Formeln. Bill Felix, Vice President bei Qwest, leugnet gar das Faktum des Überangebots. Seiner Meinung nach bestehe dieses nicht, da ja der größte Teil der Netze "gar nicht in Betrieb sei". So kann man es natürlich auch sehen. Hilary Mine, Analystin vom Internet-Beratungshaus Probe Research, stellt da schon etwas neutraler fest, dass der rapide Preisverfall auf dem Markt "durchaus Symptom eines Überangebots" sei. Ihr Ausblick: "In 15 Jahren werden wir uns nicht mehr in der Situation befinden, dass der Markt übersättigt ist. Die Frage ist, ob es 18 Monate, zwei Jahre oder sogar fünf Jahre dauert. Es ist bitter, sich vorzustellen, es könnte fünf Jahre dauern. Aber die Telekommunikation war schon immer ein Spiel für Langzeitinvestoren."