Selbst ist der Coach

Im Coaching auf eigene Kraft vertrauen

19.04.2016
Von 
Sabine Prohaska ist Inhaberin des Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska in Wien, das unter anderem Coaches ausbildet. Seit 1990 ist Prohaska in der Aus- und Weiterbildung als Wirtschaftspsychologin tätig und hält Seminare für Führungskräfte und MitarbeiterInnen. Sie arbeitet auch als systemisch - lösungsorientierter Coach im Unternehmenskontext und in eigener Praxis.
Beim Coaching muss nicht zwingend ein professioneller Coach Hilfestellung leisten. Mit Selbstcoaching lassen sich durch Selbstreflexion in eigener Regie Lösungswege im Arbeits- und Privatleben finden. Welche Kompetenzen benötigt werden, um sich selbst zu coachen, zeigt dieser Beitrag.
  • Selbstcoaching hilft, persönlichen Ziele zu klären und zu erreichen.
  • Refelxionsprozesse können auch ohne professionelle Hilfe ausgelöst werden.
  • Die bildhafte Vorstellung einer neuen Lebenssituation ist ein Schlüssel zum Erfolg.

Unsere Lebenssituation hat sich in den zurückliegenden Jahrzehnten stark verändert. Noch vor einer Generation war es der Normalfall, dass die Menschen Schule, Ausbildung und Beruf - schlicht ihr ganzes Leben - an dem Ort oder in der Nähe ihres Elternhauses absolvierten. Ein solcher Lebensentwurf wirkt auf viele junge Menschen heute jedoch antiquiert. Sie erachten es als selbstverständlich, im Laufe ihres Lebens mehrfach umzuziehen. Von Zeit zu Zeit den Arbeitgeber zu wechseln, gehört für sie ebenso zum normalen Lebenslauf, wie sie sich eventuell umschulen zu lassen oder selbständig zu machen.

Das heißt, unser Leben ist heute mehr Veränderungen unterworfen als noch vor wenigen Jahrzehnten - nicht nur, weil wir mehr Optionen haben, sondern auch, weil sich die gesellschaftlichen Rahmen- und somit unsere Lebensbedingungen rascher ändern. Deshalb geraten wir häufiger in Situationen, in denen wir uns entscheiden und die Weichen in unserem Leben neu stellen müssen.

Auch mit Coaching in Selbstinitiative können Weichenstellungen fürs Leben gefunden werden.
Auch mit Coaching in Selbstinitiative können Weichenstellungen fürs Leben gefunden werden.
Foto: shutteratakan - shutterstock.com

Das kann anstrengend und mitunter sogar beängstigend sein. Zugleich beinhaltet es jedoch eine Wahlfreiheit, von der frühere Generationen nicht einmal zu träumen wagten. Damit einher geht aber eine höhere Eigen- und Selbstverantwortung. Wir müssen unser Leben sozusagen "selbst-bewusst" gestalten. Das überfordert viele Menschen - in gewissen Lebensphasen und -situationen. Das ist ein wesentlicher Grund, weshalb das Coaching boomt.

Probleme und deren Ursachen selbst erkennen

Beim Coaching geht es vereinfacht darum, eine Brücke zwischen unserem aktuellen Leben und dem Leben, das wir führen möchten, zu schlagen. Und der Coach? Er unterstützt seine Klienten, auch Coachees genannt, beim Bewältigen der Herausforderungen, die sich hieraus ergeben. Unter anderem, indem er einen Prozess der Selbstreflexion bewirkt, der zu einem Erkennen der Problemursachen und möglicher Lösungswege führt.

Diesen Reflexionsprozess können Menschen auch ohne professionelle Unterstützung bei sich auslösen. Um unser Leben zu meistern, werden wir künftig zunehmend diese Kompetenz benötigen. Denn aufgrund unseres dynamischen Lebensumfelds und der vielen Optionen, die sich uns bieten, geraten wir häufiger in Situationen, die für unseren Lebensweg von besonderer Relevanz sind und Entscheidungen von uns fordern. So zum Beispiel, wenn wir vor folgenden Fragen stehen:

• Soll ich mich beruflich verändern?

• Welche Form der Beziehung möchte ich mit meinem Partner haben?

• Wie möchte ich im Alter leben?

• Was ist mir bei der Erziehung meiner Kinder wichtig?

Auf "stabile Zonen" achten

Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstcoaching ist, dass wir noch über die nötige Kraft und psychische Stabilität verfügen. Das setzt voraus, dass es in unserem Leben "stabile Zonen" gibt. Also zum Beispiel soziale Beziehungen, die uns Halt geben. Oder einen Beruf, der uns erfüllt. Oder Werte und Überzeugungen, die uns als innerer Kompass dienen. Solche stabilen Zonen sind für uns Menschen extrem wichtig, denn aus ihnen speist sich unsere Identität. Aus ihnen erwächst auch die Kraft, unser Leben in die Hand zu nehmen und aktiv zu gestalten. Fehlen sie, benötigen wir in der Regel professionelle Hilfe.

Eine weitere Voraussetzung für ein erfolgreiches Selbstcoaching ist: Wir müssen uns vom Irrglauben lösen, es gebe den einen richtigen Weg, und wenn wir ihn fänden, seien wir glücklich bis ans Lebensende. Diesen einen richtigen Weg gibt es nicht. Nicht nur, weil sich im Verlauf unseres Lebens unsere Lebensumstände ändern, sondern auch, weil wir uns selbst, nebst unseren Wünschen und Bedürfnissen, ändern. Deshalb muss sich jeder immer wieder neu fragen:

• Was ist mir wichtig?

• Welches Leben will ich führen?

• Wie kann ich es realisieren?

Entscheidend ist, dass wir uns auf den Weg in die angestrebte Richtung machen. Denn jeder Schritt zieht weitere Schritte nach sich, die uns unserem Ziel näherbringen und vielleicht eine neue Lebensperspektive eröffnen.

Kernfrage: Wer bin ich und was will ich?

Beim Selbstcoaching sind wir unser eigener Coach und begeben uns sozusagen auf eine Expedition zum eigenen Ich. Dabei geht es nicht darum, möglichst schnell das Ziel zu erreichen. Vielmehr soll im Coaching-Prozess Schritt für Schritt klarer werden, was im Leben wirklich wichtig und beim Erreichen der Ziele hilfreich ist.

Das setzt, wie jede Art des Coachings, eine gewisse Eigeninitiative voraus - ähnlich wie beim Autofahren die Nutzung eines Navigationsgeräts als Hilfsmittel. Auch hier muss zunächst das Ziel bestimmt und in das Gerät eingeben werden, um dann der Wegbeschreibung zu folgen, sprich das Auto mit der selbst gewählten Geschwindigkeit zu steuern.

Beim Selbstcoaching lauten die zwei großen Überschriften:

• "Wer bin ich?" und

• "Was will ich?"

Somit kann Selbstcoaching uns helfen,

• uns besser kennenzulernen,

• unsere persönlichen Ziele zu klären und zu erreichen,

• die hierfür nötigen Entscheidungen zu treffen und

• die angestrebten Veränderungen zu realisieren.

Eine Voraussetzung hierfür ist, dass wir die richtigen Fragen stellen und/oder passende Übungen kennen, um die erforderlichen Reflexionsprozesse bei uns auszulösen. Manchmal hilft jedoch die beste Übung und Frage nicht weiter. Dann drehen wir uns gedanklich im Kreis und tappen in die sogenannte Grübelfalle. In diesem Falle sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen und eventuell einen Coach aufsuchen. Beim Selbstcoaching bedarf es also auch einer gewissen Achtsamkeit, das heißt, man muss erkennen, wann man mit seinem Latein am Ende ist und externe Hilfe benötigt.

Herausforderung: Unser Leben aktiv gestalten

Das Konzept des systemisch-lösungsorientierten Selbstcoachings fußt auf Annahmen darüber, wie das Lernen und die Entwicklung von Menschen erfolgt.

• Annahme 1: Jeder Mensch trägt die Lösung seiner Probleme in sich. Die meisten Menschen benötigen in Umbruchsituationen nur einen kleinen Anstoß, um den roten Faden in ihrem Leben wiederzufinden und die eigenen Ressourcen zu aktivieren. Denn sie haben in ihrem Dasein schon viele Herausforderungen gemeistert. Außerdem verfügen sie über die Fähigkeit, selbst zu erkennen, wann eine Herausforderung für sie neu oder zu groß ist, weshalb sie eine punktuelle Unterstützung durch andere Menschen brauchen. Also können sie eigenständig einen adäquaten Lösungsweg für sich finden und ihn mit selbstorganisierter Unterstützung beschreiten.

• Annahme 2: Menschen wollen in der Regel ihre Schwierigkeiten eigenverantwortlich und selbstständig lösen. Die meisten Menschen verfügen über die nötige psychische Stabilität, um bei Herausforderungen nicht in eine Problemtrance zu verfallen, bei der das Problem immer größer und unlösbarer erscheint, je länger sie sich damit beschäftigen. Sie sind dazu in der Lage, sich zielorientiert zu fragen:

• Was wäre für mich eine attraktive Lösung?" Und:

• Wie würde der Zielzustand konkret ausschauen?"

Um dann passende Lösungen zu entwerfen.

Diesen Annahmen liegt ein konstruktivistischer Denkansatz zugrunde; also die Annahme, dass wir die Welt, so wie wir sie erleben, weitgehend selbst erschaffen ("konstruieren") - durch die Art, wie wir Dinge sehen und bewerten. Das gilt auch für unsere Probleme. Dies sei an einem Beispiel illustriert: Angenommen, Sie hätten in den letzten Jahren bereits mehrfach Ihren Job gewechselt. Dann könnten Sie, bestärkt durch Bekannte, zur Überzeugung gelangen: Ich habe ein Problem - nämlich einen Job durchzuziehen. Doch muss das so sein? Nein! Vielleicht gehört es zu Ihrem Konzept eines glücklichen und erfüllten Lebens, beruflich regelmäßig etwas Neues auszuprobieren? Wo ist dann das Problem? Sie sehen, wir konstruieren viele Probleme selbst, durch die Art, wie wir Situationen und Konstellationen bewerten. Das ist auch eine zentrale Ursache dafür, warum uns gewisse "reale" Probleme unlösbar erscheinen. Das heißt, wenn wir lernen, diese Probleme neu zu sehen und zu bewerten, werden sie vielleicht lösbar.

Geduld mit sich und dem eigenen Gehirn haben

Doch was bedeutet (Neu- und Um-)Lernen? Neurologisch betrachtet ist Lernen ein ganz handfester Prozess, bei dem sich im Gehirn neue Nervenverbindungen bilden und durch entsprechende Impulse und Reize immer stärker werden. Am Anfang ist die neue Nervenbahn nur ein kaum sichtbarer Trampelpfad, aus dem nach einigen Wochen oder Monaten, weil das neue Verhalten regelmäßig praktiziert wird, allmählich eine Landstraße und irgendwann vielleicht sogar eine Autobahn wird.

Beim Aufbau neuer Kompetenzen und Verhaltensmuster muss jeder mit Rückfällen und Phasen des scheinbaren Stillstands rechnen - denn Lernprozesse verlaufen nicht linear. Sie verlaufen oft scheinbar sprunghaft. Hierfür ein Beispiel. Angenommen, Sie sind ein Tennisspieler und wollen einen neuen Schlag einstudieren. Also üben Sie den ganzen Nachmittag, ohne große Fortschritte. Frustriert fahren Sie nach Hause. Doch eine Woche später stehen Sie erneut auf dem Platz und probieren nochmals den neuen Schlag, und plötzlich gelingt er auf Anhieb. Der Grund hierfür ist: Sie haben zwar nicht bewusst geübt, doch Ihr Gehirn hat weiter gearbeitet. Es hat neue neuronale Verbindungen geknüpft, die für den Schlag nötigen Bewegungsabläufe immer wieder durchgespielt und mit ähnlichen Bewegungsmustern in Verbindung gebracht, so dass Ihnen plötzlich, scheinbar aus dem Nichts, der Schlag gelang.

Der Geistesblitz aus heiterem Himmel

Ähnliche Prozesse werden Sie auch beim Selbstcoaching registrieren - zum Beispiel, wenn Sie über ein Problem nachdenken und alles, was Ihnen dazu einfällt, auf ein Blatt Papier schreiben, das Sie regelmäßig zur Hand nehmen, um Ihre Notizen zu ergänzen. Dann passiert oft wochenlang scheinbar nichts, weshalb Ihnen das Problem zunehmend unlösbar erscheint. Doch dann plötzlich, scheinbar aus heiterem Himmel haben Sie - zum Beispiel beim Kochen - die zündende Idee, den berühmten Geistesblitz. Das heißt, Sie haben die Problemlösung vor Augen. Denn während Sie scheinbar nur mit anderen Dingen beschäftigt waren, blieb Ihr Gehirn am Ball. Es baute neue neuronale Verbindungen auf, und plötzlich kennen Sie die Problemlösung.

Beim Selbstcoaching erteilen wir unserem Gehirn sozusagen den Auftrag, eine neue Aufgabe zu lösen oder eine bekannte, anders als bisher zu lösen. Zugleich versorgen wir unser Gehirn, indem wir die entsprechenden Fragen stellen und/oder adäquate Übungen durchführen, mit den erforderlichen Reizen, um neue neuronale Verbindungen aufzubauen - und zwar so lange bis wir die Problemlösung kennen und das gewünschte Verhalten praktizieren.

Die angestrebte Zukunft bildhaft vorstellen

Um dieses Ziel zu erreichen, ist es richtig, sich die angestrebte Lösung und das angestrebte Leben regelmäßig bildhaft vorzustellen - also die Zukunft gedanklich vorwegzunehmen. Spitzensportler kennen die Kraft der sogenannten Imagination. Sie wissen, dass sie ein sehr wirksames Instrument ist, um sich einem Ziel Schritt für Schritt zu nähern. Denn das Gehirn strebt nach einem kohärenten Zustand, bei dem die Lebensrealität mit dem Zielbild übereinstimmt. Deshalb befähigt es uns irgendwann, die äußeren Umstände dem inneren Bild anzugleichen.

Henry Ford wird die Aussage zugeschrieben: "Egal, ob du glaubst, du kannst es, oder ob du glaubst, du kannst es nicht, du hast immer recht!". Sie verweist auf den von der psychologischen Forschung belegten Sachverhalt, dass die innere Erwartungshaltung einen großen Einfluss auf das Ergebnis hat - positiv und negativ. Deshalb ist es wichtig, sich beim Selbstcoaching regelmäßig in den gewünschten Zielzustand zu versetzen.

Das fällt vielen Menschen schwer. Sie denken, kaum haben sie ein positives Zielbild entworfen, "Ja-aber-das-geht-nicht-weil". Dann verlieren die Zielbilder ihre Energie. Sie funktionieren nur, wenn man die eigenen Wünsche zulässt und in eine (Noch-)Phantasiewelt eintaucht.

Wie stark Gedanken das Empfinden und Befinden beeinflussen, zeigt die Probe aufs Exempel. Stellen Sie sich bildhaft vor, Sie würden herzhaft in eine Zitrone beißen, und achten Sie darauf, wie Ihr Körper reagiert. Vermutlich verzieht sich Ihr Mund allein durch die Vorstellung des sauren Geschmacks einer Zitrone. Und das nur aufgrund einiger weniger, gedachter Worte. Wie groß muss dann erst die Wirkung sein, wenn man sich nicht nur regelmäßig sein künftiges Leben bildhaft vorstellt und davon träumt, sondern auch Schritte in die gewünschte Richtung macht? Probieren Sie es doch einfach mal aus.

Sabine Prohaska ist Inhaberin des Trainings- und Beratungsunternehmens seminar consult prohaska, Wien, das unter anderem Coaches ausbildet (Internet: www.seminarconsult.at). Im März 2016 erschien ihr neustes Buch "Lösungsorientiertes Selbstcoaching: Ihren Zielen näherkommen - Schritt für Schritt".