Im Großunternehmen erprobte Einsatzmöglichkeiten neuester IuK-Techniken

Im Binnenmarkt-Wettbewerb Mehrwertdienste unabdingbar

18.05.1990

"Wie Sand am Meer" gibt es Cheklisten, Hochglanz-Broschüren und Fachbücher, die den Segen der modernen Informations- und Kommunikationsmittel als Wettbewerbsinstrument preisen. Die meisten haben den Nachteil, diese Techniken hochzujubeln, "wie Blinde die Farbe". Die Autoren dieser CW-Artikelserie sind Leute aus der Praxis. Sie haben das, was sie hier systematisch darstellen, im eigenen Hause realisiert oder projektiert.

Im Zusammenhang mit Electronic Mail fällt häufig der Begriff X.400. Ohne in die Tiefen der OSI-Schnittstelle einsteigen zu wollen, ist es sinnvoll, das Grundschema von X.400 (88er Standard) zu verdeutlichen, da sich hieraus besonders gut Möglichkeiten eines "VAS-Electronic-Mail" in einem Corporate Network ableiten lassen.

Die Funktionsweise von X. l00, man spricht auch von Message-Handling-Systemen, ist dem des herkömmlichen Post, absetzen entlehnt. Ein Anwender in X.400 ist entweder eine DV-Anwendung oder eine Person. Unterschieden werden direkte Anwender, die untereinander Mailings versenden, und indirekte Anwender, die Nachrichten aus anderen Kommunikationssystemen, wie dem Telexdienst oder der herkömmlichen Post, absetzen, sofern sie an das Message-Handling-System via Gateways angebunden sind (Bild 15).

Innerhalb von Message-Handling-Systemen werden folgende Komponenten unterschieden:

- Dialogführung (User Agent - Schreibtisch), mit deren Hilfe ein Anwender Textdokumente erstellt beziehungsweise einfachen Editoren bis zu komplexen Anwendungsprozessen wie Memo, M/Mail und Profs reichen. Letztere verfügen zum Teil über lokale Funktionen, wie Wiedervorlage, Notizmöglichkeiten etc., die nicht der Standardisierung unterliegen.

- Nachrichten-Übermittlungseinheit (Message Transfer Agent), die von User Agents beziehungsweise Nachrichtenspeichern erhaltene Mailings gegebenenfalls über mehrere Nachrichten-Übertragungseinheiten

im "Store-and-Forward-Prinzip an den Ziel-User-Agent weiter leitet. Als Vergleich mag die Analogie zu Postämtern dienen. - Nachrichtenspeicher (Message Store), der für einen Anwender eingehende, beziehungsweise von ihm abgesetzte Mailings zwischenspeichert und in etwa mit einem Postfach zu vergleichen ist.

- Zugriffs Übergabepunkte (Access Unit), die gewissermaßen als Gateways eine Verknüpfung mit Fernmeldediensten anderer Strukturen erlauben. Dabei werden nicht nur Verbindungen zu den anderen Telematikdiensten wie Telex, Teletex, Btx und Fax angestrebt, sondern darüber hinaus auch Verknüpfungen mit der "gelben Post", dem Briefdienst, indem elektronische Mailings in Hardcopies umgesetzt und versendet werden.

X.400 erlaubt, daß diese funktionalen Einheiten unterschiedlich physikalisch konfiguriert werden können. Beispielsweise können der User Agent und die Nachrichten-Transfereinheit im gleichen System resident sein, oder der User Agent kann mit einem Nachrichtenspeicher in einem physikalisch separaten System implementiert sein. Im Fall der Trennung von Dialogführung und Nachrichtenspeicherung einerseits und der Nachrichtenübermittlung andererseits vollzieht sich die Kommunikation über standardisierte Protokolle Diese Möglichkeit der Trennung von Dialog und Anwendungsprozeß ist die Grundlage für hohe Variabilität und Austauschbarkeit von Mailing-Komponenten. Durch die Gewährleistung standardisierter Kommunikationsprotokolle können unterschiedliche Mail-Pakete das gleiche Nachrichtenübermittlungssystem nutzen.

Der Dialog zum Erzeugen und Versenden solcher Briefe wird durch den Unser Agent bewirkt. Die Anwendungssoftware, die Briefe sortiert und zum elektronischen Briefkasten des Empfängers weiterleitet, ist Aufgabe der Nachrichtenübermittlung und ist an der Dialogführung mit dem Benutzer nicht beteiligt. Diese Programme realisieren nur die Funktionen der Anwendung. Änderungen in der Dialogführung haben keine Implikationen auf das Nachrichten-Übermittlungssystem, sofern die Protokollstandards eingehalten werden.

Diese Vielfalt möglicher Konfigurationen macht es den Nutzern von X.400 möglich, individuellen Gegebenheiten zu entsprechen. Vor allem mit Blick auf gleich genutzte Funktionen von verschiedenen über das Corporate Network verbundenen Unternehmen lassen sich Serviceleistungen durch die Netzbetreiber anbieten, die sonst jedes Unternehmen selbst erbringen müßte.

Dieser Tatbestand leitet über zur organisatorischen Betrachtung von Message-Handling-Systemen.

Die Summe aller User Agents, Nachrichten-Übermittlungseinheiten, Gateways und Nachrichtenspeicher konstituieren einen Versorgungsbereich (Management Domain). Eine Management Domain, die durch eine öffentliche Verwaltung, zum Beispiel eine PTT, betrieben wird, ist eine Administration Management Domain.

Eine Management Domain die ein privater Betreiber, beispielsweise ein Unternehmen oder ein Netzwerkbetreiber führt, wird als Private Management Domain bezeichnet. Sie kann über eine oder mehrere Nachrichten-Übermittlungseinheiten, Gateways, User Agents und Nachrichtenspeicher verfügen und mit dem öffentlichen Versorgungsbereich korrespondieren.

Bei der großen Anzahl von privaten Message-Handling-Systemen wäre es für jeden einzelnen Betreiber ein immenser Aufwand, jede nationale und internationale Verkehrsverbindung einzeln in die Wege zu leiten und Absprachen über die Aufteilung der Übertragungskosten zu treffen. Hier liegt der Grund für die Unterscheidung in private und öffentliche Versorgungsbereiche.

In der Interaktion zwischen beiden bestimmt letztere die Konventionen für die Interaktion. Darüber hinaus stellt der öffentliche Versorgungsbereich zur Gewährleistung eines reibungslosen Nachrichtentransfers sicher, daß das Accounting, Logging, die Servicequalität und die Durchgängigkeit der Adressierung fehlerlos durchgeführt werden.

(wird fortgesetzt)

*Dirk Nouvortne ist Leiter ¿Bürokommunikation", Reiner Pliefke Gruppenleiter Nachrichtentechnik" und Michael Schmidt Projektleiter Electronic Mail" im Gerling-Konzern, Köln.