Im Großunternehmen erprobte Einsatzmöglichkeiten neuester IuK-Techniken

Im Binnenmarkt-Wettbewerb:Mehrwertdienste unabdingbar

11.05.1990

"Wie Sand am Meer" gibt es Checklisten, Hochglanz-Broschüren und Fachbücher, die den Segen der modernen Informations- und Kommunikationsmittel als Wettbewerbsinstrument preisen. Die meisten haben den Nachteil, diese Techniken hochzujubeln, "wie Blinde die Farbe". Die Autoren dieser CW-Artikelserie sind Leute aus der Praxis. Sie haben das, was sie hier systematisch darstellen, im eigenen Hause realisiert oder projektiert.

Wie eine Electronic-Mail-Anwendung eines Users beispielsweise aus dem Versicherungs- wesen und der Nutzung von Carrier-Ressourcen aussehen könnte, zeigt folgendes Beispiel. Dabei werden ein Carrier-eigener Mail-Server und ein Clearing-House-Server (DFÜ-Box) als Ressourcen unterstellt. Zielgruppe ist der Außendienst eines Versicherungsunternehmens.

Für die Anwendung wird von folgenden Voraussetzungen ausgegangen:

a) 24-Stunden-Bereitschaft eines Rechners ausschließlich für die Zwischenspeicherung von rund um die Uhr eingegangenen Mailings;

b) Außendienst, der (weltweit) rund um die Uhr akquiriert und relevante Vertrags-, Bestell- oder Kunden- informationen an eine zentrale Stelle sendet, beziehungsweise Informationen von der Zentrale empfängt;

c) automatisierter Sende- und Empfangsmodus durch den Clearing-House-Server;

d) Konvertierungsroutinen zwischen Clearing-House-Server und Klienten-Host.

Für die Realisierung dieser Voraussetzungen werden auf den (portablen) Endgeräten des Außendienstes oder den DDP-Rechnern der vertrieblichen Niederlassungen Programme benötigt, die folgende Funktionen haben: Terminalprogramm, Bürosoftware (Standard-Textprogramm), "Individualsoftware-Versicherung", Außendienststeuerung, lokales Datenbanksystem (zum Beispiel Akquisitions- daten), Steuerungsmodule, automatisches Senden, automatisches Empfangen, Abgleich - Plausibilitäts-Prüfungen und eventuell Kontrolle.

Auf dem Clearing-House-Server muß eine Software analog den Endgeräten des Außendienstes resident sein, erweitert um die Funktionen der Konvertierung in die entsprechende Host-Kodierung und des File-Transfers zwischen Host und PC.

Der Ablauf vollzieht sich dabei folgendermaßen: Ein Außendienstler erfaßt an seinem (portablen) PC lokal-offline unter Nutzung der "Individualsoftware-Versicherung" das Ergebnis eines Akquisitionsgespräches und sendet die Informationen unter Aufruf des Steuerungsmoduls alternativ zu einer Postbox der regionalen Niederlassung oder der Zentrale des Carrier-Mail-Servers.

Der Clearing-House-Server fragt regelmäßig beim Mail-Server an, ob Mailings für Teilnehmer am Host eingegangen sind. Im positiven Fall wird der Verbindungsaufbau vollzogen und die Mailings werden abgezogen. Anschließend bewirkt der Clearing-House-Server eine Konvertierung in den Code des angebundenen Hosts, eine Übermittlung via File-Transfer an den angebundenen Host, wo eine Weiterverteilung - etwa in eine Inhouse-Mailbox - vollzogen wird, und die Löschung der Datei auf dem Clearing-House-Server.

Der Weg umgekehrt - etwa für die Information des Außendienstes durch die Zentrale oder Regionalniederlassung ist ebenfalls möglich. Entscheidend ist, daß sowohl eingehend als auch abgehend der Clearing-House-Server als Gateway aus der geschlossenen herstellerabhängigen Welt der Einzelunter- nehmen bei den Carrier-Nutzern fungiert.

X.400 im 88er Standard bietet eine Reihe von Möglichkeiten, die bei Anwenderunter- nehmen installierte Bürokommunikations-Software "Electronic Mail" mit "Postamtsfunktionen" bei einem Mehrwertdienste-Anbieter zu koppeln. Wesentlicher Ansatz ist dabei die Option, die Benutzeroberfläche bei dem Anwender zu belassen, da es kaum Motivation bei Anwenderunternehmen geben wird, eine systematisch implementierte Anwendung, an die sich die einzelnen Benutzer im Unternehmen gewöhnt haben und in die ein Unternehmen gegebenenfalls erheblichen Anpassungsaufwand investiert hat, ohne zwingenden Grund durch ein entsprechendes Angebot eines Carriers zu ersetzen. Wesentlich ist aber die Möglichkeit der Funktionsteilung. Hier bietet X.400 Möglichkeiten, die im nächsten Ansatz beschrieben werden.

Nun ist nicht immer davon auszugehen, daß bereits jedes Anwenderunternehmen beziehungsweise die installierte Software die X.400-Schnittstelle hat. Auch ist fraglich, ob sie schon heute benötigt wird. Was jedoch immer mehr Unternehmen nutzen, sind andere Telematikdienste wie Telex und Fax, die als Bestandteil einer gesamtvorgangsbezogenen Sachbearbeitung aus einer Electronic-Mail-Applikation bedient werden können.

Verschiedene Electronic-Mail-Anwendungen bieten die Möglichkeit der Adressierung und Generierung von Druckern. Dabei kann es sich neben den eigentlichen Druckern auch um Telex-Nebenstellenanlagen oder Fax-Prozessoren handeln. So wird gewährleistet, daß der Sachbearbeiter die gleiche Oberfläche zum Versand von Mailings, Fernschreiben und Fernkopien nutzen kann. Insbesondere für die letzten beiden Dienste besteht die Möglichkeit, über die Nutzung von Carriern erhebliche Gebühreneinsparungen im internationalen Kommunikationsverkehr zu realisieren.

Drei Vorteile für den Anwender

Grundlage ist die Generierung eines virtuellen Druckers in der Electronic-Mail-Anwendung des Anwenders und die Adressierung an einen virtuellen Drucker bei einem Carrier. Als Telex oder Fernkopie zu versendende Texte werden nun nicht an die Telex-Nebenstellenanlage beziehungsweise an eine UTC-Box adressiert und mit 50 Baud in das Telexnetz abgesetzt, sondern als eine Art Daten-File an einen Rechner des Carriers adressiert (Drucker), von wo aus, erkennbar aus dem Telexkopf, die einzelnen Texte etwa mit 9,6 Kbit zu dem Carrier-Knoten geroutet werden, der dem eigentlichen Bestimmungsort am nächsten liegt.

Hier werden dann die im Datenformat codierten Texte in das Telexformat oder den Faxmode konvertiert und in das jeweilige nationale Telexnetz beziehungsweise Telefonnetz eingeleitet (Bild 14).

Drei Vorteile erschließen sich für den Anwender:

- Gebühreneinsparungen aufgrund kürzerer Entfernungen,

- Entlastung von Telex-Nebenstellenanlagen beziehungsweise Fax-Prozessoren,

- Geschwindigkeitserhöhung zumindest gegenüber Telex (50 Baud gegenüber 9,6 Kbit/s.

In dieser Anwendung ist für manche Anwender auch die Rückmeldung wesentlich. Hier sammelt der Carrier in vom Anwender zu bestimmenden Intervallen (zum Beispiel stündlich oder täglich) alle abgesetzten Telex- oder Faxrückmeldungen und sendet sie in eine Postbox, auf Wunsch auch kostenstellenbezogen.

(wird fortgesetzt)

*Dirk Nouvortne ist Leiter "Bürokommunikation", Reiner Pliefke Gruppenleiter "Nachrichtentechnik" und Michael Schmidt ist Projektleiter "Electronic Mail" im Gerling-Konzern, Köln.