Neues IT-Umschulungsmodell in Hamburg

"Im abgesicherten Modus fahren"

08.06.2001
Eine private Weiterbildungsinitiative in Hamburg will einen ungewöhnlichen Beitrag zum Fachkräftemangel leisten: Sie schult ehemalige Drogenabhängige für den IT-Arbeitsmarkt. Von Christoph Lixenfeld*

"Computer können auch eine Sucht sein, genau wie Heroin." Reinhard Wollner** ist 40 und weiß, wovon er spricht. Seit mehr als 15 Jahren beschäftigt er sich mit PCs: In den 80er Jahren hat er "mit einem Amiga rumgebastelt", hat programmiert und Netzwerke gestrickt. "Einfach für mich selbst" war vieles davon, anderes für normale Kunden. Mehr als ein Taschengeld bekam er dafür nicht, weil er "nicht das Selbstbewusstsein hatte und nicht das Auftreten, um gute Preise zu verlangen", wie er sagt. Und an eine feste Anstellung war nicht zu denken, denn Wollner war jahrelang drogenabhängig. Heute ist er "substituiert", das heißt, er bekommt unter behördlicher Aufsicht die Ersatzdroge Methadon, eine Voraussetzung, um irgendwann mal "mitmachen zu können" in der Welt von normalen Jobs, bürgerlichen Wohnungen und Jahresurlaub.

Wollner ist einer von zwölf Kursteilnehmern der Initiative "Neustart-Hamburg", die ehemaligen Drogenabhängigen eine Zukunft auf dem IT-Arbeitsmarkt ermöglichen soll. Wer teilnehmen will, muss von der Nadel weg sein und PC-Vorkenntnisse mitbringen.

Während der sechs Monate beschäftigen sich die Kandidaten mit der Konzeption von Multimedia-Projekten, mit Web-Design, Programmierung, Produktgestaltung und Kommunikation, Projekt-Management sowie allgemeiner Berufsorientierung.

"Mit Leuten, die direkt von der Straße kommen und ein bisschen Spaß haben wollen, geht so was natürlich nicht", versichert Matthias Kunze.

Er lebt und arbeitet mit seiner Agentur Kunzedesign im Schanzenviertel, einem von zwei Brennpunkten der Hamburger Drogenszene. "Ich komme hier zwangsläufig mit diesen Menschen in Kontakt, und da waren einige, die sagten, wir können was", beschreibt der Initiator die Anfänge des Projekts im vergangenen Jahr. "Warum sollen wir viele Fachkräfte importieren, wenn es noch fähige Leute gibt, die keinen Job haben?"

Der Widerspruch zwischen Expertenmangel auf der einen und arbeitslosen IT-Workern auf der anderen Seite wird sich zwar nicht mit halbjährigen Kursen aus der Welt schaffen lassen, aber Initiativen wie Neustart können trotzdem einen sinnvollen Beitrag leisten. Dieser Meinung ist offenbar auch die britische Regierung, die - im Falle eines Labour-Wahlsiegs - in einem Qualifizierungsprogramm 7500 Langzeitarbeitslose für Jobs im IT-Bereich trainieren will. Glaubt man den Pressemitteilungen, dann haben sich Firmen wie Microsoft, Siemens oder IBM bereit erklärt, 5000 Jobs für die Absolventen zur Verfügung zu stellen.

Hoffen auf SponsorenVon solchen Aussichten können die Neustart-Initiatoren bisher zwar nur träumen, aber im Juni wird eine große Plakataktion in der Hansestadt die Maßnahme bei großen Multimedia- und Internet-Firmen bekannt machen. Und hoffentlich Unterstützer motivieren, sich zu engagieren. Bisher arbeiten die Initiatoren und alle Referenten ehrenamtlich, was auf Dauer nicht so bleiben kann. Kunze hofft auf Know-how-Spenden: Hamburger Firmen könnten Mitarbeiter für zwei bis drei Stunden in der Woche als Referenten für Neustart zur Verfügung stellen. Zusätzliche Kursleiter würden es ermöglichen, statt an drei an fünf Tagen in der Woche Schulungen zu organisieren.

Die Initiative braucht neben Unterstützung der Wirtschaft auch Geld von der Stadt, und das ist nicht so leicht zu beschaffen. Stefan Klein, Leiter des Info-Office Hamburg-Newmedia@work, einer Einrichtung der Hamburgischen Wirtschaftsförderung und der Stadt, hält zwar eine Unterstützung nicht für ausgeschlossen, glaubt aber, dass die Gelder "für dieses Jahr schon verplant sind". Immerhin: 4500 Mark für neue Rechner konnte Kunze jüngst aus einem anderen Topf loseisen.

Natürlich wird der Erfolg von Neustart, das nicht nur auf andere Hamburger Stadtteile, sondern auch auf andere Metropolen ausgedehnt werden soll, am Ende davon abhängen, ob die Absolventen nach der Ausbildung auch Jobs in der Branche finden. Giovanni Sciurba, freier Personalberater und Referent bei Neustart, sieht die Chancen der hier Geschulten weniger in klassischen IT- oder Dotcom-Firmen, sondern in den DV-Abteilungen von Old-Economy-Firmen, wo seiner Meinung nach immer Leute gebraucht werden, die Netzwerke zum Laufen bringen oder Systeme warten.

Auch seine Neustart-Kollegin Kerstin Krüger, die von Oktober 1999 bis Februar 2001 als stellvertretende Direktorin die Abteilung Product Solutions & Research & Member Education bei AOL Deutschland leitete, sieht die Aussichten positiv: "Nach erfolgreichem Abschluss des halben Jahres werden sich die Kursteilnehmer bei Multimedia-Unternehmen bewerben können. Wer Unterstützung bei der Jobsuche möchte, dem werden wir helfen, die richtigen Ansprechpartner in den Unternehmen zu finden. Garantieren können wir natürlich nichts. Aber: Wer wagt, gewinnt." Reinhard Wollner jedenfalls ist überzeugt, das sein Traum von einem "normalen" Leben in Erfüllung geht und dass er irgendwann "im abgesicherten Modus fahren kann", wie er sagt.

*Christoph Lixenfeld ist freier Journalist in Hamburg.

**Name ist der Redaktion bekannt.